Der Streit zwischen Hochtief und Stadt um die Risse zeigt beispielhaft, was bei der Elbphilharmonie schiefläuft. Die Rolltreppe als Streitobjekt.

HafenCity. Die Sätze des gerichtlich bestellten Gutachters sind eindeutig. "Ein Planungsfehler ist, dass man dem Putzsystem für die vorliegenden Randbedingungen nicht die erforderliche Bewegungsfreiheit gegeben hat. Der Tragwerksplaner hatte die Druck- und Sogkräfte zu berücksichtigen."

Seit zwei Jahren streiten die Stadt und der Baukonzern Hochtief darüber, wer für die zahlreichen Risse in der Wandverkleidung der 85 Meter langen Rolltreppe verantwortlich ist. Nun stellte der neutrale Gutachter fest: "Die Quotierung der Ursachen bewerte ich 90 für den Planer zu zehn für den Ausführenden."

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Eine etwas sperrige Beschreibung ist das für die Klärung eines Mangelvorwurfs, der die Bauarbeiten in diesem Bereich der Elbphilharmonie seit Dezember 2009 quasi zum Erliegen gebracht hat. Bereits kurz nach Fertigstellung der Putzarbeiten waren erste Risse aufgetaucht. Während die Stadt den Ausführenden (Hochtief) immer wieder aufforderte, den Mangel zu beseitigen, argumentierte der Baukonzern, die Ursache für die Schäden liege nicht in der fehlerhaften Ausführung durch den Nachunternehmer, sondern in der mangelhaften Planung der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron.

Anhand des Konflikts um die Risse im Putz lässt sich beispielhaft nachzeichnen, warum die Fertigstellung des Jahrhundertbauwerks immer wieder nach hinten verschoben wird.

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Der Auftragswert für die Verkleidung der Rolltreppen-Röhre liegt bei rund 660 000 Euro. Im November 2009 wurden die Arbeiten durch einen Nachunternehmer von Hochtief fertiggestellt. Schon drei Wochen später tauchten erste Risse auf. Hochtief hat von Beginn an einen Ausführungsmangel bestritten. Der Nachunternehmer ließ schließlich ein Gutachten erstellen, das im Oktober 2010 zum Ergebnis kommt: "Die Ursache der Risse am Rabitzputz sind ausschließlich konstruktions- und bauwerksimmanente Verformungen, die auf das Rabitzsystem übertragen und von diesem nicht aufgenommen werden können. Handwerkliche oder sonstige Ausführungsmängel sind nicht ursächlich. Materialfehler kommen nicht in Betracht." Die Mängel seien also durch Planungsfehler verursacht.

Die städtische ReGe hält das Gutachten für nicht ausreichend und fordert im Dezember 2010 weitere dezidierte Nachweise. Anfang 2011 behält die ReGe für die Mängel 660 000 Euro ein. Um die Mängelbeseitigung zu beschleunigen, wird dieser Betrag mit einem sogenannten Druckzuschlag auf 1,2 Millionen Euro erhöht. Hochtief widerspricht dem Einbehalt und stellt den Zinsverlust mit Verzugszinsen (rund acht Prozent) in Rechnung.

Am 14. Januar 2011 schlägt Hochtief die Einschaltung eines neutralen Schiedsgutachters vor. Grund: Vor einer Sanierung müssten erst die Ursachen des Mangels geklärt werden. Am 28. Januar lehnt die ReGe das ab. Genau einen Monat später beantragt Hochtief gegen den Nachunternehmer ein Beweissicherungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg, um gerichtlich klären zu lassen, ob es sich um einen Planungs- oder einen Ausführungsfehler handelt. Formaljuristisch wird sieben Parteien der Streit verkündet. Sieben Anwaltsbüros sind involviert.

Am 22. März 2011 macht Hochtief Sanierungsvorschläge, schlägt unter anderem am Anfang und am Ende der Rolltreppe den Einbau von zugangssicheren Drehtrommeltüren vor, um "die Differenzverformungen aus Temperatur zu minimieren". Die ReGe sagt die schnellstmögliche Prüfung der Sanierungsvorschläge unter Hinzuziehung des Generalplaners zu. Am 27. April 2011 erinnert Hochtief die ReGe an die "schnellstmögliche Prüfung".

Am 13. Januar 2012 stellt das Landgericht Hamburg das Gutachten zu. Und jetzt? Wie geht es weiter, nachdem der Gutachter die Schuld zu 90 Prozent beim Planer sieht? Die zehnprozentige Mitverantwortung des Ausführenden ergibt sich für den Gutachter aus dem Nichterkennen der Planungsfehler vor der Ausführung. Zusätzlich moniert er, dass während der Ausführung die klimatischen Bedingungen nicht konstant gehalten wurden. Der Gutachter schlägt vor, die Risse zu schließen und den Oberputz zu erneuern, weist aber auf das Risiko neuer Rissbildung hin. "Ein identischer Neuaufbau" verbiete sich. "Ein weicheres Rückverankerungssystem wäre zu planen", heißt es.

Es bleibt also offen, wie es in diesem Bereich auf der Baustelle weitergeht.

Ebenfalls unverändert ist die Lage im Streit um die Statik des Großen Konzertsaals, die Verschmutzung der historischen Fassade des Kaispeichers und bei der technischen Gebäudeausrüstung (TGA).

Dachstatik: Aus Sicherheitsbedenken hat Hochtief die Arbeiten im Oktober 2011 eingestellt und weigert sich, das Dach abzusenken. Zwei unabhängige staatliche Instanzen halten die Statik für sicher, Gutachten von Hochtief kommen zu einem anderen Ergebnis. Mittlerweile ist die Behörde für Stadtentwicklung (BSU) eingeschaltet und hat Hochtief aufgefordert, bis zum 23. Januar Unterlagen vorzulegen, die den Nachweis erbringen, dass die Berechnungen der staatlichen Prüfer nicht stimmen. Eine Entscheidung der BSU dürfte in den nächsten Wochen fallen. Es ist davon auszugehen, dass Hochtief auch hier ein Beweissicherungsverfahren anstrengen wird, um vor Gericht klären zu lassen, ob die Statik hält.

Fassade: Seit Mai 2010 wird über die Ursachen für Verunreinigungen an der historischen Fassade gestritten. Die Architekten monieren "Zerstörungen" durch Sanierungsarbeiten, Hochtief spricht von Wasserschäden und "Ausblühungen", wie sie jeder Häuslebauer kennt. Der Streit hält an, Ende offen.

Technische Gebäudeausrüstung (TGA): Am 30. September hat Hochtief der ReGe mitgeteilt, "die weitere Erstellung der Ausführungsplanung TGA komplett einzustellen". Es geht um Elektrik, Lüftung und Brandschutz. Nach Abendblatt-Informationen hat die ReGe vor zwei Wochen gedroht, Hochtief die Erstellung der TGA-Ausführungsplanung zu entziehen, falls die Planung nicht bis zum 28. Februar vorliege.

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