Neuengamme. Carola Veit, Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, spricht beim Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt in Neuengamme Klartext.

An zahlreichen Orten wurden am Volkstrauertag Kränze niedergelegt, um der Opfer von Krieg und Gewalt zu Gedenken. Hamburgs zentrale Gedenkfeier war in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Am ehemaligen Arrestbunker, mitten in dem früheren Konzentrationslager, versammelten sich zahlreiche Repräsentanten etwa politischer Parteien, der Verwaltung und der Bundeswehr. Zu den Gästen zählten Hamburgs Zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank (Grüne), und Schulsenator Ties Rabe (SPD). Carola Veit (SPD), Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, sprach vor den Versammelten deutliche Worte.

„Alle anständigen Deutschen sollten sich auch 80 Jahre danach noch schämen“, sagte die Bürgerschaftspräsidentin. Der Volkstrauertag mahne, an die Verbrechen der Vorfahren zu erinnern. „Wir dürfen aber auch nicht zusehen, dass sich unsere Kinder mitschuldig machen.“ Denn Antisemitismus sei auch nach Kriegsende nie ganz verschwunden aus Deutschland. „Der Schoß ist noch fruchtbar.“

Carola Veit: „Alle anständigen Deutschen sollten sich schämen“

Carola Veit betonte, dass aber auch der Opfer heutiger Kriege und Konflikte gedacht werde, etwa der Israelis, die „abscheulichen Angriffen der Terrorgruppe Hamas“ zum Opfer fielen. Die „beispiellose Ermordung von sechs Millionen Juden und Jüdinnen war der Grund für die Gründung des Staates Israel“, erinnerte Carola Veit. „Ihn werden wir ohne Wenn und Aber verteidigen.“ Es sei schlimm, dass auch in Deutschland, auch „in unserem weltoffenen Hamburg“, Juden wieder Angst vor Anfeindungen und Gewalt haben. Manche würden sich auch nur für Israel einsetzen, um einen Deckmantel zu haben „gegen ihren Hass gegen Muslime“. Doch „wir dulden hier keinen Glaubenskrieg“, sagte Carola Veit.

Stefan Romey (Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte) schildert den Anwesenden eindringlich, wie es seiner Mutter als 16-Jähriger im Hamburger Feuersturm 1943 (Operation Gomorrha) erging.
Stefan Romey (Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte) schildert den Anwesenden eindringlich, wie es seiner Mutter als 16-Jähriger im Hamburger Feuersturm 1943 (Operation Gomorrha) erging. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Stefan Romey von der Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte berichtete von seiner Mutter Elsa, die die Operation Gomorrha im Sommer 1943 in der Innenstadt als 16-Jährige miterlebte, als weite Teile Hamburgs in einem Feuersturm verwüstet wurden. „Ihr Haus wurde zerstört. Sie hat mir geschildert, was sie damals erlebte, von Phosphorbränden auf den Fleeten und auf Babygröße verkohlten Leichen“, sagte Stefan Romey. Seine Mutter habe später immer zu ihm gesagt, dass Frieden das Wichtigste sei. „Deshalb ist es unsere Aufgabe, diejenigen zu stoppen, die unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat zerstören wollen.“

Nach der Befreiung wog sein Großvater nur noch 37 Kilogramm

Dritter Redner war Kristof van Mierop von der Amicale Belge de Neuengamme und Generalsekretär der Amicale Internationale KZ Neuengamme. Der Belgier sprach von seinem Großvater Roger Vyvey, einem Mitglied des belgischen Widerstands und ab Sommer 1944 Häftling im KZ Neuengamme. „Er kam mit 1359 anderen Belgiern nach Neuengamme. Von ihnen haben nur etwa 200 überlebt. Zu ihnen gehörte mein Großvater.“

Vor seiner Verhaftung habe Roger Vyvey 68 Kilogramm gewogen, nach seiner Befreiung seien es nur noch 37 Kilogramm gewesen, berichtete der Enkelsohn. Er komme zweimal im Jahr nach Neuengamme. Obwohl das frühere Konzentrationslager „ein schrecklicher Ort“ sei, fühle es sich inzwischen jedes Mal „wie eine Heimkehr“ für ihn an: „Hier treffe ich viele Menschen, die ich inzwischen als Freunde bezeichne – andere Angehörige sowie Mitarbeiter der Gedenkstätte und anderer Organisationen“, sagte Kristof van Mierop.

Kristof van Mierop (Amicale Belge de Neuengamme und Generalsekretär der Amicale Internationale KZ Neuengamme) berichtet vom Schicksal seines Großvaters Roger Vyvey, einem Mitglied des belgischen Widerstands, das 1944 im KZ Neuengamme inhaftiert worden war.
Kristof van Mierop (Amicale Belge de Neuengamme und Generalsekretär der Amicale Internationale KZ Neuengamme) berichtet vom Schicksal seines Großvaters Roger Vyvey, einem Mitglied des belgischen Widerstands, das 1944 im KZ Neuengamme inhaftiert worden war. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

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Vandalismus, Schmierereien, Angriffe im Internet: In Deutschland häufen sich die rechtsextremen Angriffe auf Gedenkstätten. Dies berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland unter Berufung auf eine eigene Umfrage bei den Gedenkstätten Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen, Neuengamme und Sachsenhausen/Ravensbrück bereits im September. Dr. Iris Groschek, Sprecherin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bestätigt, dass die Zahl der Vorfälle, die allesamt vermerkt werden, stark zugenommen hat: „Im vergangenen Jahr waren es vier, in diesem Jahr sind es schon 17.“

Neben Schmierereien auf dem Gedenkstättengelände gehe es auch um bekannte Rechtsradikale, die die Gedenkstätte vom Jean-Dolidier-Weg aus filmen und für Nazi-Propaganda im Internet missbrauchen. „Die Situation hat sich negativer entwickelt. In den sozialen Medien wird inzwischen offener rechtsradikal und rassistisch gesprochen. Einige Plattformen werden bewusst dafür genutzt. Deshalb wirken die Verantwortlichen so laut und präsent, obwohl sie ja in der Minderheit sind“, sagt die Sprecherin.

„Brandmauer gegen rechts muss mit Leben gefüllt werden“

„Rechte Diskurse sind gesellschaftsfähiger geworden. Die Menschen trauen sich, Sachen zu sagen und zu tun, die vor einigen Jahren stärker geächtet worden wären“, sagt Dr. Oliver von Wrochem, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte und Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Die Gesellschaft müsse sich diesem Trend entgegenstellen „und zeigen, dass sie wehrhaft ist“.

Von Wrochem: „Die Brandmauer gegen rechts muss mit Leben gefüllt werden.“ Dazu gehöre etwa auch, dass einer starken AfD weiterhin von den anderen Parteien die Zusammenarbeit verweigert werde, „auch wenn sie wie in Thüringen möglicherweise um die 35 Prozent holt“, betont der renommierte Historiker. Darauf sei in Zeiten, in denen die AfD auf kommunaler Ebene geduldet wird, besonders genau zu achten. Ihn erstaune es, dass viele Menschen bereit sind AfD zu wählen, „obwohl diese Partei zumindest in Teilen rechtsextrem ist“.

Vertreter zahlreicher Verbände und Institutionen trotzen dem Regenwetter und gedenken in Neuengamme der Opfer von Krieg und Gewalt.
Vertreter zahlreicher Verbände und Institutionen trotzen dem Regenwetter und gedenken in Neuengamme der Opfer von Krieg und Gewalt. © Thomas Heyen | Thomas Heyen