Hamburg. Die renommierte Schriftstellerin erhielt in Hamburg den gut dotierten Hannelore-Greve-Literaturpreis und plädierte für Meinungsvielfalt.

Mehr als 200 festlich gekleidete Menschen unter drei prachtvollen Kronleuchtern im imposanten Großen Festsaal. Stuck, Gemälde, schwarzer Marmor. Neben Karen Pein, Senatorin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, ist auch Sabine Witt, Vorsitzende der Hamburger Autorenvereinigung, ins Hamburger Rathaus gekommen, sowie der Journalist Tilman Krause als Laudator. Zum zehnten Mal wird an diesem Donnerstag der Hannelore-Greve-Literaturpreis verliehen. Die Jury der Autorenvereinigung hatte sich bereits im Frühjahr für die SchriftstellerinJuli Zeh entschieden, Autorin der Romane „Unterleuten“, „Über Menschen“ und „Zwischen Welten“. Alles Bestseller.

Eine Person jedoch fehlt an diesem Vormittag. Es ist das erste Mal, dass die Namensgeberin des Preises, Hannelore Greve, nicht an der Verleihung teilnimmt. Die ehemalige Unternehmerin, Stifterin und Hamburger Ehrenbürgerin ist im Oktober 2023 gestorben. Ihre Tochter, Eva-Maria Greve, ist Vorstand der Hannelore und Helmut Greve Stiftung für Kultur und Wissenschaften und übergibt die Urkunde an Preisträgerin Zeh. Der Preis wird alle zwei Jahre für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der deutschsprachigen Literatur vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.

Juli Zeh: „Eine der produktivsten und profiliertesten deutschen Schriftstellerinnen“

„Bei Juli Zeh handelt es sich um eine der produktivsten und profiliertesten deutschen Schriftstellerinnen, die wir haben“, erklärt Krause in seiner Rede. Zeh, promovierte Juristin und ehrenamtliche Richterin beim Verfassungsgericht in Brandenburg, greift in ihren zahlreichen Werken aktuelle Themen und Debatten auf – wie den Klimawandel, den Krieg in der Ukraine, Rassismus oder die unterschiedlichen Lebensrealitäten in Stadt und Land. Ihr jüngster Briefroman „Zwischen Welten“, den sie gemeinsam mit dem Hamburger Autor Simon Urban geschrieben hat, spielt zum Teil in der Hansestadt.

Aber Zeh ist nicht allein für ihre Literatur bekannt, sondern auch für eine aktive Diskursbeteiligung und zum Teil umstrittene Ansichten. So hat sie beispielsweise gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine argumentiert und während der Corona-Pandemie in einem offenen Brief die Beendigung des Lockdowns gefordert. „Sie hat keine Angst, es sich mit den Meinungsführern dieser Republik zu verderben, wenn sie für ihre Überzeugungen einsteht“, fasst es Krause zusammen.

Bestseller-Autorin Juli Zeh fragt nach der Kraft, die unsere Gesellschaft zusammenhält

„Ich bin sehr angefasst und sehr gerührt. Ich wollte eigentlich nur fünfmal danke sagen – und dann Schluss machen, weil ich dachte, Sie wollen alle Mittag machen“, so sympathisch-locker beginnt die Preisträgerin ihre Rede. Doch nach der „ultimativen Laudatio“, durch die sie sich „von innen heraus warm ausgeleuchtet“ fühle, könne sie nun nicht anders, als nachzulegen.

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Die frei gehaltenen Worte von Zeh hinterlassen an diesem Vormittag auch ein Gefühl, das gerade eher selten vorbeischaut: Hoffnung. Juli Zeh stellt die Frage, welche Kraft Orientierung bietet, was die Gesellschaft als Existenzgemeinschaft zusammenhält. Das mag in früheren Jahrhunderten lange die Religion gewesen sein oder die Nation inklusiver rassischer Vorstellungen – Dinge, die heute (zum Glück!) flächendeckend nicht mehr gelten. Doch was liefert den Konsens, auf den sich ein Staat stützen kann?

Juli Zeh erhält Literaturpreis im Hamburger Rathaus – und spricht sich für Meinungsdiversität aus

Juli Zeh hat „das gemeinschaftliche Selbstgespräch, das wir miteinander als Gesellschaft führen“ als Antwort ausgemacht. Und sieht sich in der persönlichen Verantwortung, gar Verpflichtung, sich am Diskurs zu beteiligen. „Meine tiefste Überzeugung ist es, dass wir das brauchen – und zwar nicht, weil individuelle Freiheit etwas ist, das gut klingt. Sondern weil ich überzeugt bin, dass diese Art von Generalgespräch das neue Fundament ist, worauf sich unser Staat stützen muss.“

Eine Gefahr sieht Juli Zeh in der Entwicklung, multiplen Krisen mit möglichst großer „Meinungseinigkeit“ begegnen zu müssen, um Stabilität zu schaffen. Dies sei ein Irrtum: Stattdessen brauche es für eine demokratische Gesellschaft kritische und hinterfragende Stimmen – und das allgemeine Einverständnis darüber, dass Meinungsdiversität und -freiheit herrschen muss. Großer Applaus.