2013 sollen die sieben kommunalen Verwaltungen in der Hansestadt 23 Millionen Euro einsparen. CDU befürchtet rigide Einschnitte.

Hamburg. Parks und Straßen verwahrlosen, die Wartezeiten in den Kundenzentren nehmen noch einmal deutlich zu - dieses Szenario zeichneten am Freitag Dietrich Wersich, CDU-Fraktionschef in der Bürgerschaft, und die sieben Unionsfraktionschefs in den Bezirksparlamenten. Sie stellten ein "internes Papier" der Finanzbehörde zum sogenannten Eckdatenbeschluss des Senats über drastische Einsparungen bei den Bezirksämtern vor. Demnach seien akut knapp 500 Stellen in den bürgernahen Verwaltungen in Gefahr. Denn die Bezirke sind verpflichtet, allein 2013 mehr als 23 Millionen Euro einzusparen. Und von 2014 bis 2017 weitere 62 Millionen Euro.

Dass in den Bezirken der Rotstift angesetzt werden muss, ist für Wersich noch nicht einmal eine Konsequenz der Schuldenbremse, die von 2020 an auch in Hamburg gelten soll. Es seien vielmehr die "millionenschweren Versprechungen" von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), "wie das dusselige Busbeschleunigungsprogramm über 35 Millionen Euro".

Um ihren "Konsolidierungsbeitrag" zu leisten, müssen die Bezirksämter vor allem ihre Personalkosten massiv senken. Das vom Senat vorgegebene Sparziel für 2013 entspräche einem Abbau von 468 Stellen, rechnete Wersich vor. Was das konkret für die Bezirke bedeutet, geht aus den Kleinen Anfragen hervor, die die CDU allen sieben Ämtern gestellt hat. Beispiel Mitte: Hier fielen 2013/2014 insgesamt 75 Stellen weg, der Bezirk Altona müsste ein Minus von 64 Stellen verkraften, und "je nach Höhe des Tarifabschlusses und der Inflationsrate aufwachsend bis 2014 bis zu 95 Stellen", heißt es in der Antwort des Bezirksamtes. Hintergrund: Sollten, wie zu erwarten, die Angestellten im öffentlichen Dienst bei den Tarifverhandlungen Ende 2012 mehr als eine 1,5-prozentige Lohnsteigerung erzielen, fielen noch mehr Stellen hintenüber. Ein Tarifabschluss, der auch nur ein Prozent über den einkalkulierten 1,5-Prozent läge, würde den Bezirk Altona weitere zehn Stellen kosten, sagte Wersich.

+++ Mehr Effizienz +++

+++ Kundenzentrum in Stellingen wird im Juni geschlossen +++

Fieberhaft suchen die Bezirksämter aktuell nach Einsparmöglichkeiten. Schon jetzt ist aber klar: Die Wahrnehmung aller Aufgaben in der bisherigen Form könne "unter den neuen Rahmenbedingungen nicht gewährleistet werde", heißt es aus fast allen Bezirksämtern. Eine positive Prognose wagt einzig der von Thomas Ritzenhoff (SPD) geleitete Bezirk Wandsbek. Der Erhalt der kompletten Angebots- und Aufgabenpalette sei "selbstverständlich Ziel der genannten Planungen".

Wie der Personalabbau hätte auch eine Kürzung bei den Sachkosten nach Einschätzung von Wersich fatale Folgen: "Grünanlagen, Wege und Straßen drohen zu verwahrlosen, Bauwerke können nicht mehr ausreichend unterhalten werden." Obgleich der Senat jüngst mehr Aufgaben und Kompetenzen an die Bezirke delegiert habe, würden sie nicht mit den benötigten finanziellen Mitteln ausgestattet. Von "mehr Macht für die Bezirke" könne kaum die Rede sein, zumal der Senat doch nur "politische Verantwortung auf sie abwälzen" wolle.

Erste Beispiele für die Folgen der Sparpolitik nannten die christdemokratischen Bezirks-Fraktionschefs. So werde der Personalmangel bei den Standesämtern in Altona dazu führen, dass Sterbeurkunden nicht rechtzeitig ausgestellt werden. In Eimsbüttel werde das Kundenzentrum Stellingen schließen, einige Grünflächen würden über ein Jahr lang nicht gepflegt werden können. In Bergedorf sollen die Einsparungen das Spielhaus Blaue Welle treffen, in Harburg hätten schon jetzt 42 ASD-Mitarbeiter Überlastungsanzeigen gestellt. In Wandsbek drohe die Schließung von Jugendeinrichtungen, in Mitte eine drastische Verlängerung der Wartezeiten, und der Bezirk Nord schließlich werde durch Personal- und Geldmangel rigide Probleme bei der Beseitigung der Winterstraßenschäden bekommen.

Mit der Sparlinie des Senats hadern offenbar auch einige Bezirks-Genossen. Gerade hat der Hauptausschuss der Bezirksversammlung Nord mit den Stimmen der SPD einen Antrag von GAL und CDU beschlossen, wonach der Senat vor dem Hintergrund der Abschlüsse bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst höhere Belastungen des Bezirksamts-Haushaltes auffangen soll. "Unser Bezirk ist, wie alle anderen auch, an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt", sagte SPD-Nord-Fraktionschef Thomas Domres. Die Einschnitte bekämen die Bürger noch empfindlich zu spüren. "Wenn der Senat die Bezirke weiter aussaugt, ist das Ende der Fahnenstange bald erreicht. Es ist Zeit, dass endlich die Fachbehörden Personal einsparen."

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel wies die Kritik der CDU an den Sparplänen zurück. Der Senat habe die Bezirke gestärkt, indem er sie von Doppel- und Dreifachaufgaben entlastet habe. Zwar stünden die Bezirksämter - "wie alle Behörden" - vor großen Herausforderungen. "Sie wären aber in einer komfortableren Lage, wenn sie nicht immer noch mit den Sparlasten der CDU-Finanzsenatoren Freytag und Frigge zu kämpfen hätten. Insofern sollten die CDU-Bezirks-Fraktionschefs, ehe sie neue Forderungen stellen, erst mal ihre eigene Verantwortung kritisch hinterfragen." Daniel Herder


Kinderkuren sind gefährdet

Chantal hat sich für rote Fingerfarbe entschieden. Mit ihrer kleinen Kinderhand hat sie einen Abdruck auf dem großen Transparent hinterlassen, das nun an der Wand des Flurs der Wohngruppe Seestern 1 hängt. "Ich möchte das Schlimme aus meiner Vergangenheit vergessen" steht dazu geschrieben. Daneben der grüne, etwas größere Handabdruck von Felix unter dem der Satz "Ich will teamfähiger werden" in unruhiger Schreibschrift. Darunter weitere Hände, begleitet mit Sätzen wie "Ich wünsche mir, keine Angst mehr zu haben", und "Meine Probleme sollen verschwinden". Sätze wie diese zeigen, dass Chantal, Felix und die anderen sechs- bis zwölfjährigen Kinder der Wohngruppe Seestern 1 augenscheinlich kein leichtes Leben in der Hansestadt führen.

Ihnen und Hunderten Hamburger Kindern aus sozial benachteiligten Familien ermöglicht die Rudolf-Ballin-Stiftung seit 1924 Jahr für Jahr vier unbeschwerte Wochen auf der Nordseeinsel Föhr - eine Zeit, in der sie mit pädagogischer und psychologischer Hilfe Abstand zu ihrem oft instabilen Elternhaus gewinnen und zur Ruhe kommen können. Die Kosten für die Kinderkuren in Höhe von zwei Millionen Euro jährlich trägt bislang die Stadt Hamburg - die Frage ist nur: Wie lange noch?

+++ Der Jugendhilfeausschusses kämpft gegen Kürzungen +++

+++ Unmut über Sparpläne: Kinder protestieren vorm Rathaus +++

+++ SPD spart drastisch bei Kinder- und Jugendhilfe +++

Sparen - und zwar an allen Ecken und Enden: Der groß angelegte Plan des SPD-Senats, bis 2020 das jährliche Ausgabenwachstum des Haushalts unter 0,88 Prozent zu halten, wird in vielen Ressorts deutlich zu spüren sein. Wo der Rotstift am stärksten angesetzt werden soll, wird sich vom kommenden Montag an in der dreitägigen Haushaltsklausur des Senats für die Jahre 2013/14 zeigen. Senator Detlef Scheele (SPD) hat bereits angekündigt, 67,5 Millionen Euro in der Sozialbehörde einzusparen. Mit der Schließung des KinderJugend-Hauses auf Föhr wären es auf einen Schlag nur noch 65,5 Millionen.

Für viele der insgesamt 600 Hamburger Kinder ist die Reise an die Nordsee der erste bewusste Schritt heraus aus der Großstadt. Ein Schritt, der gleichzeitig "raus aus den alltäglichen Sorgen" bedeutet. Seit 1924 betreibt die Hamburger Rudolf-Ballin-Stiftung das Haus in Wyk, das im Jahr 1883 als erstes deutsches Seehospiz an der Nordseeküste eröffnet wurde. Für die 40 Mitarbeiter und Detlef Ermisch, der seit 26 Jahren die Einrichtung führt, ist die Überlegung des Sozialsenators ein Schock. "Die Arbeit, die hier geleistet wird, ist in der Hansestadt nicht umsetzbar", sagt er.

"Die Insel dient als Katalysator. Nur mit dem Abstand zur gewohnten Umgebung ist eine intensive pädagogische Arbeit möglich, in der die Kinder Vertrauen aufbauen und neue Bindungen zulassen können", sagt Ermisch weiter. Ein Großteil der betreuten Kinder und Jugendlichen zwischen sieben und 16 Jahren weisen ein aggressives Verhalten auf, leiden unter einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom oder leben in finanzieller Not. Für viele ist ein geregelter Tagesablauf nicht vorstellbar: Gegessen wird vor dem Fernseher, und immer wieder müssen sie sich mit neuen Lebenspartnern der Eltern arrangieren. Viele leben in sozial schwachen Stadtteilen wie Billstedt oder Mümmelmannsberg, 35 Prozent besitzen einen Migrationshintergrund. "Zu uns kommen auch Kinder, die in instabilen Familienkonstellationen leben oder häusliche Gewalt erleben", sagt Sozialpädagogin Renate Banko, die seit vielen Jahren in der Einrichtung arbeitet. "Manchmal sorgt jedoch bereits eine neue Umgebung dafür, dass die Jugendlichen sich verändern. Kinder, die als aggressiv beschrieben wurden, weisen in einigen Fällen nach nur wenigen Tagen eine hohe Sozialkompetenz auf."

Auch im Klassenzimmer, in dem an diesem Tag acht Jugendliche ihre aus Hamburg mitgebrachten Schulaufgaben bearbeiten, ist es erstaunlich leise. Kaum vorstellbar, dass im Schnitt sieben der zehn Kinder, die an den Schultischen sitzen, verhaltensauffällig sein sollen. "Hier kann man sich viel besser konzentrieren. Es ist ruhig, jeder arbeitet in seinem Tempo. Außerdem erklärt Kerstin uns die Aufgaben viel besser als die Lehrer in Hamburg ", sagt die 15 Jahre alte Mina. Für Kerstin, die mit vollem Namen Kerstin Elvert heißt, ist es selbstverständlich, dass sie hier auf Föhr von ihren Schülern geduzt wird. "Ich vertrete hier eher die Rolle einer Freundin, weniger die einer Autoritätsperson", betont sie. " Ich will den Kindern zeigen, dass Schule Spaß machen kann, damit sie ihr Selbstwertgefühl wiedererlangen."

Mehr noch als in der Schule soll dies im wöchentlichen sozialen Kompetenztraining gefördert werden, das Renate Banko gemeinsam mit Kollegen betreut. In einer der wöchentlichen Sitzungen haben die Kinder die Aufgabe, einander Komplimente zu machen. "Wenn andere Menschen dir sagen, dass du stark, wertvoll und schön bist, dann ist das für Kinder, die sonst nur negatives Feedback bekommen, eine großes Geschenk", sagt die Pädagogin.

Als ein Geschenk sieht Wyks Bürgermeister Heinz Lorenzen die gesamte Einrichtung der Ballin-Stiftung an. Um sie zu unterstützen, hat er deshalb am vergangenen Donnerstag mit dem Bauausschuss der Stadt einen Aufstellungsbeschluss auf den Weg gebracht, um den Bebauungsplan für das 25 000 Quadratmeter große Grundstück des Heims zu ändern. "Unser Ziel ist es, das Gelände als Sondergebiet auszuweisen, auf dem lediglich ein Kinder- und Erholungsheim betrieben werden darf", sagt Lorenzen, der grundsätzlich hofft, dass das Heim in Wyk weiterbestehen kann. "Wir wollen damit Fehlentwicklungen vorbeugen und die Erwartungen dämpfen, sollte die Stadt Hamburg vorhaben, nach einer Schließung dieses attraktive Grundstück zu verkaufen."

In einem Brief an Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz kritisiert Lorenzen die Haushaltspolitik der Hansestadt, die seiner Meinung nach im Widerspruch zu einer Sozialpolitik steht, die sich dem Grundsatz verpflichtet fühlen müsse, vor allem jenen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können.

Wie die Stadt Hamburg auf die aktuellen Entwicklungen reagiert, ob auch in Zukunft die Kinderkuren auf Föhr ermöglicht werden oder sie dem Sparplan zum Opfer fallen, soll sich im Juli entscheiden.

Eine Arbeitsgruppe unter der Federführung der Hamburger Sozialbehörde prüft derzeit, ob es Alternativen zu dem Angebot in Wyk auf Föhr gibt. Harald Clemens, Geschäftsführer der Rudolf-Ballin-Stiftung, bedauert, dass bislang noch kein Behördenmitarbeiter die Einrichtung selbst besucht hat. "Sozialstaatsrat Jan Pörksen ist von uns im Februar nach Föhr eingeladen worden, hat jedoch Anfang April aus Zeitgründen abgesagt", sagt Clemens.

Ein weitergehendes Gesprächsangebot habe es bis heute leider nicht gegeben. Laura Fölmer