Während eines sechsmonatigen Moratoriums soll auf die Abschiebung verzichtet und die Lage der 300 Männer geklärt werden. Die SPD lehnt den Vorstoß ab.

Hamburg. Wenn Asuquo Udo spricht, schwingen extreme Emotionen mit, positive wie negative. "Ich bin überwältigt von den Personen und Organisationen, die uns unterstützten", sagt der Nigerianer, Initiator und Sprecher der Gruppe "Lampedusa Hamburg", jener rund 300 Flüchtlinge, die seit Wochen unter den Augen der Öffentlichkeit in Hamburg mehr oder weniger auf der Straße leben. Wenn er jedoch daran denkt, dass ihnen nach der Flucht 2011 aus Libyen (dort hatten sie gearbeitet) nach Italien, zwei Jahren in einem nach seiner Schilderung menschenunwürdigen Auffanglager auf der Insel Lampedusa, der Aufforderung, Italien zu verlassen und der Weitereise nach Deutschland nun wieder eine Abschiebung droht, weicht die Freude über hilfsbereite Hamburger einer düsteren Aussage: "Wir sind auf der Schwelle zwischen Leben und Tod."

Was Asuquo Udo damit meint, ist auf der Homepage der Gruppe nachzulesen: "Wenn sie mich nach Italien zurückschicken, werde ich versuchen mich umzubringen", wird dort ein Flüchtling zitiert.

"Sie", das ist der SPD-Senat, der bislang die Linie verfolgt, die Afrikaner zurück in ihre Heimatländer oder nach Italien zu schicken, weil die Rechtslage gar keine andere Möglichkeit biete. "Die Flüchtlinge haben bei uns, anders wohl als in Italien, keinen Anspruch auf Sozialleistungen und können keine Arbeitserlaubnis erhalten", hatte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erst kürzlich klargestellt. "Daher gibt es in Hamburg für sie keine dauerhafte Perspektive."

Das sehen Grüne und Linkspartei anders. Beide Bürgerschaftsfraktionen sowie ihre jeweiligen Landesparteien forderten den Senat am Dienstag gemeinsam mit Vertretern der Flüchtlinge und der evangelischen Kirche auf, den Betroffenen für mindestens sechs Monate ein Bleiberecht zu gewähren und auf eine Abschiebung zu verzichten. Dieses Moratorium solle genutzt werden, um einerseits auf Bundes- und EU-Ebene eine generelle Lösung für die Flüchtlingsproblematik zu finden, die in ähnlicher Form viele europäische Städte betrifft. Zum anderen soll für jedes Mitglied der "Gruppe Lampedusa" individuell und ohne Zeitdruck eine Beratung über seine Lage stattfinden. "Wir haben null Verständnis dafür, dass der SPD-Senat sich noch immer weigert, nach einer humanitären Lösung zu suchen", sagte Antje Möller (Grüne).

Die meisten der Flüchtlinge waren im Winter nach Hamburg gekommen, hatten zum Teil Winternotunterkünfte der Stadt genutzt, saßen seit deren Schließung im April aber auf der Straße. Mitte Mai machten sie dann öffentlich als Gruppe auf sich aufmerksam. Nachdem Gespräche zwischen Stadt und Kirchen über eine Unterkunft an der Forderung des Senats gescheitert waren, dass die Flüchtlinge Angaben über ihre Person machen müssten, bot die St.-Pauli-Kirche etwa 80 von ihnen eine Unterkunft. Viele Privatpersonen helfen ebenfalls mit Geld oder Sachspenden. Aus Sicht von Christiane Schneider (Linkspartei) eine "überwältigende Solidarität", die der Senat anerkennen müsse. Es gebe "keine Rechtfertigung", das Moratorium abzulehnen. Dazu erwarte sie am Mittwoch eine Erklärung des Senats - von 15 Uhr an sind die Flüchtlinge Thema der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft.

Die Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Kirche in Norddeutschland, Fanny Dethloff, betonte, dass die vom Senat angestrebte Abschiebung der Flüchtlinge keine Lösung sei: "Eine Rückführung bietet keinerlei Garantie, dass die Menschen nicht in vier Wochen wieder in Hamburg sind. Das löst das Problem in keiner Weise." Auch andere Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften sowie viele Prominente haben die Forderung nach einem Moratorium unterzeichnet - unter ihnen der Musiker Rocko Schamoni, der Schauspieler Peter Lohmeyer sowie die Intendanten Jack Kurfess, (Schauspielhaus) und Amelie Deuflhard, (Kampnagel).

Sozialbehörde und SPD-Fraktion zerstreuten die Hoffnungen hingegen. Ein Moratorium sei "kein realistisches Szenario und hilft den Flüchtlingen nicht weiter", sagte SPD-Integrationsexperte Kazim Abaci. "Um diesen Menschen ihre Perspektive aufzuzeigen, braucht es eine qualifizierte Beratung. Die sei aber nur möglich, "wenn man weiß, wer sie sind, welchen Aufenthaltsstatus sie haben und welche Leistungen gegebenenfalls für sie infrage kommen können." Für eine generelle Lösung des Problems sei Hamburg der falsche Adressat: "Dieses Thema muss in Berlin und Brüssel bewegt werden."

Martina Kaesbach (FDP) nannte die Moratoriums-Idee weltfremd: "Solche politisch gewollten Rechtsbrüche würden Hamburg als unzuverlässig geführte Metropole dastehen lassen."