Hamburg. Experten warnen: Zahl der Defibrillatoren liegt im Bundesvergleich nur im unteren Mittelfeld. Herzretter-Training nun an Schulen.

Sie stehen in Einkaufszentren, Behörden und anderen öffentlichen Gebäuden: Defibrillatoren können Leben von Menschen retten, die wegen plötzlicher Herz-Rhythmus-Störungen ihr Bewusstsein verlieren. Immerhin sterben in Deutschland jedes Jahr nach Angaben der Deutschen Herzstiftung rund 65.000 Menschen am plötzlichen Herztod.

Doch die Zahl dieser AEDs (Automatisierter externer Defibrillator) ist in Hamburg gar nicht so groß. Martin Buchholz, promovierter Mediziner und Vorsitzender des Vereins „Ich kann Leben retten!“, schätzt, dass es derzeit in der Hansestadt 1557 Defibrillatoren an öffentlichen Orten gibt. „Damit liegt Hamburg laut Definetz/Defikataster eher im unteren Mittelfeld“, sagte Buchholz dem Abendblatt.

Immerhin: Um mehr junge und auch ältere Menschen für das Thema zu sensibilisieren, hat die Schulbehörde gemeinsam mit der Herzretter-Initiative jetzt das Pilotprojekt „Leben retten einfach machen“ gestartet. 14 Grundschulen und 14 weiterführende Schulen nehmen teil.

Plötzlicher Herztod: Hamburg erfasst Zahl der Defibrillatoren nicht

Zwar mag Hamburg mit AEDs besser versorgt sein als der ländliche Raum. Aber das Vorhandensein eines Defibrillators garantiert nicht immer seine ständige Einsatzfähigkeit. „In vielen Fällen hängen AEDs in Bürohäusern, die nach 17 oder 18 Uhr in der Regel nicht mehr zugänglich sind“, kritisiert Buchholz.

Darüber hinaus seien sie nicht immer für jedermann sichtbar zu erkennen. Fragen müsse man sich auch: „Sind die AEDs so ausgerüstet, dass sie auch bei Hitze, Kälte und Feuchtigkeit funktionsfähig sind? Und sind die Geräte ausreichend gewartet und immer funktionsfähig?“

Daten über die Zahl und die Verteilung der AEDs werden von Hamburger Behörden nicht erfasst. Die Sozialbehörde verweist auf ein Projekt des Arbeiter-Samariter-Bundes mit dem Titel „Hamburg schockt“. Sie bietet eine Übersicht, wo diese Geräte in der Stadt zu finden sind.

Defibrillatoren: Website sammelt bundesweit Herzgeräte-Daten

Wer wissen will, wo die Geräte auch in anderen Städten und Gemeinden Deutschlands stehen, kann auf Daten des Vereins Definetz zurückgreifen. Er betreibt seit 2011 das größte Kataster mit Standorten von Defibrilla­toren in Deutschland und darüber hinaus. Bei der Erfassung werden auch zusätzlich Angaben zu Betreibern, Wartung oder Erreichbarkeit erfasst, damit der Helfer im Notfall nicht vor der sprichwörtlich verschlossenen Ladentür steht.

Diese Daten dokumentieren, wo es deutlich mehr Defibrillatoren als in Hamburg gibt. Dazu gehören Stuttgart und München.

Ein Herztod kann jeden treffen, egal ob zu Hause, in der U-Bahn, am Flughafen oder beim Besuch im Krankenhaus. Ältere Menschen sind häufiger betroffen als junge, Männer dreimal so oft wie Frauen. In vielen Fällen treten völlig unerwartet schwere Herz-Rhythmus-Störungen in Form von Kammerflimmern auf, die innerhalb weniger Minuten zum Tod führen.

Plötzlicher Herztod: Überlebenschance steigt durch Erste Hilfe

In 80 Prozent der Fälle ist die Ursache ein unvorhersehbarer Herzinfarkt, die anderen 20 Prozent der Betroffenen leiden unter Vorerkrankungen oder angeborenen Herzfehlern, heißt es beim Münchner Klinikum rechts der Isar.

Eine Überlebenschance haben die Betroffenen nur, wenn sofort Erste Hilfe geleistet wird. Hier biete ein Defibrillator besonders im Fall des Kammerflimmerns wirksame Unterstützung.

Dr. Martin Buchholz hat den Verein „Ich kann Leben retten!“ ins Leben gerufen.
Dr. Martin Buchholz hat den Verein „Ich kann Leben retten!“ ins Leben gerufen. © Marcelo Hernandez

Wie der Hamburger Mediziner Martin Buchholz betont, passieren 70 Prozent des akuten Herzversagens im privaten Umfeld, „also zu Hause, beim Sport, im Restaurant“. Dann aber sei ein AED meist nicht in der Nähe. Buchholz: „In dem Falle ist die konsequent durchgeführte Herzdruckmassage wichtig, richtig und ausreichend, um dem Patienten eine Chance auf das Überleben zu geben.“

Hamburger Verein „Ich kann Leben retten!“ hat Forderungen an die Politik

Deshalb fordert der Mediziner mit dem Verein „Ich kann Leben retten!“: „Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass alle Menschen Herzretter-Trainings durchlaufen und das Wissen regelmäßig trainieren.“ Die Wichtigkeit und die Eigenständigkeit der Wiederbelebung durch Laien müssten von der Politik erkannt und als Vorsorgemaßnahme zur Gesunderhaltung der Menschen auch von den gesetzlichen Krankenkassen oder den Unfallkassen finanziert werden.

Nach Angaben des Deutschen Rates für die Wiederbelebung könnten hierzulande jedes Jahr 10.000 Menschenleben gerettet werden, wenn alle Menschen im lebensbedrohenden Notfall sofort eingreifen und handeln könnten – etwa mit Herzdruckmassagen und Defibrillatoren.

Bereits Grundschulkinder lernen in Hamburg Notfallsituationen kennen

Aus Angst, etwas falsch zu machen, unterlassen viele die meist lebensrettenden Wiederbelebungsmaßnahmen. Um diese Unsicherheit abzubauen, lernen in Hamburg bereits Grundschulkinder, wie man sich in so einer Notsituation richtig verhält. Seit 2017 trainiert die Herzretter-Initiative mehr als 30.000 Schülerinnen und Schüler aller Altersgruppen.

In 90-minütigen Unterrichtseinheiten lernen Schülerinnen und Schüler interaktiv und realitätsnah, lebensbedrohliche Situationen zu erkennen, einen Notruf zu senden, die Atmung der Person sicherzustellen und je nach Alter die Herzdruckmassage durchzuführen und einen Defibrillator anzuwenden. Diese für Schulen kostenfreien Kurse werden durch die Förderer der Herzretter-Initiative ermöglicht.

An 28 Hamburger Schulen werden Mädchen und Jungen zu Herzrettern ausgebildet

Das soll nun ausgebaut werden: Das Pilotprojekt „Leben retten einfach machen“ der Schulbehörde und der Herzretter-Initiative ist im Februar gestartet. Es richtet sich an Schulen, die bisher keine Herzretter-Trainings durchgeführt haben. In den Jahrgangsstufen 2 bis 10 sollen Kinder und Jugendliche sowohl Kenntnisse in Laienreanimation erwerben und dabei gleichzeitig die Haltung „Ich kann im Notfall helfen“ entwickeln.

Für das Projekt wurden 28 Schulen ausgewählt: 14 Grundschulen nehmen mit jeweils einer Jahrgangsstufe, 14 weiterführende Schulen mit jeweils zwei Jahrgangsstufen teil. Das erste Training im Rahmen des Pilotprojekts fand im April statt.

Überraschend: Es ist wissenschaftlich belegt, dass Kinder und Jugendliche geringere Hemmungen gegenüber der Anwendung von Maßnahmen zur Ersten Hilfe haben. „Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass bereits Schulkinder eine Herzdruckmassage erlernen können. Im besten Fall werden die Maßnahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung für die Kinder so zu einer Selbstverständlichkeit“, sagt Dr. Malte Issleib vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE).

Hamburg: Kostenlose Herzretter-Kurse für Kinder und Jugendliche

Die professionellen Herzretter vom Verein „Ich kann Leben retten!“ bieten weitere solcher Kurse für Laien an. Sie trainieren bereits Kinder im Vorschulalter. Die Herzretter-Initiative hat bisher in Hamburg und bundesweit mehr als 50.000 Menschen trainiert.

Die Trainings für Kinder und Jugendliche, heißt es, werden allein durch Spenden finanziert und sind für alle Schulen, Jugendeinrichtungen und Sportvereine kostenfrei.

Denn: „Jede Schulabgängerin und jeder Schulabgänger sollte wissen, wie man Leben rettet – und den Mut haben, beherzt zu handeln! Gern wollen wir gemeinsam alle Schulen unterstützen, dieses Ziel umzusetzen“, sagt Martin Buchholz, Gründer der Herzretter-Initiative.