Verfassungsschutzchef verdächtigt „organisierte Gruppen“. Senator sieht „Gefahr im Verzug“

Hamburg. Der Staatsschutz ermittelt gegen Salafisten in Hamburg. Der Verdacht: Personen aus der radikalislamistischen Szene sollen insbesondere in Altona gezielt Minderjährige und Heranwachsende anwerben und ihnen dabei helfen, in die Bürgerkriegsgebiete im Nahen Osten zu gelangen. Unter anderem sollen so die vier Hamburger Jugendlichen, die erst kurz vor ihrem Ausreiseversuch gestoppt werden konnten, aber auch ein in Syrien getöteter 19 Jahre alter Hamburger auf den Weg gebracht worden sein.

„Wir gehen unter anderem von organisierten Gruppen aus, die gezielt Schüler und Minderjährige ansprechen“, sagte der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß. Es sei kaum vorstellbar, dass Jugendliche ohne Hilfe von Erwachsenen Vorbereitungen für ihre Ausreise treffen könnten. So ist es etwa nicht möglich, dass sie allein Flüge buchen.

Es waren vier Flugtickets, die die Polizei und den Verfassungsschutz Mitte vergangener Woche in höchste Aufregung versetzt hatten. Vier Jugendliche, zwei Mädchen, zwei Jungen, die Jüngste erst 14 Jahre alt, hatten beabsichtigt, in die Türkei zu fliegen. Von dort wollten sie weiter nach Syrien reisen und sich Islamisten anschließen. Gestoppt wurden sie durch ihre Eltern, die die Tickets entdeckten und die Polizei alarmierten.

Für den Hamburger Staatsschutz ist dies der erste Fall, bei dem er die Chance sieht, die Hintergründe und Abläufe von Anwerbungen durch Salafisten aufzuklären. Bislang sollen bereits mehr als 40 Hamburger nach Syrien und in den Irak ausgereist sein. In vielen Fällen erfahren Polizei und Verfassungsschutz erst aus dem Internet davon; dann kämpfen die Ausgereisten bereits auf der Seite von Islamisten oder sind sogar schon wieder zurück in Hamburg – oft stark radikalisiert.

Ausreisen nach Syrien werden seit 2012 beobachtet. Ausreisewillige seien bislang aber in der Regel allein, höchstens zu zweit aufgebrochen. Seit Sommer dieses Jahres registriert der Verfassungsschutz mehr Gruppen, die sich auf den Weg machen. Darunter seien auch immer öfter Minderjährige.

Laut Verfassungsschutz hat sich die Zahl der radikalen Salafisten in Hamburg in den vergangenen Monaten verdoppelt, von 70 auf 150. Inklusive der politischen Salafisten stieg die Zahl der Salafisten auf 320 Personen. Andere Experten glauben dagegen, dass es auch vorher schon ähnlich viele waren, sie aber nicht erkannt wurden.

Die Frage, wie man radikalisierte junge Menschen an der Ausreise in die umkämpften Gebiete hindern kann und wie man mit Rückkehrern umgeht, hat am Mittwoch auch die norddeutschen Innenminister auf ihrem Treffen in Hamburg beschäftigt. Einig war man sich, dass über die bestehende Möglichkeit, den Reisepass einzuziehen, die Behörden die Gültigkeit des Personalausweises einschränken können müssen. „Es macht keinen Sinn, den Reisepass einzuziehen, wenn jemand dann mit seinem Personalausweis über die Türkei nach Syrien reist“, sagte Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD). Um den Personalausweis zu entziehen, müssen Bundesgesetze geändert werden. Das müsse schnell passieren. „Es ist Gefahr in Verzug“, so Neumann.