Für Familie Hadewig und die anderen 2500 Bewohner steht hinter diesem Bekenntnis ein Lebensgefühl. Sie wollen die Optik ihres Quartiers und das Gemeinschaftsgefühl bewahren – trotz aller Veränderungen

Als die Hadewigs im vergangenen Jahr ihr Haus streichen wollten, haben sie erst einmal Fotos von der Fassade gemacht. Damit sind sie dann in den Laden marschiert. „Wir wollten genau die Farbe treffen“, sagt Mark Hadewig. Zig Gelbtöne haben sie verglichen, einige ausprobiert, bis sie endlich den richtigen gefunden hatten – hell, warm und leicht pastellig. Das Steenkamp-Gelb. Sie haben auch wieder Sprossenfenster einbauen lassen, und wenn das Dach demnächst neu gedeckt werden soll, wird es natürlich rot. Das ursprüngliche Bild soll erhalten werden, sagt der 43-Jährige. „Das macht schließlich das Flair aus.“ Seine Familie lebt in dritter Generation in der Steenkamp-Siedlung in Bahrenfeld. Ein anderes Quartier kommt für ihn gar nicht infrage. „Wir sind Steenkamper.“

Das ist mehr als eine geografische Verortung, das klingt nach einem Bekenntnis. Und das ist es auch. Die Gartensiedlung zwischen Notkestraße, Osdorfer Weg und Grotenkamp, in den 1920er-Jahren im damals selbstständigen Altona gebaut, hat ein ganz besonderes Eigenleben – wie eine kleine Stadt in der Stadt. Zumeist zweigeschossige Reihenhäuser mit gepflegten Gärten reihen sich an schmalen Sträßchen aneinander, die Rosenwinkel heißen oder Am Quickborn. Alles fügt sich zu einem geschlossenen Bild, dabei ist kein Haus ganz genau wie das andere. Mittendrin gibt es einen großen Platz, die Vogelweide, auf der sich im Steenkampsaal das Gemeinschaftsleben konzentriert. Die Hektik der Großstadt ist hier weit weg. Nachmittags spielen die Kinder vor den Häusern. Man grüßt einander auf der Straße. 2500 Menschen leben hier, freiwillig zieht niemand weg.

Mark Hadewig hat das Mietrecht für das Reihenhaus im Bögenkamp 80 von seiner Großmutter Eva geerbt. „Auch da gab es schon eine Warteliste“, sagt der Systemadministrator. Auf dem großen Tisch im Esszimmer liegt der alte Mietvertrag, ausgestellt am 1.August 1945. Damals war die Familie zunächst zur Untermiete in die oberen Zimmer gezogen, gemeinschaftliche Badnutzung inklusive. 850,20 Reichsmark verlangte die Siedlungs-Aktiengesellschaft Altona, heute bekannt unter dem Kürzel SAGA, dafür im Jahr.

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie an der Wand zeigt das Siedlungshäuschen, und die großen Gärten dahinter. Gemüse wurde angebaut, manche hielten Hühner und Schweine. Sein Vater wuchs hier auf, und auch Mark Hadewig verbrachte seine ersten Lebensjahre in der Steenkamp-Siedlung. Auch noch nachdem seine Eltern mit ihm in die Nähe von Pinneberg gezogen waren, kam er regelmäßig zu Besuch. 1995, in den letzten Zügen seines Studiums, zog er bei seiner Großmutter ein. Und blieb in der Siedlung, als sie starb.

Jetzt lebt er mit seiner Frau Marlis und den Kindern Mart, 13, und May-Brit, 10, in dem Siedlungshaus. Vor elf Jahren haben sie es gekauft, so wie viele andere Mieter auch. „Es gibt hier ein Wir-Gefühl“, sagt Marlis Hadewig. Man kennt einander, man hilft einander und man feiert zusammen. Jedes Jahr gibt es ein großes Sommerfest und im Herbst den legendären Laternenumzug. Im Steenkampsaal wird Kinderkino veranstaltet, die „Steenkamp-Singers“ proben dort. Es gibt eine Strickgruppe, einen Klönschnack-Treff und seit Kurzem auch wieder eine Theatergruppe.

Die Nachbarschaft der Steenkamper ist preisgekrönt. „Das Miteinander ist entscheidend. Nur deshalb ist die Siedlung so, wie sie ist“, sagt Mark Hadewig. Ehrensache, dass seine Frau und er sich in der Heimstättervereinigung engagieren. Das ist so etwas wie das Parlament der Steenkamper. Parallel zum Baubeginn des Wohnquartiers, das vor allem für Kriegsrückkehrer und Soldatenfamilien gedacht war, wurde der Verein gegründet. Ziel war die Pflege der Nachbarschaft, von Anfang an hatten die Bewohner zudem weitreichende Mitspracherechte bei Mietangelegenheiten. Bis heute vertreten sie die Interessen der Bewohner – auch wenn die sich gewandelt haben.

Als die SAGA, der immer noch etwa die Hälfte der Wohneinheiten gehören, vor einigen Jahren die Nutzungsmöglichkeiten für den Steenkampsaal beschränken und Miete kassieren wollte, machten die Heimstätter mobil. Mit Erfolg. „Auch die Pläne der Polizei, das Tempolimit im Siedlungsgebiet auf 30Kilometer pro Stunde zu erhöhen, haben wir verhindert“, sagt Schriftführer Joachim Schoenknecht. Die Steenkamper sollen eine Sonderregelung bekommen – und Tempo 20.

Da war er wieder, der gemeinsame Geist der Siedlung. Den zu erhalten sei aber nicht so einfach. Die Steenkamp-Siedlung ist längst eine begehrte Wohnlage – auch wenn die Häuschen mit ihren jeweils knapp 100 Quadratmetern klein sind und oft stark renovierungsbedürftig. Vor allem Familien mit kleinen Kindern zieht es in das Wohnquartier. Seit 2002 verkauft die SAGA den Bestand – gegen Gebot. In den vergangenen Jahren sind die Preise in die Höhe geschnellt. Das verändert die Sozialstruktur. „Früher waren wir Bahrenfelder, heute werden wir gern zu den Elbvororten gezählt“, sagt Mark Hadewig.

Obwohl die Siedlung unter Milieuschutz steht, halten sich bei den Renovierungen nicht alle an die Vorgaben. Auf den ersten Blick klingt das ein bisschen spießig, man könnte auch sagen: Die Siedlung ist in einem Transformationsprozess, Ende offen. Und da kommt die Heimstättervereinigung wieder ins Spiel. 338 Mitglieder zählt Kassierer Mark Hadewig, immerhin.

Trotzdem sei es schwierig, Leute für die Mitarbeit zu aktivieren. Schon seit mehr als einem Jahr ist der Posten des 1.Vorsitzenden nicht besetzt. „Man muss den Gemeinschaftsgedanken weitergeben“, meint Jan Meybek. Er gehört auch zum harten Kern der Steenkamper, ist in der Siedlung aufgewachsen und nach Studium und Berufsstart mit Familie wieder zurückgekehrt. „Man hat die Vorteile des Dorfs, aber nicht die Nachteile“, sagt der Filmrequisiteur. Bei den Hadewigs bespricht er gerade ein neues Projekt, den Steenkamp-Salon.

Nachwuchssorgen muss man sich nicht machen, die nächste Generation der begeisterten Steenkamper wächst schon heran. „Die Kinder sind Steenkamper“, sagt Mark Hadewig. Seine beiden, erzählt er, stritten schon darüber, „wer später einmal das Haus bekommt“.