Hamburg. Historiker Moshe Zimmermann fürchtet „Rückfall der Erinnerungskultur“. Auch Ex-Botschafter Avi Primor unterzeichnet Erklärung der 45.

In Israel regt sich Widerstand gegen die Pläne, die alte Bornplatzsynagoge in Hamburg wieder entstehen zu lassen. Wie berichtet hatte sich nach den Terroranschlägen von Halle und Hanau eine überparteiliche Initiative gebildet, die mit dem Bau ein Ausrufezeichen gegen Antisemitismus und Hass setzen möchte.

Alle Parteien in der Bürgerschaft unterstützen die Idee, der Bund stellt 65 Millionen Euro für das Projekt in Aussicht. Zudem steht ein Bündnis aus Unternehmen, Verbänden, Parteien und Vertretern des religiösen Lebens hinter der Initiative „Gegen Antisemitismus – Für die Bornplatzsynagoge“.

Wiederaufbau Bornplatz-Synagoge: Vorbehalte in Israel

Doch der gut gemeinte Vorstoß stößt gerade in Israel auf Vorbehalte. In der Zeitung „Haaretz“ erschien in dieser Woche ein kritischer Kommentar („Germany wants to rebuild a Synagogue destroyed on Kristallnacht. It shouldn’t“ – Deutschland will eine in der Kristallnacht zerstörte Synagoge wieder aufbauen. Besser nicht“).

45 Historiker, Künstler und Bürger mit Wurzeln in der Hansestadt haben eine Erklärung unterzeichnet, die dem Vorhaben in Hamburg widerspricht. Sie schickten ihren Brief nun an die israelische Botschaft in Berlin, die Jüdische Gemeinde in Hamburg und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Darin heißt es: „Wir möchten unseren Widerspruch gegenüber dem Ansinnen bekunden, auf dem Joseph-Carlebach-Platz, dem einstigen Bornplatz, eine Synagoge zu errichten, die der großen und gewaltigen, von den Nazis zerstörten Synagoge nachempfunden ist – an einem Ort, an dem derzeit eine beeindruckende Gedenkstätte existiert.“

Synagoge: Gedenkstätte soll für Wiederaufbau verschwinden

Initiator ist der renommierte Antisemitismusforscher Moshe Zimmermann aus Jerusalem, der einst selbst in der Hansestadt lehrte und Nachkomme einer jüdischen Familie aus Hamburg ist. „Israelis werden immer hellhörig, wenn es in Deutschland um Vergangenheitsbewältigung geht“, sagt er am Sonntag dem Abendblatt. Dementsprechend groß war das Echo, als er Unterstützer für seinen Vorstoß suchte.

„Schon der Slogan hat die Leute auf die Palme gebracht: ,Gegen Antisemitismus – Für die Bornplatzsynagoge‘ – wo ist der Zusammenhang?“, ärgert sich Zimmermann. Für ihn klinge das wie „Gegen Rassismus, für den Aufstieg des HSV“. Schlimmer noch: Der Wiederaufbau der historischen Synagoge könnte dem sekundären Antisemitismus in Deutschland Vorschub leisten, der den Holocaust leugnet. „Die Botschaft ist gefährlich: Hier wird das Alte wiederhergestellt und die Spuren verwischt.“

"Es gibt bereits eine Synagoge an der Hohen Weide"

Vor allem die Tatsache, dass die Gedenkstätte am Bornplatz für diesen Wiederaufbau beseitigt werden soll, nennt der 77-Jährige „die Vertuschung von Spuren, die Beseitigung von Beweismaterial.“ Das dortige Mahnmal, ein Bodenmosaik der Künstlerin Margrit Kahl, war 1988 im Einvernehmen mit den Hamburger Juden entstanden. Ihn erinnere die aktuelle Idee des Wiederaufbaus eher an die erinnerungspolitische Wende um 180 Grad, die AfD-Rechtsaußen Björn Höcke propagiere.

Scharf geht auch das Papier der 45 mit den Plänen ins Gericht: Zwar könnte die neue, alte Synagoge das Jüdische in Hamburg sichtbar machen – „doch wird es auch den wahren Zielen „jüdischer Sichtbarkeit“ auf dem Gebiet der Werte und der Kultur dienen?“ Rhetorisch fragt die Erklärung, ob es nicht sinnvoller sei, die riesige Summe Geld für zweckdien­lichere Elemente jüdischer Kultur und Tradition zu investieren.

Erklärung der 45 fordert anderen Standort für Synagoge

Die 45 Israelis verweisen darauf, dass es bereits die Synagoge an der Hohen Weide gibt, die die religiösen Bedürfnisse der Gemeinde bedient.

Sollte aber die Gemeinde die Notwendigkeit einer weiteren Synagoge sehen, fordert die Erklärung der 45 einen anderen Standort, der sich eben nicht über die Gedenkstätte hinwegsetzt, die sich dort befindet. Die Künstlerin Kahl hatte am Bornplatz 1988 einen Bodenmosaik geschaffen, das den Umriss der zerstörten Synagoge zeigt und den Verlust plastisch macht.

Die Unterzeichner verweisen darauf, dass damals Holocaust-Überlebende aus Hamburg persönlich an der Einweihung im November 1988 teilnahmen. „Wird eine massive Nachbildung des Originals die Leere füllen, die die Zerstörung hinterlassen hat, oder wird sie gewissermaßen den leeren Raum verschwinden lassen, der Erinnerung und Nachdenklichkeit darüber auslöst, was hier zerstört worden ist?“, lautet eine Frage in der Erklärung. Die Antwort wird gleich gegeben: „Wir glauben, sie wird Letzterem dienen und das Ausmaß der Untaten untergraben, die von den Nazis begangen wurden.“

Aufbau Synagoge: Erklärung nimmt die Politik in die Pflicht

Harsche Worte. Doch die Liste der Unterzeichner – immerhin 45 Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens in Israel – hat Wucht. Da protestieren mehrere renommierte Historiker, aber auch der langjährige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, oder der bekannte Künstler Micha Ullman. Zimmermann, lange Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem, sagt: „Judentum macht man sichtbar über Inhalte, nicht über einen wilhelminischen Bau.“ Politik sollte sachkundig sein und nicht naiv und blauäugig einer vermeintlich guten Sache folgen. „Kampf gegen Antisemitismus geht anders.“

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Ausdrücklich nimmt die Erklärung die Politik in die Pflicht: „Die derzeitige Initiative, gefördert durch Bundesmittel und das Land Hamburg, erscheint uns als abträglich gegenüber dem Niveau, auf welchem sich in den vergangenen Dekaden jüdische und deutsche Erinnerungskultur entwickelt hat, und als dem Gedenken an die Hamburger Juden unangemessen.“ Ihr Appell: Die laufende Initiative soll gestoppt und geeignetere Mittel gefunden werden, die Bedürfnisse der Gemeinde zu erfüllen, „ohne die sensible Form zu zerstören, in welcher im derzeitigen Mahnmal auf dem Joseph-Carlebach-Platz Vernichtung und Verlust ihren Ausdruck gefunden haben“.

Moshe Zimmermann jedenfalls will weiter gegen den originalgetreuen Wiederaufbau kämpfen und weiter Mitstreiter gewinnen: „Hamburg sollte nicht in die Falle gehen.“