Bergedorf. Wie die Redaktion der traditionsreichen Schülerzeitung am Hansa-Gymnasium versuchen will, kreativer und kritischer zu werden.

Ist es wirklich das Gerücht über die Lehrerin, die zu Hause Cannabis anbaut? Der Bericht von der jüngsten Klassenfahrt oder eine Überlegung zu den Menschenrechten im fußballbegeisterten Katar? Nicht einfach ist die Themenauswahl für den Wecker am Hansa-Gymnasium, der vielleicht ältesten Schülerzeitung in ganz Hamburg. Was ist cool und witzig? Was wollen die 800 Hansa-Schüler lesen?

„Wir wissen nicht, wie wir moderner werden können, das Print hat so einen altmodischen Hauch. Aber wie können wir digital werden?“, fragte nun die Chefredaktion im Verlag der 150 Jahre alten Bergedorfer Zeitung – und brachte eine erste Ausgabe des Weckers am Hansa-Gymnasium mit, aus dem Juni 1955. „Eine gut geleitete, die innere Werte des Menschen betrachtende und fördernde Zeitung stellt eine Bereicherung des schulischen Lebens dar“, hatte einst der Vize-Schulleiter „zum Geleit“ geschrieben.

Mit der Schülerzeitung Wecker die Schuldemokratie stärken

So ähnlich sehen das Mark Jürgens (16) und Laura Dolud (15) auch heute: „Auch, wenn gerade alle nur schnelle Witze auf TikTok lesen, wollen wir politischer werden, Humor und Politik verbinden. Und statt nur Lehrer-Interviews zu drucken, viel mehr rausgehen und gut recherchieren“, betonen die Gymnasiasten von der Hermann-Distel-Straße, die gern auf Halbwahrheiten und Fake News verzichten. Vielmehr möchten sie die Schuldemokratie stärken und freuen sich über den neuen Rektor, der sagte, sie könnten schreiben, was sie wollen: „Zum Glück müssen wir jetzt vorab nichts mehr vorlegen“, sagt Laura und fügt hinzu: „Wir wollen, dass der Wecker wieder ikonisch wird!“

Also drastisch und anschaulich, einfach so begehrt wie früher. Denn in Zeiten, zu denen noch das Bergedorfer Kaufhaus Hertie Anzeigen schaltete, Foto Zander und (bis heute) Fahrrad Marcks, hatte der Wecker eine doppelt so hohe Auflage wie es Hansa-Schüler gab – und war sogar an den Lohbrügger Nachbarschulen sehr beliebt. Nummer 30 hatte sogar eine Auflage von 1000 Exemplaren, bemerkt Arne Andersen in seinem Buch „Die Bergedorfer APO“, das im Kultur-& Geschichtskontor erschien. Er erinnert daran, dass Rektor Charbonnier einst eine Lehrerkarikatur-Reihe nicht zuließ: „Er beorderte über das Wochenende das Kollegium, das dann in allen Exemplaren diese Seite entfernen musste.“ Auch wenig amüsiert war der gestrenge Pädagoge 1967 über einen Artikel zur Demonstration gegen den Schah-Besuch in Hamburg – samt einer Tüte Tomaten.

Doch längst muss der Wecker auf ein vierteljährliches Erscheinen verzichten, nur jeweils im Dezember gibt es 64 Seiten zu lesen: „Durch G 8 haben wir so viel Stress, da hat kaum einer mehr Zeit für die Redaktionsarbeit“, klagt Mark, der gern Journalist werden möchte. Schon jetzt arbeitet er im dpa-fact-checking-team, in der Jugendredaktion des Hamburger Bürgerkanals tide – und trägt nebenher das Bille Wochenblatt aus.

So sah das Titelblatt aus von der ersten Ausgabe der Schülerzeitung Der Wecker vom Juni 1955.
So sah das Titelblatt aus von der ersten Ausgabe der Schülerzeitung Der Wecker vom Juni 1955. © BGZ | strickstrock

Gerade mal zehn Schüler engagieren sich noch für den Wecker und treffen sich jeden Donnerstag für 40 Minuten zum Brainstorming in der Mittagspause. Dabei wollen sie gute Traditionen bewahren, wiederkehrende Rubriken wie das (selbst erfundene) Horoskop erhalten und den „Lehrer im Sack“, den es zu erraten gilt. Neu hinzu kam der „Stiftung Wecker-Test“ zu Produkten wie Kakao, Eistee oder auch Biersorten. Dazu das Lehrer-Quiz mit 13 Fragen (längst nicht jeder wusste, dass die Schule 1883 gegründet wurde, die Aula 1969 abgebrannt ist oder dass neben dem Haupteingang die Figur der Athene zu finden ist).

Gedruckte Zeitung einmal im Jahr – online Reichweite erzielen

„Wir könnten noch einen regelmäßigen Online-Blog machen. Aber vielleicht fehlt uns dafür auch ein bisschen Selbstbewusstsein“, überlegt Chefredakteurin Laura, deren kleines Redaktionsteam zuletzt frustriert war: Gerade mal 150 von 225 gedruckten Exemplaren konnten für jeweils einen Euro verkauft werden.

„Wenn ihr nicht mal jeden fünften Hansa-Schüler erreicht, waren es vielleicht nicht die richtigen Themen“, überlegt bz-Redaktionsleiter Alexander Sulanke und liest den Burger-Comic in der 150. Auflage zum 66. Jubiläum. „Da steht ,Fortsetzung folgt’. Aber das ist Quatsch, wenn ihr nur noch einmal jährlich erscheint“, kritisiert der Profi: „Wenn die gedruckte Schülerzeitung eher ein Jahrbuch ist, müsst ihr mehr online machen, um Reichweite zu erlangen. Wir arbeiten ja auch zuerst ins Internet. Die Zeitung ist quasi eine Zweitverwertung“, erklärt Sulanke das Prinzip der Arbeitsweise „online first“.

Ohne Digitalisierung geht es künftig nicht mehr

Ohnehin sei der Verkauf der Papierausgabe mühsam, bestätigt Mark, der für die Anzeigen-Akquise zuständig ist und allein für den Druck im günstigen DIN A5-Format 600 Euro zusammenkratzen muss.

Ohne Digitalisierung geht es also nicht mehr weiter, sind sich alle einig. „Ihr seid halb so alt wie das Internet, das ist doch euer Medium“, meint Alexander Sulanke und will der kleinen Redaktion Mut machen: „Interaktion, Fragen und Feedback sind wichtig. Das geht am besten über euren Instagram-Account, wo ihr Debatten lostreten und eine lebendige Diskussionskultur aufbauen könnt“, rät er. Weiter: „Nach zwei Monaten hab ihr bestimmt 1000 Follower und könnt dann ein Best-off in der jährlichen Printausgabe zeigen.“

Die Redaktion der Schülerzeitung sucht freie Mitarbeiter

Dafür allerdings braucht es freilich mehr engagierte Jungredakteure, weiß auch Laura, die bereits Mitglied im Kreisschülerrat ist und Vize-Vorsitzende in der Landes-Schülervertretung. Auch Alexander Sulanke sucht stets freie Mitarbeiter und überlegt: „Vielleicht könnt ihr über eine Projektwoche in der Schule neue Mitstreiter finden. Irgendwann wird es einfach cool sein, bei euch mitzumachen“, glaubt er.

Denn an den Grundzügen eines guten Journalismus hat sich nichts verändert. Vom selbstständigen Denken und logischem Argumentieren hatte Chefredakteur Dietrich Koch bereits 1955 in der ersten Wecker-Ausgabe geschwärmt und gemahnt: „Der Mut zur Äußerung der persönlichen Meinung, der in unserer Zeit leider so vielen Menschen verloren gegangen ist, soll hier aufgebracht werden.“

Nicht zuletzt aber muss eine Zeitung eben auch mit Gewinn verkauft werden. Und so lässt sich über den Hansa-Schuldirektor Werner Stapelfeldt schmunzeln, der in den 70er-Jahren der Wecker-Redaktion trickreich helfen wollte: „Wenn ihr wollt, verbiete ich die nächste Ausgabe, dann verkauft ihr die vorm Schultor. Wenn das alle mitkriegen, reißen sie euch alles aus den Händen.“