Hamburg. Kritik von Michael Werner-Boelz sei eine „eindeutige, gewollte Verletzung der Neutralitätspflicht“. Die Begründung des Richters.

Immer wieder verklagt die AfD Mandatsträger wegen vermeintlicher Verstöße gegen das Neutralitätsgebot – etwa im vergangenen Dezember den Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD). Jetzt landete in der Hansestadt ein solcher Fall erstmals vor Gericht. Verhandelt wurde die Klage des AfD-Bezirksverbands Hamburg-Nord gegen die Stadt Hamburg beziehungsweise deren Vertreter – den grünen Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz.

Dieser hatte der AfD im März 2022 am Rande einer Bezirksversammlung unter anderem vorgeworfen, „Bruder im Geiste von Herrn Putin“ und „Feinde der Demokratie, des Pluralismus, der Meinungsfreiheit“ zu sein. In diesen Äußerungen sah die AfD einen Amtsmissbrauch. Am Mittwoch folgte das Verwaltungsgericht Hamburg der Klage. In der Verhandlung sprach der Vorsitzende Richter von einer „eindeutigen, ja gewollten Verletzung des Neutralitätsgebotes“.

Hamburger Gericht: Werner-Boelz habe AfD als Amtsträger kritisiert

Tatsächlich gewann die AfD bislang jedes Mal vor Gericht, wenn die Beklagten entsprechende Äußerungen in Ausübung ihrer Amtsfunktion gemacht hatten. Die Anwältin von Werner-Boelz, Cornelia Ganten-Lange, zweifelte aber an, dass ihr Mandant die AfD als Bezirksamtsleiter kritisiert hatte. Er sei auf der Bezirksversammlung einfach ein teilnehmendes Mitglied gewesen.

Das sah das Gericht anders und verwies auf die Aktenlage. Die Vorsitzende der Bezirksversammlung habe Werner-Boelz damals nur aufgrund seiner Position das Wort erteilt. Die vorangegangene Debatte sei bereits beendet gewesen, doch ein Bezirksamtsleiter dürfe immer sprechen. Auf dieses Privileg habe sich Werner-Boelz auch berufen. Er habe die Debatte „mit solch einem Beitrag einer demokratiefeindlichen Organisation“ nicht enden lassen wollen.

Klage der AfD – Bezirksamtschef verweist auf Einsatz für die Demokratie

Werner-Boelz hätte wissen müssen, dass Meinungsfreiheit einem Amtsträger nicht in Ausübung seiner Funktion zustehe, so der Richter. Der Bezirksamtsleiter hatte dagegen stets betont, er sei davon überzeugt, dass sein Einsatz für die Demokratie nicht gegen seine Neutralität verstoße, und sehe dieses Engagement sogar als Teil seiner Dienstpflicht an.

Der Kläger Krzysztof Walczak, AfD-Vorsitzender von Hamburg-Nord, und sein Anwalt Christoph Basedow
Der Kläger Krzysztof Walczak, AfD-Vorsitzender von Hamburg-Nord, und sein Anwalt Christoph Basedow © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Diese Überzeugung teilt seine Anwältin. Doch auf ihre Forderung, die bisherige Rechtssprechung müsse wegen der „ständigen Anfeindung unserer Verfassung und der Menschenrechte“ durch die AfD geändert werden, sagte der Richter nur: „Dann müssten wir hier komplett mit der Rechtssprechung brechen. Doch wir sind nur die Eingangsinstanz und würden uns dabei verheben.“

Richter: Werner-Boelz könne „komplett recht haben – aber darum geht es hier nicht“

Mit seiner Einschätzung der AfD könne Werner-Boelz „komplett recht haben“, so der Richter mit einem Seitenblick auf die Kläger: den AfD-Kreisvorsitzenden Krzysztof Walczak und seinen Anwalt Christoph Basedow. „Aber darum geht es hier nicht, sondern um einen eindeutigen und gewollten Angriff auf die AfD.“

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Der Vorfall im Detail: Im März 2022 hatte die Bezirksversammlung über den Angriff Russlands auf die Ukraine debattiert. Im letzten Redebeitrag dazu verurteilte der AfD-Bezirksabgeordnete Thorsten Janzen zwar den Angriffskrieg und versicherte, dass den Kriegsflüchtigen geholfen werden müsse. Man müsse aber genau prüfen, wer nach Deutschland komme. Damit das nicht Menschen ausnutzten, die nicht in der Ukraine lebten und aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kämen.

Klage der AfD – Anwältin des Bezirkschefs: Rechtssprechung anpassen

Werner-Boelz und seine Anwältin gaben sich nach der Verhandlung gelassen. „Es war klar, dass ein Verwaltungsgericht nicht die strikte Rechtsprechung des Neutralitätsgebots kippen kann“, so Ganten-Lange. Dieses sei auch „richtig und wichtig“ – müsse aber „in einer veränderten politischen Situation“ überdacht und angepasst werden. In den nächsten Tagen werden sie entscheiden, ob sie gegen das Urteil in Revision gehen.

Weniger gelassen sieht das Timo B. Kranz, Vorsitzender der Grünen-Fraktion Hamburg-Nord: „Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht trotz der Entwicklungen der letzten Jahre immer noch eine abstrakte Neutralität höher gewichtet als den Einsatz gegen diejenigen, die die Grundlagen unseres Staates und damit letztlich auch der Gerichtsbarkeit bedrohen. Ich kann nur hoffen, dass hier bald ein Umdenken einsetzt.“ Die Grünen-Fraktion stehe fest hinter Werner-Boelz. Er habe von Anfang an klargemacht, dass er sein Amt aktiv und im Sinne der Verteidigung der Demokratie ausüben wolle. Genau das habe er am 24. März 2022 getan.

AfD Hamburg fordert Rücktritt von Bezirksamtsleiter Werner-Boelz

Die AfD hingegen feiert das Urteil als Sieg und fordert auch gleich den Rücktritt des Bezirksamtsleiters. „Wir begrüßen das Urteil des Verwaltungsgerichts. Das Gericht hat den klaren Neutralitätsverstoß – den Verfassungsbruch – des grünen Bezirksamtsleiters nicht durchgehen lassen und unserer Klage vollumfänglich recht gegeben“, teilte der Bezirksvorsitzende der AfD Hamburg-Nord, Krzysztof Walczak, mit.

Boelz habe seine Amtspflicht auf erhebliche Weise missbraucht, um gegen die AfD zu agitieren. „Der Rücktritt von Verfassungsbrecher Boelz ist nun unausweichlich“, so Walczak. Auch einem grünen Bezirksamtsleiter stehe es als Beamten der Freien und Hansestadt Hamburg nicht zu, im Kommunalparlament parteipolitische Hetze zu betreiben.