Bis Freitag soll es eine Entscheidung über die Elbphilharmonie geben. Weiterbau mit dem Konzern - oder doch die Kündigung? Zwei Szenarien.

Hamburg. Deutlicher lässt sich das kaum formulieren. "Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Freie und Hansestadt Hamburg am 05. Juli 2012 ihre definitive Entscheidung treffen wird und keinen weiteren Verhandlungsprozess beabsichtigt." So lautete der entscheidende von ganzen vier Sätzen, die Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) am 25. Juni unter der Überschrift "Projekt Elbphilharmonie - Neuordnung" an den Vorstandschef der Hochtief Solutions AG, Rainer Eichholz, richtete. Seinem Wunsch, das auf den 28. Juni gerichtete Ultimatum an den Baukonzern zu verlängern, entsprach sie. Bis zum 4. Juli, bis heute. Danach wird entschieden. Aber wie?

Kommt es zum großen Knall? Trennt sich die Stadt als Auftraggeberin des Konzerthauses von ihrem Generalunternehmer? Oder raufen sich beide Seiten doch noch zusammen und stellen das Jahrhundertbauwerk in der HafenCity gemeinsam fertig? Beides scheint noch möglich.

Wie ist diese Situation entstanden?

Seit der Grundsteinlegung im April 2007 liegen die Stadt und Hochtief im Clinch. Neben vielen kleineren Problemen wie Verunreinigungen der alten Backsteinfassade oder Rissen in der Verkleidung der 80-Meter-Rolltreppe geht es um zwei Knackpunkte: Hochtief bestreitet die Sicherheit des Saaldachs. Der Konzern beruft sich auf Gutachten eines Strafrechtlers, wonach er gar nicht bauen dürfe, wenn er "Gefahren für Leib und Leben" sieht. Die Stadt verweist auf den Prüfstatiker, der die Berechnungen abgesegnet hat. Daher sei Hochtief verpflichtet zu bauen.


+++ Elbphilharmonie-Bauarbeiten: Stadt setzt Hochtief unter Druck +++

Der zweite Knackpunkt ist die Technische Gebäudeausrüstung (TGA), zu der etwa Heizung, Lüftung und Elektrik gehören - in einem Konzerthaus mit schallentkoppelten Sälen ein enorm komplexer Bereich. Hier schuldet Hochtief immer noch die Ausführungsplanung: Der Konzern sagt, er könne sie nicht fertigstellen, weil die vorhergehende Entwurfsplanung der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron nicht vollständig vorliege. Die Stadt behauptet das Gegenteil: Alle Pläne lägen seit Monaten vor. Die Lage ist so verkantet, dass Hochtief im Herbst 2011 die Arbeiten an der Elbphilharmonie praktisch eingestellt hat.

Was fordert die Stadt eigentlich?

Nach Dutzenden Gesprächen, Briefwechseln und nie unterzeichneten Neuordnungsvereinbarungen riss der Stadt im Juni der Geduldsfaden. Es gehe offensichtlich nur darum, "uns länger hinzuhalten", schrieb die städtische Elbphilharmonie Bau KG als eigentlicher Auftraggeber an Hochtief. Das Verhalten des Konzerns sei eine "fortgesetzte Leistungsverweigerung", die die Stadt "künftig nicht mehr hinnehmen" werde, heißt es in dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt. Mehr noch: Im Rathaus habe man "ernsthafte Zweifel", ob Hochtief überhaupt eine einvernehmliche Lösung anstrebe.

Daher erhalte der Konzern "letztmals Gelegenheit", eine der beiden Vereinbarungen zu unterschreiben, die dem Schreiben anhingen. In Variante eins würde die Stadt die TGA-Ausführungsplanung von Hochtief übernehmen, in Variante zwei sollen Hochtief und die Architekten das Problem gemeinsam lösen. Sollte Hochtief nicht eines der Papiere "vorbehaltlos" bestätigen, betrachte die Stadt "die Verhandlungen als endgültig gescheitert".

Morgen Abend tritt der Aufsichtsrat der städtischen Bau KG zusammen und entscheidet, wie es weitergeht. Am Freitag will der Senat die Öffentlichkeit informieren.

Szenario 1: Man baut gemeinsam weiter

Oberste Priorität hat für alle Beteiligten der Weiterbau am Saaldach. Das Dach wiegt derzeit etwa 2000 Tonnen und ruht auf 21 Auflagern, von denen sieben "lastfrei" gesetzt werden. Weitere 6000 Tonnen kommen noch obendrauf. Wichtigstes Ziel ist es, den Bau vor Beginn des Winters von oben zu schließen. Nach Abendblatt-Informationen wird Hochtief den Weiterbau und eine Fertigstellung des Saaldachs bis Ende November der Stadt zusagen.

In einem Brief an Senatorin Barbara Kisseler vom 18. Juni hat Hochtief-Vorstand Rainer Eichholz bereits darauf hingewiesen, dass "für diese komplexe Planung zurzeit zehn Ingenieure ausschließlich beschäftigt werden". Außerdem werde "so zeitnah wie möglich" ein Messsystem eingerichtet, welches die Veränderungen während des Absenkens des Saaldachs dokumentiert. Darauf hatten sich bei einem "Statiker-Gipfeltreffen" die Sachverständigen beider Parteien geeinigt.

Bereits gestern hat Hochtief mit der "Erstellung noch fehlender Deckenflächen oberhalb des Konzertsaals" begonnen. Das hatte Eichholz in dem Brief an die Senatorin zugesagt. "Diese bauablauftechnisch eigentlich nachteilige Maßnahme soll Ihnen zusätzlich unsere Leistungsbereitschaft unter Beweis stellen."

Im Streit um die Ausführungsplanung der gesamten Haustechnik durch Hochtief, die bis zum 16. November 2009 vorliegen sollte, könnte es zu einer Neuordnung kommen. Es ist möglich, dass die Stadt, wie in ihrem Brief zur Neuordnung vom 21. Juni an Hochtief vorgeschlagen, "abweichend von der bisherigen vertraglichen Vereinbarung" die Ausführungsplanung übernimmt.

Vorteil: der Wegfall der sogenannten "Schnittstellenproblematik". Sie verzögert die Arbeiten am Jahrhundertbauwerk von Beginn an. Hochtief bemängelte stets die vom Architekten vorgelegten Entwürfe sowie spätere Leistungsänderungen. Wie etwa die Umplanung "von mehreren Tausend Quadratmetern Gittergewebedecken in hochwirksame Kühl- und Akustikdecken", von "mehreren Tausend Quadratmetern Foyerdecken" oder "die erst am 31. Januar 2012 erfolgte Umplanung der Deckenkühlung in eine wesentlich aufwendigere Wandkühlung".

Eichholz schreibt weiter in dem Brief vom 18. Juni an die Senatorin: "Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen." Laut Hochtief beläuft sich das Nachtragsvolumen für Planungsänderungen im Bereich der Gebäudetechnik auf 30 Millionen Euro.

Gut möglich, dass es heute zu einer "Einigung" kommt, die gleichzeitig eine Teilkündigung von Hochtief im Bereich der Ausführungsplanung beinhaltet. Dann müssten sich beide Parteien aber auch noch auf ein Schiedsgerichtsverfahren einigen, in dem sämtliche bisher strittigen Forderungen, Mehrvergütungsansprüche wegen Leistungsänderungen oder Zahlungen wegen Bauzeitverlängerung verhandelt werden. Während die Stadt sagt, Gegenstand des Schiedsgerichtsverfahrens werden bisherige und künftige Probleme sein, will Hochtief ausschließlich vergangene Streitpunkte dort klären.

Szenario 2: Die Stadt kündigt Hochtief

Das wäre die politisch klarere, aber inhaltlich kompliziertere Lösung. Dennoch hat die Stadt den Baustillstand genutzt und sich seit Monaten akribisch auf diese Situation vorbereitet. Sollte der Aufsichtsrat der Bau KG die Trennung beschließen, würde erst danach der offizielle juristische Weg beschritten - denn das Schreiben vom 21. Juni war vor allem politisch formuliert. Erst wenn die Trennung offiziell ist, vermutlich nicht vor August, könnte der nächste Schritt erfolgen. Dann müsste mithilfe von Gutachtern bis zur letzten Schraube exakt ermittelt werden, welche Leistung bislang erbracht wurde und welche nicht, welche mangelhaft ist und welche in Ordnung. Das allein wird mindestens drei bis vier Monate dauern. Damit wäre weiterer Stillstand bis Ende des Jahres programmiert.

Da die Stadt keinen neuen Generalunternehmer finden wird, würde die städtische Realisierungsgesellschaft ReGe dessen Aufgabe übernehmen und müsste alle Gewerke einzeln neu vergeben oder - je nach Größe des Auftrags - neu ausschreiben. Mit etwa 100 Firmen müssten Verträge geschlossen werden. Vermutlich würde die Stadt einige der Subunternehmer von Hochtief übernehmen. Um das alles überhaupt leisten zu können, müsste allein die kaufmännische Seite der ReGe von 40 auf 50 Mann aufgestockt werden. Dazu bräuchte sie vermutlich weitere 50 Leute für die Bauleitung. Damit wäre sie in etwa so groß wie das Hochtief-Team für die Elbphilharmonie - und entsprechend teuer.

Die Stadt geht davon aus, dass der Bau auch in Eigenregie frühestens im Juli 2015 fertiggestellt werden kann. Da danach noch der "Einzug" der neuen Mieter, Proben für Orchester, Technik und interne Abläufe anstehen, wäre die Eröffnung des Konzertbereichs wohl erst im Jahr 2016. Zudem müsste mit Hochtief der Streit um die Kosten für alles bis zum Stichtag Gebaute vor Gericht ausgefochten werden. Mit anderen Worten: Für die Stadt wird nicht zwangsläufig alles einfacher und günstiger. Aber sie hätte dann alles in ihrer Hand - alle Chancen auf ein gutes Ende, aber eben auch alle Risiken.