Die Linken Dora Heyenn und Mehmet Yildiz über ihre Gründe, warum sie Spiele in Hamburg ablehnen und wofür das Geld besser ausgegeben werden sollte

Hamburg. Während Senat und manche Unternehmen für Olympia werben, hat sich die Linke als einzige der sechs Parteien in der Bürgerschaft gegen Spiele in der Stadt positioniert. Zu hohe Kosten, kein Vertrauen in den Reformprozess des Internationalen Olympischen Komitees, mangelnde Transparenz und kein erkennbarer Nutzen für die Entwicklung der Stadt, das sind die Hauptargumente der bisherigen Fraktionsvorsitzenden Dora Heyenn, 65, und des sportpolitischen Sprechers Mehmet Yildiz, 37. Ihre Sorge: Die Olympischen Spiele verschärfen die Spaltung der Stadt.

Hamburger Abendblatt:

Völkerverständigung, Treffpunkt der Jugend der Welt, friedlicher Wettstreit – das sind alles linke Ideale. Frau Heyenn, Herr Yildiz, Ihr Herz müsste doch aufgehen, wenn Sie an Olympische Spiele in Hamburg denken?

Mehmet Yildiz:

Wir sind nicht grundsätzlich gegen Olympia, wir treten ausdrücklich für diese Ideale ein. In der Antike ruhten während der Wettkämpfe 16 Tage lang alle Kriege. Der Gedanke war, dass man sich kennenlernt, Freundschaften schließt und ein besseres Verständnis füreinander entwickelt. Die olympische Bewegung und an der Spitze das Internationale Olympische Komitee (IOC) haben sich aber von diesen Idealen in den vergangenen 50 Jahren immer weiter entfernt. Stattdessen prägten Korruption und Gigantismus das Bild von Olympia. Der Kommerz steht inzwischen ganz oben an. Das IOC diktiert den Ausrichterstädten seine Bedingungen, ohne Spielräume für Kompromisse zu lassen. Zudem besteht weiter die Gefahr, dass Olympia zu einem Milliardengrab für die Städte wird und spätere Generationen diese Schulden abtragen müssen.

Der von IOC-Präsident Thomas Bach im Dezember eingeleitete Reformprozess hat Ihre berechtigte Kritik aufgenommen und entsprechende Veränderungen eingeleitet. Und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hat immer wieder angekündigt, dass die Stadt für Olympia keine Schulden machen wird.

Dora Heyenn:

Dann müsste Herr Scholz endlich mal darlegen, was das Ganze kosten soll. Staatsrat Christoph Krupp hat gesagt, dass es vor September keine belastbaren Zahlen geben wird. Das sollte uns stutzig machen. Bei uns ist der Eindruck entstanden, dass man die Hamburger angesichts der laufenden Meinungsumfrage nicht verschrecken wollte, indem man ihnen sagt, welche immensen Ausgaben auf sie zukommen werden. Wenn es in dieser Stadt um die Finanzierung wichtiger gesellschaftlicher Projekte geht, zum Beispiel um Sozialtickets im öffentlichen Nahverkehr, Tarifsteigungen im öffentlichen Dienst, um die Unterfinanzierung der Hochschulen, um Inklusion, dann heißt es doch ständig: Geht nicht, es ist kein Geld da, wir haben die Schuldenbremse. Woher dagegen das Geld für Olympia kommen soll, hat uns Herr Scholz bislang nicht erklärt. Wahrscheinlich weiß er es selbst nicht. Und bei Olympia reden wir nicht über ein paar Millionen, sondern über etliche Milliarden Euro.

Das IOC, der Bund und private Investoren werden einen Großteil der Kosten aufbringen.

Heyenn:

Allein die geplante Umsiedlung der Firmen vom Kleinen Grasbrook in den Travehafen, der dafür zugeschüttet werden müsste, verschlingt Milliarden. Kosten wie diese werden einfach ausgeblendet. Die wird kein Sponsor bezahlen, nicht die HHLA, auch diese Rechnung wird die Stadt begleichen müssen.

Unter welchen Bedingungen wären Olympische Spiele für Sie akzeptabel?

Yildiz:

Das IOC muss die kompletten Verträge mit den Städten offenlegen. Die internationalen Baukonzerne und Lobbyisten müssen sich an der Finanzierung beteiligen. Am Ende muss gewährleistet sein, dass die Steuerzahler nicht die Zeche zahlen. Es dürfen keine Folgekosten entstehen, etwa dass die Mieten, die Lebensunterhaltskosten steigen, dass die Armen aus der Stadt verdrängt werden, dass die Menschen, die ohnehin kaum etwas haben, darunter leiden.

Das wäre die Aufgabe umsichtiger Politik, mit Gesetzen und Verordnungen soziale Standards zu sichern, Milieus und Quartiere nachhaltig zu schützen.

Yildiz:

Es wäre vor allem die Aufgabe der Politik, diese Kriterien in den Vereinbarungen zwischen IOC und Stadt durchzusetzen. Diese Punkte sind in den Verträgen nicht vorgesehen.

Heyenn:

Nehmen Sie das olympische Dorf. Da sollen später ein Drittel Eigentums-, ein Drittel Miet- und ein Drittel Sozialwohnungen entstehen. Ich glaube nicht daran, dass man dort später für sieben Euro den Quadratmeter wohnen kann. Dafür wird sich kein Investor finden lassen.

Gehen Sie davon aus, dass alle Hamburger Persönlichkeiten und Unternehmen, die sich für Olympia engagieren, vornehmlich aus Profitinteressen handeln?

Heyenn:

Das unterstelle ich nicht, da ist sicherlich auch viel Idealismus dabei, weil sie den olympischen Gedanken für unterstützenswert halten. Die Erfahrungen vergangener Olympischer Spiele zeigen jedoch, dass in den betreffenden Städten eine Verdrängung einkommensschwächerer Schichten – selbst des Mittelstandes – stattgefunden hat, die sich ihre Stadt schlicht nicht mehr leisten konnten. Und wenn Oberbaudirektor Walter sagt, Olympia würde die Lebensqualität aller Hamburger steigern, mag er von ehrenwerten Absichten geleitet sein, die Realität lehrt uns anderes: Alles wird teurer, Olympische Spiele beschleunigen den Prozess der sozialen Spaltung einer Stadt. Und schon heute ist Hamburg eine tief gespaltene Stadt.

Ein wichtiges Kriterium für die Vergabe Olympischer Spiele soll künftig der Nachweis sein, dass Olympia die Stadtentwicklung nachhaltig beeinflusst und dass die Stadt und ihre Bewohner von den Spielen profitieren. Ist die IOC-Reformagenda 2020 ein Schritt in Ihre Richtung?

Heyenn:

Was jetzt vom IOC vorgelegt wurde, kann nur ein Anfang sein. Wirkliche Transparenz kann ich in diesem Papier nicht erkennen. Ein Mitglied des Zukunftsrates Hamburg sagte kürzlich, nachhaltige Olympische Spiele wird es nie geben. Ich fürchte, er hat recht.

Yildiz:

Die Städte müssen sich weiter verpflichten, das umzusetzen, was in den Verträgen mit dem IOC steht. Da geht es immer noch um Steuerbefreiung für das IOC im ganzen Land und um exklusive Rechte für die Topsponsoren. Ich kann diese neue Geisteshaltung noch nicht erkennen.

Die Grünen streben in Hamburg ja eine Regierung mit der SPD an. Sehen Sie da eine Chance, dass die Haltung der Stadt zu Olympia neu justiert wird?

Heyenn:

Die Grünen sind derart machtversessen, dass sie am Ende das tun werden, was die SPD will.

Sollte sich der DOSB am 21. März für Hamburg entscheiden, wie werden Sie dann weiter vorgehen?

Heyenn:

Wir werden weiter versuchen aufzuklären, deutlich machen, was für Auswirkungen Olympia für die Stadt hätte, zu welchen Brüchen die Entscheidung in der Politik dieser Stadt führt. Die Schuldenbremse wird stets als Argument genutzt, wenn für ein Projekt nichts ausgegeben werden soll, an anderer Stelle wiederum, wenn es um Milliarden geht, öffnen sich plötzlich die Kassen. Es gibt soziale und kulturelle Projekte und Einrichtungen, da fehlen 30.000 Euro, um sie vor dem Aus zu retten, dafür ist aber kein Geld da.

Muss Hamburg nicht in seine Zukunft investieren, um auch in den nächsten 50 Jahren wettbewerbsfähig zu bleiben?

Yildiz:

Es kommt dabei auf den Preis an, und der ist für Olympische Spiele entschieden zu hoch. Wir rechnen mit sechs bis sieben Milliarden Euro, die am Ende die Stadt oder städtische Unternehmen zu zahlen haben. Es gibt seriöse Studien, die belegen, dass Olympische Spiele im Durchschnitt 180 Prozent teurer geworden sind als geplant. Hamburg braucht Olympia nicht mit all seinen Risiken, um Stadtentwicklung zu betreiben. Das Geld könnte direkt in diese Projekte investiert werden, in sozialen Wohnungsbau oder die Sanierung maroder Sportstätten.

Sollte es anders kommen, und Hamburg richtet 2024 die Spiele aus, welche Wettbewerbe würden Sie sich anschauen?

Heyenn:

Keine. Ich treibe lieber selbst Sport und gehe schwimmen statt nur zuzuschauen.

Yildiz:

Ich bin auch kein Fan von Großveranstaltungen, ich besuche lieber Spiele des FC St. Pauli.