Pella Shipyard will Belegschaft bei ältester deutscher Werft und Produktion langfristig wieder aufbauen. Neue Aufträge zunächst vom Mutterkonzern.

Hamburg. Rettung in letzter Minute: Das russische Schiffbauunternehmen Pella Shipyard aus Otradnoye bei St. Petersburg übernimmt Deutschlands älteste Werft Sietas in Neuenfelde. Der Schiffbau an der Este soll so bald wie möglich neu starten. Die Belegschaft von derzeit 124 Mitarbeitern soll bis Ende 2016 wieder auf 400 ausgebaut werden, sagte Sietas-Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann am Montag bei einer Pressekonferenz in Hamburg. „Pella Shipyard hat alle Vermögenswerte von Sietas gekauft und sich verpflichtet, die Sietas-Werft für mindestens acht Jahre als Schiffswerft weiterzubetreiben“, sagte Brinkmann. Über den Kaufpreis sei Stillschweigen vereinbart worden. Das Unternehmen Terraline, eine Tochterfirma von Pella Shipyard in Hamburg, wird die Übernahme vollziehen und soll dann künftig den Namen Pella Sietas GmbH tragen.

Pella Shipyard gehört der russischen Familie Tsaturow. Das Unternehmen nimmt in diesem Sommer bei St. Petersburg einen zweiten Werftstandort neu in Betrieb und beschäftigt auf seiner russischen Doppelwerft dann rund 3500 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz liegt nach Angaben von Unternehmenschef Garegin Tsaturow derzeit bei rund 150 Millionen Euro. Das Unternehmen baut vor allem kleinere Schiffstypen wie Schlepper, Lotsenboote, Patrouillenboote, Fischereifahrzeuge oder Multifunktionsschiffe. Kunden sind sowohl die russische Marine und andere staatliche Unternehmen wie auch privatwirtschaftliche Auftraggeber in Russland und in anderen Ländern, etwa Norwegen, Italien oder Litauen. „Wir wollen bei Sietas so schnell wie möglich wieder Schiffe bauen“, sagte Tsaturow. Bis Ende 2016 will Pella Shipyard 15 Millionen Euro in die Infrastruktur der Sietas-Werft investieren.

Das russische Unternehmen hatte nach Tsaturows Angaben schon längere Zeit einen geeigneten Werftstandort im Ausland gesucht, unter anderem auch in Vietnam. Bei Sietas habe es „dann gepasst“, sagte Tsaturow. Zwischen dem Angebot von Pella Shipyard und dem Abschluss lag nur gut ein Monat. Parallel hatte Insolvenzverwalter Brinkmann seit dem vergangenen Frühjahr auch mit dem chinesischen Stahlbaukonzern ZPMC und mit anderen Interessenten verhandelt. „Aber kein anderes Angebot hat uns insgesamt überzeugt“, sagte Brinkmann.

Pella Shipyard will zunächst bereits existierende Schiffbauaufträge von Russland nach Hamburg bringen. Sietas könnte dann ohne komplizierte Finanzierungen durch Banken und auch ohne öffentliche Bürgschaften schnell wieder in neue Projekte einsteigen. Hamburg hat von seiner Bürgschaftssumme von insgesamt 34 Millionen Euro im Zuge der Insolvenz bei Sietas rund zwölf Millionen Euro verloren. Der Bund hat für Sietas mit 49 Millionen Euro gebürgt. Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) zeigte sich am Montag erleichtert und erfreut, das Sietas gerettet werden konnte: „Das ist ein guter Tag für den Hamburger Schiffbau“, sagte er. „Mir war es immer ein ganz besonderes Anliegen, die Sietas-Werft am Standort Hamburg zu erhalten. Dafür haben wir gemeinsam mit allen Beteiligten mehr als zwei Jahre lang gekämpft. Sietas ist nicht nur eine Traditionswerft, sondern hat sich mit dem Bau eines Spezialschiffes für den Offshore-Windenergiebereich international Respekt erworben.“

Sietas hatte Ende 2011 Insolvenz angemeldet. Bereits 2009 geriet das Unternehmen im Zuge der Schifffahrts- und Finanzmarktkrise in eine existenzbedrohende Schieflage. Familieneigner Hinrich Sietas wurde vor allem auf Drängen der HSH Nordbank abgelöst und durch das erste familienfremde Management ersetzt. Die Abwendung vom Sietas-Hauptprodukt Containerschiff hin zu komplexeren und individuelleren Schiffstypen verhinderte zwar nicht die Insolvenz, rettete der Werft aber letztlich die Existenz. Am kommenden Montag verlässt der bislang letzte Sietas-Bau die Werft. Das Offshore-Windkrafterrichterschiff „Aeolus“ zum Baupreis von mehr als 120 Millionen Euro ist das bislang aufwendigste und teuerste Schiff, das Sietas in seiner 379-jährigen Geschichte gebaut hat. „Die Werft konnte damit zeigen, zu was sie imstande ist“, sagte Brinkmann. Es sei denkbar, dass das niederländische Wasserbauunternehmen Van Oord auch ein Schwesterschiff für die „Aeolus“ bei Sietas bauen lasse. Einen 50 Tonnen schweren Kiel für ein Schwesterschiff habe Sietas bereits gelegt. Die Bauoption für das Schiff sei aber seinerzeit wegen stockender Projekte am deutschen Offshore-Windmarkt nicht in einen Auftrag umgesetzt worden. „Den Kiel für ein Schwesterschiff will Van Oord aber gemeinsam mit der ,Aeolus‘ kaufen“, sagte Brinkmann.

Der Insolvenzverwalter hatte die Sietas-Gruppe nach Beginn der Insolvenz in drei Teilen zum Verkauf angeboten. Die Kranfertigung der Neuenfelder Maschinenfabrik verkaufte Brinkmann an das norwegische Unternehmen TTS, die Reparaturwerft Norderwerft im Hamburger Hafen an das Bremer Werftunternehmen Lürssen. Am schwierigsten erwies sich der Verkauf der Sietas-Stammwerft. Die nach der Insolvenz zunächst noch rund 700 Mitarbeiter gingen nach und nach in eine Transfergesellschaft. Die meisten von ihnen haben laut IG Metall mittlerweile eine andere Beschäftigung. Brinkmann sagte, eine Reihe ehemaliger Mitarbeiter, darunter viele Ingenieure, wolle zu Sietas zurückkehren, sofern dort die Beschäftigung wieder gesichert sei.

Sietas kann zunächst in die Produktion von Pella Shipyard integriert werden. Vor allem der wachsende Markt für die Offshore-Windkraft in Europa könnte der Neuenfelder Werft aber auch Aufträge für weitere Errichter- oder Versorgungsschiffe bringen, die das künftige russische Mutterhaus bislang noch nicht hergestellt hat. Wichtig dafür ist auch ein zügiger Ausbau von Offshore-Windparks auf der deutschen Nordsee und Ostsee.