Frauenärzte schlagen Alarm: Selbst Kassenpatientinnen mit akuten Beschwerden müssen auf Mammografie warten. Harburg besonders betroffen.

Harburg. Namhafte Gynäkologen in Harburg schlagen Alarm: Wer als Kassenpatientin südlich der Elbe eine Mammografie braucht, muss Wartezeiten von bis zu sechs Monaten oder weite Wege über die Elbe und ins Hamburger Umland in Kauf nehmen. „Im kommenden Jahr wird sich die Situation noch dramatisch verschlechtern“, sagt Dr. Ute Marie Mattner, die am Harburger Ring praktiziert. „Nach unseren Informationen sollen die ohnehin dürftigen Kapazitäten dann noch weiter abgebaut werden.“

Führten bis Anfang 2012 noch mehrere Radiologiepraxen diese Untersuchung der weiblichen Brust durch, so ist heute nur das Kernspinzentrum Hamburg-Süd von Dr. Volkhard Grützediek geblieben. Zum Jahresende wird aber einer seiner Spezialisten in den Ruhestand gehen, eine weitere Kollegin ihre Praxiszeit stark reduzieren. „Nach derzeitigen Planungen werden wir dann nur noch an einem Tag in der Woche zwischen 20 und 30 Mammografien durchführen“, so Grützediek.

Aus Sicht von Dr. Mattner ist das absolut unzureichend. „Da allein in Harburg pro Jahr bis zu 200 Frauen operativ therapiert werden müssen, ist der Bedarf deutlich höher.“ Zumal auch Grützediek bestätigt, dass bei den Brustuntersuchungen im Schnitt zwei Karzinome pro Tag entdeckt werden. „Angesichts dieser Zahlen sind lange Wartezeiten im Grunde unvertretbar“, sagt Dr. Mattner. Wissenschaftlich sei längst erwiesen, dass sich die Prognose für Patientinnen mit Brustkrebs deutlich verschlechtere, wenn nach tastbaren Befunden nicht innerhalb von vier Wochen eine klare Diagnose erfolge und therapeutische Maßnahmen eingeleitet würden.

Im Gegensatz zu Privatpatientinnen sind für Harburger Kassenpatientinnen aber Wartezeiten von vier bis sechs Monaten die Regel, wie auch Dr. Angela Bernhardt, Leiterin des Brustzentrums der Helios-Klinik Mariahilf, bestätigt. Selbst Frauen mit akuten Beschwerden müssten bis zu sechs Wochen warten. „Die Situation ist katastrophal und spitzt sich weiter zu. Uns erreichen immer wieder verzweifelte Anrufe, weil mit jedem Tag Ungewissheit natürlich auch die Ängste der Frauen wachsen“, berichtet Dr. Bernhardt.

Walter Plassmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH), zeigte sich vom Vorstoß der Harburger Mediziner überrascht. Im Vergleich zu 2012 sei die Anzahl der in ganz Hamburg durchgeführten Mammografien von 23.616 auf 26.264 gestiegen. Und genügend Radiologen mit Mammografie-Zulassung gebe es auch. Allerdings erfolge die Bedarfsplanung für die ganze Stadt, ohne Betrachtung einzelner Bezirke. „Dass sich mehr Radiologen nördlich der Elbe niederlassen, darauf haben wir keinen Einfluss. Außerdem ist es durchaus zumutbar, im Bedarfsfall ins Stadtzentrum zu fahren“, so Plassmann zum Hamburger Abendblatt.

Laut Dr. Volker Maaßen, Leiter der gynäkologischen Fachklinik Helmsweg, würden viele Frauen inzwischen auch nach Buchholz, Winsen, Buxtehude, Stade oder Lüneburg ausweichen. „Für eine Metropole wie Hamburg ist das beschämend. Vor allem im Hinblick auf ältere Frauen und Migrantinnen, die oft nicht so mobil sind“, sagt Maaßen. Jetzt räche sich auf fatale Weise die Verknappung radiologischer Kassensitze. Damit sei auch die in medizinischen Leitlinien angeratene Kontrolle und Nachsorge infolge operativer Eingriffe nicht mehr gewährleistet. Nördlich der Elbe ist die Situation weniger dramatisch, so Dr. Andreas Bollkämper, Chef der niedergelassenen Radiologen Hamburgs. Von etwa 25 Praxen würden wenigstens zehn Mammografien durchführen. In der Regel betrage die Wartezeit in Zentrumsnähe vier bis fünf Wochen. Doch seien ihm auch hier mindestens drei Radiologinnen bekannt, die gar keine neuen Patienten mehr aufnehmen. „Hinzu kommt, dass jüngere Kollegen diese Leistung kaum noch anbieten“, sagt Bollkämper.

In den vergangenen Jahren sind die Qualitätsstandards für Brustuntersuchungen deutlich erhöht worden. Das gilt nicht nur für die technischen Anforderungen an die ohnehin teuren Geräte. „Da musste nach den neuen EU-Richtlinien zum Teil massiv aufgerüstet werden“, weiß Bollkämper. Zudem gebe es alle zwei Jahre eine Regelüberprüfung der Radiologen. Um diese Tests zu bestehen, müsse man schon über eine spezielle Expertise und viel Erfahrung verfügen. Den Hauptgrund für die Engpässe bei Mammografien sieht Bollkämper in der äußerst rigiden Budgetierung ärztlicher Leistungen in diesem Bereich. Wenn eine Mammografie nur mit 39 Euro vergütet werde, von denen bis Ende des dritten Quartals sogar nur 61 Prozent – seit 1. Oktober sind es 80 Prozent – ausgezahlt wurden, dann sei diese Leistung eindeutig unterfinanziert. „Damit sind der technische Einsatz, Material und die Beratung des Patienten nicht annähernd zu leisten. Kostendeckend wäre ein Honorarsatz von 60 bis 70 Euro“, so Bollkämper. Deshalb müssten die Radiologen, um ihre Praxis wirtschaftlich zu betreiben, die Unterdeckung mit anderen Leistungen kompensieren, die besser vergütet würden.

„Eine Aufstockung des Budgets für diese Leistung ist unverzichtbar“, sagt Dr. Ute Marie Mattner, „die KV muss hier zwingend nachregulieren.“ Schließlich handele es sich bei der Mammografie um eine Untersuchung, die über Leben und Tod entscheiden kann. Deshalb müssten die Engpässe bei der Terminvergabe schnellstens beseitigt werden. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben die Harburger Gynäkologen beim Brustkrebsforum der Helios-Klinik Mariahilf eine Unterschriftenaktion initiiert. Spontan beteiligten sich mehr als 70 Frauen.