Bundesgericht erwägt, die Fahrrinnenanpassung der Weser an den Europäischen Gerichtshof zu überweisen. Geschieht das, hängt das Hamburger Verfahren in der Luft.

Hamburg. Alles normal. Nichts Besonderes geschehen. Als sich die Chefplaner für die Hamburger Elbvertiefung am vergangenen Freitag in den Räumen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) des Bundes in Kiel trafen, wurde nach außen Zweckoptimismus verbreitet. Es habe sich um ein Routinetreffen gehandelt, sagte eine Sprecherin nach der Sitzung.

Tatsächlich herrscht bei den Behörden, welche die Ausbaggerung des Flusses auf einen tideabhängigen Tiefgang von 14,5 Metern möglichst noch Ende dieses Jahres beginnen wollen, seit einer Woche Katzenjammer. Grund ist der Ausgang einer Gerichtsverhandlung über ein ganz anderes, mit der Elbvertiefung aber wesenverwandtes Verfahren: der Weservertiefung. Außen- und Unterweser sollen wie die Elbe so ausgebaut werden, dass Großcontainerschiffe mit mehr Tiefgang problemlos Bremerhaven anlaufen können. Wie bei der Elbe hat auch hier der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen die Maßnahme geklagt. Ende vorvergangener Woche trafen die Behördenvertreter auf den Umweltverband zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Und dort lief es für die Planer der Weservertiefung schlecht. So schlecht, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes eine Niederlage befürchtet und den Umweltschützern nun einen außergerichtlichen Vergleich anbieten will.

Die Leipziger Richter zweifeln ein für die Weservertiefung positives Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau an und bemängeln eine fehlerhafte Umweltverträglichkeitsprüfung. Das tut den Machern der Elbvertiefung nicht weh, weil sie davon ausgehen, bei diesen Fragen sauberer als die Kollegen an der Weser argumentiert zu haben. Aber es gibt noch eine andere Botschaft: Das Gericht deutete nämlich an, dass nach seiner Ansicht die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie der EU unklar seien. Diese Richtlinie schreibt vor, dass sich die Qualität eines Gewässers durch einen externen Eingriff nicht verschlechtern darf. Und das gilt für Bauprojekte an der Weser genauso wie an der Elbe und jedem anderen europäischen Fluss. Brüssel hat dieses sogenannte Verschlechterungsverbot allen EU-Mitgliedstaaten auferlegt, dabei aber nicht konkretisiert, was unter dieser Verschlechterung zu verstehen ist. Die Leipziger Richter können mit der Richtlinie wenig anfangen und wollen die Konkretisierung des Verschlechterungsverbots dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) überlassen.

Das hätte erhebliche Auswirkungen - nicht nur für das Weserverfahren. So lange Europas höchste Richter in Luxemburg nämlich über diese Richtlinie im Zusammenhang mit der Weservertiefung brüten, wird es keine Entscheidung in der artverwandten Klage zur Elbvertiefung geben. Dann dürfte klar sein, dass der Ausbau der Fahrrinne in diesem Jahr nicht mehr kommt, und auch 2014 könnte für das Projekt ein verlorenes Jahr werden.

Die zuständigen Planer in der Hamburger Wirtschaftsbehörde und in Kiel sind "alarmiert", wie ein Verfahrensbeteiligter sagte. Offiziell teilte die Wirtschaftsbehörde am Montag mit, es ließen sich aufgrund der Unterschiedlichkeit der beiden Fahrrinnenanpassungen aus der mündlichen Verhandlung zum Weserverfahren keine unmittelbaren Konsequenzen für die Elbe ableiten. Aus dem Kreis der Planer verlautete aber: "Wir hätten uns einen anderen Ausgang bei der Weser gewünscht."

Die Vorstellung, dass das Bundesverwaltungsgericht mit dem Europäischen Gerichtshof eine weitere Instanz in das Verfahren ziehen kann, beunruhigt die Behörden. Wie sehr, zeigt sich an der extrem vorsichtigen Antwort auf eine Anfrage des Abendblatts, wie lange ein solches Verfahren beim EuGH dauern könnte. Nachdem mehrere Abteilungen eineinhalb Tage über der Antwort gebrütet hatten, kam folgender Satz von der WSV in Kiel: "Wie lange ein Vorlageverfahren beim EuGH dauern würde, können wir nicht sagen. Auch wenn eine Vorlage erfolgt, hat dies zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Elbeverfahren."

Andere Experten sind da deutlicher: Verwaltungsjuristen prognostizieren, dass der EuGH sechs bis neun Monate für eine Entscheidung brauchen könnte. Die Umweltschützer vom BUND rechnen mit einer noch längeren Verzögerung: "Nach unserer Erfahrung dauern solche Verfahren vor dem EuGH ein bis zwei Jahre", sagt Manfred Braasch, BUND-Geschäftsführer in Hamburg. "Das bedeutet eine erhebliche Zeitverzögerung für das Elbverfahren." Und noch etwas anderes bereitet den Behörden Sorgen: Nämlich die Möglichkeit, dass sich Umweltverbände und Chefplaner der Weservertiefung außergerichtlich einigen. Dann würde der Druck auf Hamburgs Politik stark wachsen. Diese Sorge ist nicht unbegründet. Die Schifffahrtsverwaltung des Bundes im Westen befürchtet nämlich inzwischen eine Niederlage der Weservertiefung vor Gericht und hat dem BUND offizielle Vergleichsverhandlungen angeboten. Bevor sie ein völlig neues Planfeststellungsverfahren für die Weser starten, sind die Behörden zu Kompromissen bereit.

Zudem würde ein außergerichtlicher Vergleich das Weserverfahren zwar beenden, aber spätestens bei der Verhandlung über die Elbvertiefung Ende des Jahres dürften die Leipziger Richter den EuGH wieder ins Spiel bringen. Dann wäre für den Hamburger Hafen ein weiteres halbes Jahr verloren. Die klagenden Umweltverbände frohlocken schon: "Unsere Chancen sind seit den Verhandlungen nicht schlechter geworden", sagt BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch.