Länger warten als geplant: Die Bauzeit für die Bundesstraße 4/75 wird rund vier Jahre betragen. Klagen können den Baustart noch weiter verzögern.

Wilhelmsburg. Autofahrer werden noch deutlich länger auf die neue Wilhelmsburger Reichsstraße (B4/75) warten müssen. "Die Bauzeit für die neue Bundesstraße und die Gleisbauarbeiten wird rund vier Jahre betragen", sagte Andreas Rieckhof (SPD), 52, Verkehrs-Staatsrat der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI), dem Hamburger Abendblatt auf Anfrage. "Vier Jahre Bauzeit sind realistisch."

Für die Elbinsel Wilhelmsburg bedeutet dies: Frühestens bis Ende 2016 wird die Reichsstraße in Richtung Osten auf den Bahndamm verlegt werden. Denn ein Beginn der Bauarbeiten ist derzeit noch nicht in Sicht: Noch läuft das Planfeststellungsverfahren. Ende April waren 322 Einwendungen von Wilhelmsburger Bürgern eine Woche lang in einem türkischen Veranstaltungssaal erörtert worden. Und vor dieser Marathon-Sitzung hatte Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) den Wilhelmsburgern versprochen: "Dem Bedürfnis nach Beteiligung und Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in den Planungsprozess kommen wir weiterhin gern nach. Auch nach dem Erörterungstermin wird es die Gelegenheit zu offener Diskussion geben mit dem Ziel, möglichst einvernehmliche Lösungen für alle Beteiligten zu finden."

In einer Pressemitteilung ließ der Senator verkünden: "Sollten als Ergebnis der Planerörterung oder der nachfolgenden Beteiligung Planänderungen erforderlich werden, müssen diese umgehend in die Planung aufgenommen werden, auch wenn in der Folge eine neue Auslegung und Erörterung notwendig wird."

Konkret heißt das: Es ist derzeit nicht absehbar, wann es einen unanfechtbaren Planfeststellungsbeschluss gibt - Grundvoraussetzung für den Beginn der Bauarbeiten. Staatsrat Rieckhof räumt ein: "Wir müssen voraussichtlich noch eine Ergänzung zu den lärmtechnischen Untersuchungen in einigen Bereichen nachliefern." So rechnet er denn auch nicht mit einem Planfeststellungsbeschluss "vor dem Ende dieses Jahres".

Die reine Bauzeit von vier Jahren überrascht indes viele Beobachter. Noch im Januar 2011 hatte der vorherige schwarz-grüne Senat im Haushaltsausschuss verkündet, er rechne "mit einem Jahr und drei Monaten Bauzeit" - nachzulesen ist dies im Bericht des Haushaltsausschusses über die Drucksache 19/7116: "Verlegung der B 4/75 'Wilhelmsburger Reichsstraße".

In dem Bericht heißt es: "Da das Bauprojekt in der bestehenden Bahntrasse erfolge, würden kaum Baustellenverlegungen notwendig, erforderliche Grundstücksverhandlungen würden bereits im Vorfeld geführt. So strebten sie (die Senatsvertreter, die Red.) an, den Zeitplan einzuhalten, um so eine attraktive Gartenschau in und für Wilhelmsburg präsentieren zu können, die möglichst viele Besucherinnen und Besucher anziehen solle."

Dass aus einer Reichsstraßenfreien Internationalen Gartenschau ab dem 26. April 2013 nichts wird, hatte der SPD-Senat nach der Wahl im Februar 2011 zügig eingeräumt. Hamburg ist damit die erste Stadt, die 2,5 Millionen Besuchern eine Gartenschau präsentieren wird, die von einer Haupteinfallsstraße durchzogen wird, auf der täglich 55 000 Fahrzeuge fahren.

Staatsrat Andreas Rieckhof sagte auf Abendblatt-Anfrage, er habe erst von der vierjährigen Bauzeit erfahren, als er sich Ende April dieses Jahres einen Sachstandsbericht wegen des Erörterungstermins zum Planfeststellungsverfahren habe zukommen lassen. Hamburg hat die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) in Berlin beauftragt, die "Gesamtmaßnahme Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße und Anpassung der Bahnanlage" zu planen und zu realisieren. Warum kommt es jetzt zu einer verlängerten Bauzeit?

Auf Abendblatt-Anfrage teilte die DEGES schriftlich mit: "Die Detailplanungen und die notwendigen Abstimmungen zu den umfangreichen und komplizierten Schnittstellen Straße/Schiene bei Erstellung der Haushaltsunterlage und der Planfeststellungsunterlage nahmen viel Zeit in Anspruch (...) Für die Realisierung der Bauphasen muss in den bestehenden Betrieb des Bahnhofes Wilhelmsburg und in den durchgehenden Streckenverkehr eingegriffen werden. Das notwendige Weiterfunktionieren des Bahnbetriebes erfordert ein kompliziertes Sperrpausenmanagment. Erst bei dem nunmehr erreichten Detaillierungsgrad der Bahngewerkeplanung ist eine realistische Abschätzung des Bauablaufes und der Bauzeit möglich gewesen."

Die reinen Straßenbaumaßnahmen werden laut Staatsrat Rieckhof rund zweieinhalb Jahre dauern, die Arbeiten der Deutschen Bahn Netz rund zwei Jahre. Unter anderem muss die Bahn ein 2,2 Kilometer langes Güterzuggleis verlegen und neue Rangiergleise bauen. "Wenn Sie den Bahnbetrieb aufrechterhalten wollen, ist dies wie eine Operation am offenen Herzen", sagte Andreas Rieckhof.

Wilhelmsburger Aktivisten, die gegen eine Verlegung der Reichsstraße auf den Bahndamm sind, üben unterdessen Kritik an den Planungen des Amtes für Verkehr. "Die Behörde hat lange den Anschein erweckt, der Bau könne bis zur Gartenschau 2013 fertig werden und hat deshalb Alternativplanungen verzögert", sagte Professor Michael Rothschuh, 66, vom Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg. "Tatsächlich zeigt sich, dass man schon 2009 hätte wissen können, dass eine Fertigstellung der neuen Reichsstraße bis zur Gartenschau nicht möglich ist. Man hat den Anschein erweckt, die Straße bis zum Frühjahr 2013 fertigstellen zu können, um die Zustimmung des Bundes zur Finanzierungsvereinbarung zu bekommen."

Auch Jochen Klein, 43, Geschäftsführer der Klagegemeinschaft "Rechtsschutz Lebensqualität Wilhelmsburg" ist verwundert über die Planungen: "Es drängt sich einem die Frage auf, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Bei dieser Art der Planung ist es so gut wie sicher, dass unsere Klagegemeinschaft klagen wird. So ein Verfahren kann durchaus noch einmal Jahre in Anspruch nehmen."

Es ist nicht das erste Mal, dass die Wilhelmsburger Reichsstraße ins Gerede kommt: Im Januar 2011 musste die Stadt einräumen, dass sich die Kosten für das Projekt von 67,4 Millionen Euro auf 136,3 Millionen Euro mehr als verdoppeln - Hamburg trägt davon 10,4 Millionen Euro, den Rest zahlt der Bund. Zudem kommen noch 19,9 Millionen Euro Planungskosten auf die Hamburger Steuerzahler zu. Auch diese Planungskosten hatten sich mehr als verdoppelt.