Untersuchungsausschuss zur Elbphilharmonie findet keinen Beweis für Geheimnisverrat bei der Elbphilharmonie. Aber eine Erklärung.

Hamburg. Es war kurz vor 20 Uhr am Donnerstag, 1. März, als der Täter überführt schien. Wenn es jemand darauf angelegt hätte, hätte er vielleicht noch die "Tagesschau" erreichen können. Dann hätte die Nachricht etwa so gelautet: "Guten Abend, meine Damen und Herren. Beim Bau der Elbphilharmonie in Hamburg ist es zu einem schweren Fall von Geheimnisverrat gekommen. Wie der Parlamentarische Untersuchungsschuss der Bürgerschaft soeben ermittelt hat, soll der damalige Chef der städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe, Hartmut Wegener, im September 2008 streng vertrauliche Unterlagen an den Baukonzern Hochtief weitergegeben haben. Dass soll dem Unternehmen einen Vorteil im Poker um Termine und Kosten des Konzerthauses verschafft haben. Hochtief streitet den Besitz solcher Unterlagen ab."

Diese Nachricht wurde nie gesendet - zum Glück muss man wohl sagen. Denn eine gute Stunde später hätte sie eher so gelautet: "Den Geheimnisverrat beim Bau der Elbphilharmonie hat es nicht gegeben. Vermutlich handelt es sich um eine Verwechslung."

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Also alles nur eine Ente? Eine zum Skandal aufgeblasene Luftnummer? Gar eine politische Inszenierung? Mitnichten. Denn was der Untersuchungsausschuss, kurz PUA, in acht Stunden zutage förderte, war - hoffentlich - immerhin die Wahrheit. Und nebenbei war es ein Schauspiel, an das sich Hamburg noch oft erinnern dürfte.

Erster Akt: 60 Millionen Euro machen nachtragend

Im Frühjahr 2008, an der Elbphilharmonie wird seit knapp einem Jahr gebaut, hört Ole von Beust (CDU) erstmals von dieser Sache. Mit Hochtief laufe es nicht so gut, der Konzern wolle mehr Zeit und mehr Geld. Von seinem Projektkoordinator Hartmut Wegener bekommt der Bürgermeister aber nur die übliche Auskunft: "Es gibt kleinere Probleme, aber die löse ich." Beust persönlich hatte Wegener das Projekt übertragen, nach guten Erfahrungen bei zwei Airbus-Erweiterungen vertraut er dem SPD-Mann.

Woran Wegener in diesen Monaten bastelt, ist der "Nachtrag 3", also die dritte Überarbeitung der Verträge mit Hochtief und den Architekten Herzog & de Meuron. In Euro beträgt der Dissenz gut 60 Millionen: Hochtief fordert erst 144 und später noch 119 Millionen Euro mehr, Wegener bietet maximal 58 Millionen. "Um jeden Preis" habe Wegener diesen Nachtrag abschließen wollen, sagt der damalige Kulturstaatsrat Reinhard Stuth (CDU) im PUA aus. Auch Beust hatte Wegener kürzlich als "missionarisch" beschrieben. Im Senat stößt der Missionar zunehmend auf Skepsis. In einem Telefonat fordert Stuth Wegener daher auf, "keine Vier-Augen-Gespräche" mehr mit dem Hochtief-Vorstand Henner Mahlstedt zu führen. Die Kulturbehörde wolle gefälligst dabei sein. Wegener will das nicht hinnehmen, Stuth droht mit dem Chef der Senatskanzlei, Volkmar Schön, der wolle es auch so. Schön war über neun Regierungsjahre der engste Vertraute von Beusts. Zwei Tage später soll Wegener laut Stuth trotzdem wieder mit Mahlstedt verhandelt haben. Unter vier Augen. Das Maß ist voll.

Zweiter Akt: High Noon in der HafenCity

Am Morgen des 17. September 2008 überschlagen sich die Ereignisse. Erst wirft der Bürgermeister Wegener raus. "Offiziell ist er aus freien Stücken gegangen", sagt von Beust später, muss dabei aber selbst schmunzeln.

Für 11 Uhr hat Wegener allerdings ein Treffen mit Hochtief terminiert, um weiterzuverhandeln. Als der Chef des Essener Konzerns in Hamburg aus dem Flieger steigt, ruft ihn Thomas Möller an, Leiter der Niederlassung Hamburg: "Wegener ist raus, Sie können zurückfliegen." Dass Mahlstedt das nicht tut, beschert ihm noch mehrere Flüge nach Hamburg - als Zeuge im PUA.

Also kommt es zu jenem ominösen Treffen. 11 Uhr, Vespuccihaus am Sandtorkai, Besprechungsraum erster Stock, die Elbphilharmonie in Sichtweite. Zwei gegenüberliegende Tische, an einem, von rechts nach links, Möller, Mahlstedt und Christian Gorris von der Immobilienfirma Commerzreal, auf der anderen Seite Stuth, ReGe-Geschäftsführer Dieter Peters und der Jurist Jochen Margedant aus der Kulturbehörde. Dann geschieht es. Oder eben nicht.

Dritter Akt: Kleiner Vermerk, große Aufregung

Nach Margedants Erinnerung, die er drei Monate später protokolliert, kramt Peters in seinen Unterlagen nach einem Dokument zum Stand des Verfahrens, als Möller etwas hochhält: "Suchen Sie das hier?" Margedant und Peters sind entsetzt, lassen sich aber nichts anmerken. Sie versichern sich nach dem einstündigen Treffen gegenseitig, eine Tischvorlage für den Aufsichtsrat der ReGe erkannt zu haben und fragen sich: Woher hat der Hochtief-Chef ein Papier mit ReGe-Briefkopf und "Vertraulich"-Aufdruck? Denn daraus geht hervor, dass die Stadt auch Mehrkosten von 90 oder - in einer aktuelleren Version - 72 Millionen Euro tragen würde. Also viel mehr als die von Wegener gebotenen 58 Millionen.

Als der PUA Margedants Vermerk entdeckt, bittet er ihn um eine schriftliche Stellungnahme. Darin untermauert der Behördenjurist die scheinbar ungeheuerliche Beobachtung. "Senat vermutet Geheimnisverrat", titelt das Abendblatt am 20. Januar 2012 exklusiv. Der Baukonzern nennt den Vorgang absurd. Man habe keine Geheimpapiere besessen, und wenn, warum hätte man sie hochhalten sollen? Gute Frage. Der PUA will es ganz genau wissen: Er lädt alle sechs Beteiligten als Zeugen vor.


Vierter Akt: Die Politik jagt den Maulwurf

1. März 2012, 15 Uhr, Raum 151 des Rathauses. Andreas Wankum (CDU) sagt, es gehe um die ernste Frage, ob Hamburg eine "Bananenrepublik" sei. Der erste Zeuge Margedants bleibt bei seiner Darstellung, will Hochtief aber nichts unterstellen und auch nicht über den "Maulwurf" spekulieren, der das Dokument weitergegeben haben könnte. Auf Bitte des Ausschussvorsitzenden Ole Thorben Buschhüter (SPD) fertigt er eine Skizze an, wer am 17. September 2008 wo gesessen hat. Die Stimmung ist angespannt.

17.30 Uhr: Als zweiter Zeuge bestätigt Peters den Vorgang und betont, "sehr erstaunt" gewesen zu sein. An der Maulwurf-Jagd will auch er sich nicht beteiligen. Erst auf bohrendes Nachfragen von Buschhüter räumt der ReGe-Geschäftsführer ein, über seinen Ex-Chef nachgedacht zu haben: "Herr Wegener kann es natürlich gewesen sein." Vorstellen könne er sich das aber nicht.

19.30 Uhr: Der dritte Zeuge Stuth kann sich an den Vorgang zwar nicht erinnern, aber an den Charakter des ReGe-Chefs umso besser. "Es kann eigentlich nur Herr Wegener gewesen sein." Weitere Maßnahmen habe man damals nicht eingeleitet. "Das entscheidende Element war ja getan." Er meint den Rauswurf des ReGe-Chefs. Um kurz vor 20 Uhr scheint dem Ausschuss klar, dass es den "Verrat" gab und wer ihn begangen hat. Danach ist Pause, es gibt Tomatensuppe und belegte Brote.

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Fünfter Akt: Auflösung in Wohlgefallen

20.30 Uhr: Henner Mahlstedt kommt gleich zur Sache: "Ich kenne kein Papier, das nicht in unseren Händen hätte sein dürfen." Stattdessen präsentiert er dem Ausschuss ein anderes Dokument, das Protokoll seines letzten Treffens mit Wegener. Das habe die ReGe "im normalen Baustellenschriftverkehr" übersandt. Die Politiker staunen, schicken Mahlstedt vorerst raus, beraten. Um 21.30 Uhr bitten Sie Peters erneut herein. Der Chef des PUA-Arbeitsstabs, Klaus Thorwarth, simuliert die Situation jenes 17. September. Stimme die Entfernung zu Möller? Noch etwas weiter weg? Okay. "Welches Papier haben Sie damals gesehen?", fragt er und hält Peters zwei Dokumente hin, die sich sehr ähnlich sehen. "Das rechte." Peters bleibt bei seiner Wahrnehmung. Ein Hauch von "Die zwölf Geschworenen" weht durch Raum 151.

Dann das gleiche Spiel mit Margedant. Im Gegensatz zu Peters kann er sich nicht genau erinnern. Kann er ausschließen, dass es das von Mahlstedt präsentierte war? "Nein." Die Sache ist durch. Thomas Möller wird nur noch pro forma angehört, er präsentiert ein ganzes Paket ReGe-Unterlagen, das er damals dabei hatte, alle offiziell erhalten. Ein kleiner Triumph für den Hochtief-Chef.

Bis 22.40 Uhr werden alle Zeugen entlassen. Einige Abgeordnete sind frustriert. Acht Stunden für Nichts! Jörg Hamann (CDU) findet tröstende Worte: "Die Vorwürfe waren erheblich und mussten aufgeklärt werden."

Dann fällt der Vorhang.