Hamburg. Vor 80 Jahren flohen die Menschen unter Todesangst in den Tiefbunker am Berliner Tor. Heute kann man dort sogar übernachten.

Als vor 80 Jahren der von der Operation Gomorrha ausgelöste Feuersturm im Südosten Hamburgs wütete, war der Tiefbunker am Berliner Tor für viele Flüchtende die letzte Rettung. Wer sich ein halbwegs authentisches Bild von der dann folgenden Zeit unter der Erde machen will, kann den Bunker nicht nur besichtigen, sondern sogar dort übernachten. Ein Besuch vor Ort.

Die meisten Hamburgerinnen und Hamburger dürften den Bunker, der versteckt in einer kleinen Grünzone neben der Borgfelder Straße liegt, gar nicht kennen, zumal oberirdisch auch fast nichts davon zu sehen ist. Doch vor 80 Jahren war er für die Menschen der Umgebung ein lebensrettendes Ziel. Dirk Aldenhövel vom Verein „unter hamburg“ führt durch die 1940 erbaute, dreistöckige Anlage.

Zweiter Weltkrieg: Nach 1000 Menschen wurden die Stahltüren des Bunkers geschlossen

Der Zugang ist dabei der wohl authentischste Teil: Die Stufen, die hier steil in die Tiefe führen, sind dieselben, über die in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 unzählige Flüchtende versuchten, in den rettenden Schutzraum zu gelangen. Doch der Bunker bot nur Platz für maximal 1000 Menschen.

Der Eingangsbereich des Tiefbunkers im Hamburger Stadtteil Borgfelde ist nicht leicht zu finden, er liegt hinter einem kleinen Häuschen, in dem heute Fahrräder abgestellt werden.
Der Eingangsbereich des Tiefbunkers im Hamburger Stadtteil Borgfelde ist nicht leicht zu finden, er liegt hinter einem kleinen Häuschen, in dem heute Fahrräder abgestellt werden. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

War diese Zahl erreicht, schloss der Bunkerwart die Stahltüren. „Er war letztlich Herr über Leben und Tod“, sagt Aldenhövel. „Das muss furchtbar gewesen sein, aber das war seine Aufgabe.“

Bombengeräusche vom Handy – so hörte sich Gomorrha an

Unten im Bunker ist es nur zwölf Grad „warm“, aber wenn sich unter den niedrigen Decken viele Menschen versammeln, stieg die Temperatur schnell. Aldenhövel bittet die Gruppe, kurz ruhig zu sein. Dann spielt er über sein Handy das langsam lauter werdende Geräusch von einschlagenden Bomben vor. Der Eindruck ist schockierend, einige starren beinahe ängstlich nach oben. „Tja“, sagt der Bunkerführer (offiziell: Bunkerreferent) nachdenklich, „ungefähr so hörte sich das damals hier unten an.“

Die Decke des Bunkers ist 2,5 Meter dick, darüber eine weitere Deckschicht. Verstärkt wurden die Wände beim Bau mit Eisenbahnschienen. Reichte das, um sich sicher zu fühlen? Es musste reichen.

Im Bunker sprechen die Besucher auch über den Krieg in der Ukraine

Aldenhövel berichtet sachkundig und mit sehr viel Empathie. Während andere im Hamburger Kulturbetrieb ihre Texte runterleiern und Tempo machen, nimmt er sich ungewöhnlich viel Zeit für seine Zuhörer. Manche Fragen beantwortet er fünf Minuten lang, und die immer wieder aufkeimenden Diskussionen würgt er nicht ab, sondern forciert sie geradezu.

Eingang zum Tiefbunker am Berliner Tor: Über diese Treppenstufen flohen die Menschen vor 80 Jahren vor den Bomben in die Tiefe.
Eingang zum Tiefbunker am Berliner Tor: Über diese Treppenstufen flohen die Menschen vor 80 Jahren vor den Bomben in die Tiefe. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Lange spricht die Gruppe – ungeplant – im Kreis sitzend mit ihm über die Parallelen zum Ukraine-Krieg und über den Sinn, den Bunker angesichts von Massenvernichtungswaffen heute noch zu haben.

Gomorrha 1943: So grausam starb die 19-jährige Hilde Richter

Statt altbekannte Daten zu referieren, erzählt Aldenhövel lebensnahe Geschichten wie die der Anwaltsangestellten Hilde Richter. Ihr Totenschein wird herumgereicht: „Infolge Fliegerangriff gefallen 28. Juli 1943, Eiffestraße Nähe Nr. 21“ steht dort. Schon diese Daten bedrücken. Doch Aldenhövel setzt nach: „Stellt sie euch vor. Das war ‘ne junge Frau. Die kam vom Land in die große Stadt, die wollte Leute kennenlernen, die wollte was erleben.“

Dann zeigt er einen Straßenplan von der Eiffestraße im Jahr 1943, auf dem auch die Häuser eingezeichnet sind. „Nummer 21 hat sie gewohnt, Haus 3, ‘ne winzige Butze.“ Aufgrund von Recherchen konnte er rekonstruieren, dass Hilde Richter noch versucht hatte, einen Bunker zu erreichen, bevor sie umkam. Dann zeigt Aldenhövel Fotos von der Eiffestraße nach dem Angriff. Viele verbrannte Menschen sind zu sehen. „Sie war eine davon“, ist er sicher, „19 Jahre alt ist sie geworden.“

Bunker in Hamburg: Später wurden Sitzbänke und eine Küche eingebaut

Man fragt sich, warum bei Gedenkfeiern statt moralisierender Reden nicht einfach mal solche einfachen Berichte zu hören sind, die unter die Haut gehen und sehr lange nachwirken.

Der Tiefbunker wurde Anfang der 1960er-Jahre umgestaltet. Wo die Menschen 1943 noch dicht gedrängt stehen mussten, sind nun Sitzbänke eingebaut und Betten aufgestellt. Auch eine kleine Küche gibt es mittlerweile.

Betten gab es in dem Tiefbunker am Berliner Tor 1943 noch nicht, sie wurden erst in den 1960er-Jahren aufgestellt.
Betten gab es in dem Tiefbunker am Berliner Tor 1943 noch nicht, sie wurden erst in den 1960er-Jahren aufgestellt. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Doch auch ohne diese Veränderungen ist es schwer, sich in die Stimmung von 1943 zu versetzen. „Wir kommen hier entspannt her und gehen heute Nacht wieder in unsere gemütlichen Wohnungen“, bringt es Besucherin Barbara auf den Punkt, „das ist gar nicht zu vergleichen mit dem fürchterlichen Psychostress damals.“

Das Grauen im Bunker 1943: Leichen blockierten die Ausgangstür

Es folgt – wie zur Bestätigung – noch so eine Geschichte, die das unvorstellbare Leid deutlich macht, das Kriege auslösen. Erzählt wurde sie dem Team von „unter hamburg“ von einer alten Dame, die bei der Todesnacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 dabei gewesen war. Demnach ließen sich nach Luftangriff und Feuersturm die Ausgangstüren des Bunkers am Folgetag nur einen schmalen Spalt breit öffnen. Der Grund: Der ganze Treppenaufgang lag voller Leichen, die sich vor den Türen geradezu verknäuelt hatten.

Die einzige Möglichkeit für die Eingeschlossenen, ins Freie zu gelangen: Ganz kleine Kinder wurden durch den Türspalt nach draußen gedrückt. Wie es dann weiterging, war der blanke Horror. „Die Zeugin erzählte, dass die Eingeschlossenen den Kindern zuriefen, die Toten vom Ausgang wegzuziehen“, berichtet Dirk Aldenhövel. „Die haben dann gerufen: ,Zerrt ruhig an den Armen und an den Haaren. Scheut euch nicht. Die merken ja nichts mehr.’“

Bedrücktes Kopfschütteln bei den Bunker-Besuchern 80 Jahre später. „Man fasst das alles nicht“, sagt eine Frau.

Bunker am Berliner Tor in Hamburg – so können Sie unter der Erde übernachten:

Die Übernachtung im Bunker ist an mehreren Tagen im Monat für jeweils maximal 25 Personen möglich. Sie ist in ein umfangreiches Programm eingebunden, darunter eine einstündige Erklärung über die Geschichte des Bunkers und einen zweistündigen Rundgang. Das gemeinsame Abendessen mit Vorbereitung dauert rund zwei Stunden. Ab 23 Uhr ist Nachtruhe.

Es gibt wegen der Authentizität nur eher einfaches Essen und nur einen halben Liter Wasser zum Trinken und Waschen. Die Raumtemperatur beträgt rund zwölf Grad. Jeder Gast bekommt eine Not-Taschenlampe. Es gibt keinen Handyempfang.

Die Bunkerübernachtung kostet 75 Euro pro Person und kann gebucht werden über die Homepage: www.unter-hamburg.de