Hamburg. Mann schießt mit Gewehr durch Tür seiner pakistanischen Nachbarin. Landgericht sieht “tief sitzende rassistische Grundeinstellung“.

Noch kurz vor der Tat nimmt der Angeklagte ein Video auf. Darin äußert er rassistische Beleidigungen und verkündet: „Ich bringe euch den Tod.“ Es ist nur eines von vielen Videos, die der nun wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Haft Verurteilte drehte.

Einer von vielen Belegen für seine nach wie vor rechtsradikale Gesinnung, die das Landgericht Hamburg am Donnerstag bei der Urteilsverkündung anführte.

Nach Überzeugung der Strafkammer schoss der Deutsche am 27. Mai dieses Jahres mit einem Repetiergewehr durch die geschlossene Wohnungstür seiner pakistanischen Nachbarin in Hamburg-Niendorf.

Landgericht Hamburg verurteilt Neonazi zu sieben Jahren Haft

Sein Vorhaben habe sich nicht gegen eine bestimmte Person, sondern gegen beliebige, sich in der Wohnung aufhaltende Personen gerichtet, sagte die Vorsitzende Richterin, Jessica Koerner. Das Gericht sprach den 49 Jahre alten Angeklagten auch wegen des unerlaubten Führens einer Schusswaffe samt Munition und wegen Sachbeschädigung schuldig.

Es sei eine Tat, „bei der glücklicher- und zufälligerweise niemand verletzt wurde“, betonte Koerner. Dabei habe sich ein vernichtendes Gedankengut gezeigt. Gegen 21.40 Uhr sei der Angeklagte die Treppen zur Wohnung unter ihm hinabgestiegen.

Vor der Tür angekommen, habe er – wie ebenfalls durch ein Handyvideo festgehalten – zwei Handlungsoptionen abgewogen: klingeln und dann auf Personen schießen oder direkt auf die geschlossene Tür schießen?

Neonazi schießt durch geschlossene Wohnungstür

Der 49-Jährige entschied sich für einen „Überraschungsangriff durch die Tür“, wie es Koerner beschrieb. Nach ihren Worten fand er sich damit ab, dass seine „Erfolgsaussichten“ dadurch herabgestuft wurden. Seine 25 Jahre alte Nachbarin, von deren Schwangerschaft der Angeklagte nach eigenen Angaben nichts wusste, und ihre Schwiegermutter befanden sich im Wohnzimmer.

Deshalb seien sie nicht verletzt worden, betonte Koerner. Stattdessen durchschlug das Projektil in Höhe von rund einem Meter die Tür und eine Kommode und blieb in der Wand stecken. Noch in der Nacht auf den 28. Mai habe der Angeklagte zur Polizei gesagt, er bereue es, nicht getroffen zu haben. Außerdem soll er betont haben, dass er zum Massenmörder werde, wenn er rauskomme.

"Tief sitzende rassistische Grundeinstellung" seit der Jugend

Bereits in seiner Jugend hat sich bei dem Angeklagten laut Koerner eine „tief sitzende rassistische Grundeinstellung“ verankert sowie Gedankengut, das die NS-Ideologie verherrliche. Ab 2019 soll es dann zu einer Radikalisierung gekommen sein, die letztlich in dem Mordversuch mündete.

Zum damaligen Zeitpunkt zogen minderjährige Flüchtlinge unter dem Angeklagten ein. Nach eigenen Angaben fühlte er sich durch deren Lärm gestört. Er führte Lärmprotokolle, rief oft die Polizei und bezeichnete die Nachbarn laut Koerner als „Affen“ und „Terroristen“.

2023 spitzte sich die Lage zu

Als 2021 die neuen pakistanischen Nachbarn einzogen, ist es der Richterin zufolge ruhiger geworden. Doch der Angeklagte beschwerte sich weiter über Lärm, er habe ruhige deutsche Nachbarn gewollt, schilderte sie. 2022 habe er nach gesundheitlichen Problemen seine Anstellung als Maurer verloren, 2023 sei seine Lebensgefährtin ausgezogen. Durch diese beiden Ereignisse spitzte sich die Lage nach den Worten der Richterin zu.

Ein Neonazi schoss im Mai mit einem Gewehr auf die Tür seiner pakistanischen Nachbarin. Die Polizei Hamburg rückte mit einem Großaufgebot an.
Ein Neonazi schoss im Mai mit einem Gewehr auf die Tür seiner pakistanischen Nachbarin. Die Polizei Hamburg rückte mit einem Großaufgebot an. © Michael Arning | Michael Arning

Letztlich sah das Gericht durch ein Motivbündel aus Fremdenfeindlichkeit, persönlicher Frustration und aufgestautem Aggressionspotenzial das Mordmerkmal niedriger Beweggründe für die Tat gegeben. Diverse Textnachrichten und Aufnahmen würden sein nach wie vor rassistisches Gedankengut belegen.

Polizei Hamburg findet Hitler-Bild und NPD-Material

Ein selbst aufgenommenes Bild von dem Hinterkopf einer schwarzen Person, habe er etwa mit den Worten kommentiert: „Ich fahre schon nach Niendorf oder nach Simbabwe? Der Viehwaggon war doch immer hinten.“

Auch ein Hitler-Bild, NPD-Material und eine „Refugees not welcome“-Fahne seien bei ihm gefunden worden. All das mache klar, dass sich der Angeklagte „keinesfalls von seiner - wie er es selbst ausdrückte – Neonazi-Vergangenheit distanziert hatte“, folgerte die Richterin.

Als weiteres Mordmerkmal sah das Gericht auch Heimtücke gegeben. Es sei ein Überfall in einem geschützten Raum gewesen. „Wo, wenn nicht im eigenen Zuhause, soll man sich denn eigentlich sicher fühlen?“, sagte Koerner. Beide Mordmerkmale wertete das Gericht zulasten des Angeklagten – genau wie die Folgen der Tat für seine Nachbarin. Die junge Frau befinde sich noch immer in einer Traumatherapie und habe aus der Wohnung ausziehen müssen.

Alkoholbedingte Enthemmung strafmindernd eingeflossen

Zugunsten des 49-Jährigen wertete die Kammer dagegen, dass er das objektive Tatgeschehen eingeräumt hatte. Auch die gesundheitliche Belastung des Angeklagten und eine gewisse alkoholbedingte Enthemmung seien strafmindernd eingeflossen. Genau wie der Umstand, dass niemand verletzt wurde und dass nur ein bedingter Tötungsvorsatz festgestellt wurde.

Das Gericht blieb etwas unter der Forderung der Staatsanwältin, die acht Jahre Haft gefordert hatte. Maximal fünf Jahre, wie von der Verteidigerin beantragt, wären aufgrund des Vorliegens der zwei Mordmerkmale, der Bagatellisierung der Tat durch den Angeklagten und seines Gedankenguts zu wenig gewesen, betonte Koerner. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte selbst sagte in seinem sogenannten letzten Wort, dass es ihm sehr leid tue.