Rund zehn Prozent soll der Ausschuss in den kommenden Monaten einsparen. Geld, das für Projekte mit Kindern und Jugendlichen benötigt wird.

Finkenwerder. Ralf Neubauer hat viele Freunde. 709 sind es auf seiner Facebook-Seite. Mit diesen Facebook-Freunden tauscht sich der Finkenwerder über Gott und die Welt aus - mal öffentlich für alle Facebook-Nutzer, mal privat für seine wirklichen Freunde. Mal sinniert der 30-Jährige über den letzten "Tatort", mal über seinen politischen Konkurrenten von der CDU, den Bürgerschaftsabgeordneten Heiko Hecht, 34. "Unser Sonnenscheinchen" nennt ihn Ralf Neubauer im Netz.

"Eine Dreiviertelstunde am Tag geht schon für Facebook drauf", sagt Ralf Neubauer an diesem Nachmittag im Restaurant Landungsbrücke. "Facebook ist eine Zeitvernichtungsmaschine, da sind viele Banalitäten drin."

Die Facebook-Zeit des Ralf Neubauer geht eigentlich über sein Zeitkonto hinaus. Denn er hat nicht nur ehrgeizige berufliche Pläne. Er ist auch in der Politik im Bezirk Mitte eine Nummer. Ralf Neubauer ist Sozialdemokrat und seit 2008 Mitglied der Bezirksversammlung und des Regionalausschusses Finkenwerder. Seit dem 19. März hat er ein weiteres Amt inne: Er ist Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses in Mitte. Der Ausschuss verteilt jährlich knapp sechs Millionen Euro für die offene Kinder- und Jugendarbeit - Geld für Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen und Suchtprävention.

Sechs Millionen Euro sind eine Menge Geld, das viel bewirken kann in Mitte. In einem Bezirk, in dem viele Kinder leben, die weniger Chancen haben als Kinder in reicheren Bezirken, weil ihre Eltern schlecht Deutsch sprechen und das Schulsystem nicht verstehen. Weil die Eltern den Kindern weniger Angebote machen, die wichtig wären für die Entwicklung junger Menschen. Und weil manche Eltern Bildung für nicht so wichtig halten wie Eltern in Blankenese.

Ralf Neubauer "freut sich trotz der widrigen Umstände über seine Wahl in den Jugendhilfeausschuss Hamburg-Mitte", schreibt das frisch gebackene Ausschussmitglied am 23. Februar auf seiner Facebook-Seite.

Die widrigen Umstände liegen auf der Hand. Ohne den Fall Chantal - das Mädchen aus dem Wilhelmsburger Reiherstiegviertel, das nur elf Jahre alt wurde, weil es bei seinen drogenabhängigen Pflegeeltern an einer Dosis Methadon starb - wäre Ralf Neubauer nicht Vorsitzender des Ausschusses geworden. Ohne Chantal hätte Bezirksamtsleiter Markus Schreiber nicht zurücktreten müssen. Ohne Chantal hätte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs nicht seinen Ausschussvorsitz niedergelegt - nach 18 Jahren! Und ohne Chantal wäre der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Andy Grote nicht neuer Bezirksamtsleiter geworden. Das Schicksal eines Kindes beendet und begründet Karrieren.

Mit Andy Grote, 43, verbindet Ralf Neubauer nicht nur eine politische Freundschaft: Die beiden haben von 2004 bis 2008 in der Talstraße auf St. Pauli in einer Zweier-Wohngemeinschaft gelebt. Müll wegbringen, das Klo putzen, kochen, feiern, Damenbesuche: So etwas schweißt Männer zusammen, auch wenn Mann kein Genosse ist.

Ralf Neubauer trat ein Jahr vor dem Abitur in die SPD ein. Groß geworden ist er im 2000-Einwohner-Dorf Blaufelden im Landkreis Schwäbisch-Hall in Baden-Württemberg. Sein Vater Reinhold, 56, ist gelernter Kfz-Mechaniker und arbeitet heute als Industriekaufmann im Baustoffhandel. Seine Mutter Hannelore, 56, ist Grundschullehrerin.

Als Pennäler war Ralf Neubauer eher ein Spätstarter. Er verließ die Realschule Blaufelden mit einem Schnitt von 2,1. "Ich war lange Zeit ein ziemlich fauler Schüler, das hat sich erst sehr spät gelegt", sagt Ralf Neubauer. "Ich bin heute froh, dass ich mit sanftem Druck von Zuhause noch das Abi auf dem Wirtschaftsgymnasium Crailsheim gestemmt habe.

Mit einem Abi-Schnitt von 1,8 in der Tasche zog Ralf Neubauer nach Bremen, diente als Zivildienstleistender in der Villa Vita. Arbeit mit Behinderten, das volle Programm. In Bremen startete Ralf Neubauer auch sein Jura-Studium, wechselte später nach Hamburg. Das erste und zweite Staatsexamen hat er mit der Note "befriedigend" abgeschlossen. Nun will er Anwalt für öffentliches Recht werden.

Als er im Jugendhilfeausschuss anfing, habe er oft nur Bahnhof verstanden, sagt Ralf Neubauer. Da war von "HZE", "SHA" und "OKJ" die Rede - "Hilfen zur Erziehung", "sozialräumliche Hilfe und Angebote" und "offene Kinder- und Jugendarbeit". Ja, er will sich von seinem omnipräsenten Vorgänger Johannes Kahrs abgrenzen und neue Wege gehen. "Ich versuche es mehr auf Konsens, Johannes war da etwas straffer." Jetzt gilt es erst einmal, Sparpläne von Sozialsenator Detlev Scheele (SPD) abzuwehren. 600 000 Euro soll der Bezirk Mitte in der offenen Kinder- und Jugendarbeit sparen - zehn Prozent. "Ich habe am Mittwoch eine Stunde mit dem Senator gesprochen. Die geplanten Kürzungen haben eine katastrophale Symbolik, nachdem in unserem Bezirk ein Kind gestorben ist", sagt Ralf Neubauer. "Es würde mir sehr wehtun, wenn wir gezwungen wären, Einrichtungen zu schließen."

"Der Ralf ist ehrgeizig, aber nicht verbissen", sagen Genossen, die ihn kennen. Sie sagen auch: "Der Ralf will sich noch mal in höheren Ämtern beweisen". Dass Ralf Neubauer bei der Bürgerschaftswahl 2015 kandidieren will, ist nicht nur unter Finkenwerder Sozialdemokraten ein offenes Geheimnis. Wer Ralf Neubauer auf seine Ambitionen anspricht, bekommt keine Antwort, nur ein Lächeln. Der aktuelle Finkenwerder Bürgerschaftsabgeordnete Jan-Hinrich Fock ist 66 Jahre alt. Er sagt: "Wir werden im Spätsommer 2014 in unserem Distrikt den Finkenwerder Kandidaten für die nächste Bürgerschaftswahl aufstellen." Fock hält Neubauer für einen "sehr guten Mann".

Rund vier Stunden Zeit investiert Ralf Neubauer täglich in seine politische Arbeit. Ausschüsse, Gremien, Telefonate, E-Mails, Netzwerken: "Das ist ein ziemlich zeitraubendes Engagement", sagt der bekennende Nicht-Autofahrer. Zurzeit ist er Single, wohnt am Norderdeich in einer Zwei-Zimmer-Wohnung der Baugenossenschaft Finkenwärder-Hoffnung. Seinen persönlichen Lebensentwurf bezeichnet er als "eher klassisch: Ich möchte mit einer Frau in einem Einfamilienhaus Kinder großziehen, am liebsten auf Finkenwerder". Politisch sieht er sich als "konservativ sozialdemokratisch".

Wenn Ralf Neubauer einmal nicht arbeitet, lässt er auch gerne Fünfe gerade sein. Davon kann man sich auch auf seiner Facebook-Seite überzeugen: Dort sieht man einen entspannten, nicht ganz durchtrainierten Dreißigjährigen mit zwei jungen Damen im Arm. "Das war morgens um vier Uhr auf einer Party in St. Georg", sagt Ralf Neubauer. Er steht zu seinen Feierfotos: "Mir ist nichts peinlich, was ich auf meine Facebook-Seite stelle. Ich bin ja noch nicht siebzig."