Mit dem Smartphone in der Tasche ist das Büro unser ständiger Begleiter. Grenzen zwischen Arbeitszeit und Feierabend verwischen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Das Büro ist immer dabei: Immer mehr Menschen fühlen sich gestresst, weil sie das Büro mit dem Handy quasi mit in den Feierabend nehmen. Die Trennung zwischen Freizeit und Arbeit löst sich in der digitalen Gesellschaft auf. Wenn ich dank des Smartphones früher mit der kleinen Tochter auf den Spielplatz gehen kann, ist das die positive Seite der modernen Kommunikationsmittel. Die ständige Erreichbarkeit kann aber auch zusätzlichen Stress erzeugen. Immer für den Chef verfügbar zu sein, führt bei vielen Berufstätigen bereits zu psychischen Erkrankungen. Einige Firmen steuern schon gegen den Zwang der Überall-Erreichbarkeit. Und auch der Hamburger Senat will nun Gefährdungen durch psychische Belastungen am Arbeitsplatz bekämpfen. In der folgenden Analyse geht das Abendblatt der Frage nach, wie die heutigen Kommunikationstechnologien unsere Arbeitswelt und unser Leben verändern.

Wie viele Arbeitnehmer sind in den Ferien oder nach Feierabend erreichbar?

Nach dem aktuellen Gesundheitsreport der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) geben rund 24 Prozent der Arbeitnehmer auch in ihrer Freizeit eine hohe oder mittlere Erreichbarkeit an. Gut 40 Prozent müssen nur selten erreichbar sein, 35 Prozent fast gar nicht.

Begünstigt ständige Erreichbarkeit psychische Erkrankungen?

Ein mittleres bis hohes Maß an ständiger Erreichbarkeit steigert das Risiko für eine Depression, geht aus der Studie der DAK hervor. Grundlage für dieses Ergebnis war eine bundesweite Befragung von 3090 Beschäftigten, die bei der DAK versichert sind. Die Arbeitnehmer mussten angeben, wie häufig und warum sie außerhalb der Arbeitszeit dienstliche E-Mails lesen, ob sie außerhalb der Arbeitszeit und auch im Urlaub für Vorgesetzte und Kollegen telefonisch erreichbar sind und wie häufig davon Gebrauch gemacht wird. Zusätzlich wurde nach Symptomen einer depressiven Erkrankung gefragt, wie Interessens- und Freudeverlust, Niedergeschlagenheit, Schwermut und Hoffnungslosigkeit. Von den Beschäftigten mit hoher Erreichbarkeit gaben 24 Prozent depressive Symptome an, bei mittlerer Erreichbarkeit waren es 16,7 Prozent. Bei Arbeitnehmern, die nicht oder kaum erreichbar waren, waren 11,4 Prozent davon betroffen. Es zeigte sich auch, dass Beschäftigte mit höherem Maß an Erreichbarkeit häufiger wegen psychischen Beschwerden krankgeschrieben waren als Arbeitnehmer mit geringer Erreichbarkeit.

Steigert ständige Erreichbarkeit das Stresslevel?

"Ja, weil man ständig in einer Erwartungsspannung ist und nicht richtig abschalten kann", sagt Prof. Stephan Ahrens, Leiter des Psychosomatischen Fachzentrums Falkenried. Für ein bis zwei Tage sei diese ständige Erreichbarkeit kein Problem. Wird sie aber zum Dauerzustand, belastet sie den Körper und führt zur ständigen Erhöhung von Stresshormonen. Das kann zum Beispiel Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder Verdauungsprobleme zur Folge haben.

Ist es nur von Nachteil, dass man immer das Handy eingeschaltet hat?

Problematisch ist der Zwang, ständig mehrere Dinge gleichzeitig tun zu müssen oder zu wollen. Forscher der Stanford-Universität fanden kürzlich heraus, dass Menschen, die den ganzen Tag lang multitasken, sich bald kaum mehr auf die relevanten Informationen konzentrieren können: Zunächst können sie kaum noch Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, dann verlieren sie auch die Fähigkeit, schnell zwischen simultanen Aufgaben zu wechseln. Chronische Mediennutzer lassen sich zudem leichter ablenken und verlieren die Fähigkeit, sich selbst zu kontrollieren und zu konzentrieren.

Nur scheinbar ist es ein Vorteil, die Zeit "nutzen" zu können, also in der Bahn und selbst im Auto permanent weiterarbeiten zu können. Die SMS, die sich durch eine kleinen Gong ankündigt, das Vibrieren bei einem Telefonanruf vermitteln ein Gefühl von Status und sozialer Nähe. Dabei verharmlosen Arbeitnehmer aber den Verlust von Muße und Gelegenheiten zum Nachdenken.

Gibt es Firmen, die den Stress der Informationsüberflutung bekämpfen wollen?

Der Autohersteller Volkswagen hat eine Betriebsvereinbarung darüber abgeschlossen, wie lange E-Mails abgerufen werden sollen. Die Lösung ist einfach: Der Server wird nach Dienstschluss um 18.15 Uhr heruntergefahren.

Bei der Deutschen Telekom untersagt eine Richtlinie den Chefs, Mails an Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit zu schreiben. Die Mitarbeiter müssen in ihrer Freizeit und am Wochenende keine Mails beantworten. Der ehemalige Staatskonzern reagierte mit dieser Praxis auch auf die dramatische Situation bei France Télécom, wo sich 60 Beschäftigte das Leben nahmen. Viele dieser Opfer beklagten in Abschiedsbriefen eine Atmosphäre von Stress und Angst im Beruf.

Muss man für seinen Arbeitgeber rund um die Uhr erreichbar sein?

Nach dem geltenden Recht darf die wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden nicht überschreiten. Zwischen den Arbeitstagen müssen die Mitarbeiter eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben - und zwar ununterbrochen.

Wer auch persönlich nur einen Acht-Stunden-Tag vereinbart hat, kann anschließend im wahrsten Sinne des Wortes "abschalten", sagt Hendrik Röger, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei White & Case LLP. Anders sieht es aus, wenn Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienste oder eine Art erhöhte Aufmerksamkeit vereinbart werden. Bei letzterem geht es darum, dass E-Mails auch nach Dienstschluss gelesen werden, etwa über entsprechende Mobiltelefone. Trotz aller Vertragsfreiheit gibt es gesetzliche Grenzen, die auch dann gelten, wenn der Arbeitnehmer mit der ständigen Erreichbarkeit einverstanden ist. Aber auch die Rechtsprechung hat erkannt: Ein Arbeitsverhältnis muss heute eine gewisse Flexibilität haben. Starre Raster passen nicht mehr in die Lebenswirklichkeit. In der Praxis ist aber ohnehin die einvernehmliche Lösung die Regel. Auch nach Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist kein Arbeitnehmer verpflichtet, mehr zu leisten, als er laut Vertrag schuldet. Allerdings sieht der Verband hier aber auch keinen Regelungsbedarf: Engagement und Leistungsbereitschaft sollten nicht zwangsweise eingeschränkt werden.

Muss/sollte man dem Arbeitgeber seine Handynummer geben?

Es gibt keinen gesetzlichen Zwang, seine private Handynummer zur Verfügung zu stellen, sagt Röger. Wenn es einem Arbeitgeber auf eine erweiterte Erreichbarkeit ankommt, wird er dem Mitarbeiter ohnehin ein Diensthandy geben. Andererseits ist niemand daran gehindert, seinem Chef die private Mobilnummer zu geben. Für viele ist ja das Smartphone ohnehin zur eigenen Schaltzentrale geworden.

Was ist, wenn der Arbeitgeber einem ein Handy zur Verfügung stellt? Muss man dieses dann rund um die Uhr anhaben?

Auch das hängt vom Arbeitsvertrag und der konkreten Position ab. Für den Mitarbeiter im Einkauf eines weltweiten Unternehmens, das über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg Geschäfte macht, gelten andere Regeln als für einen Teilzeit-Buchhalter eines deutschen Mittelständlers. Eine 24-Stunden-Erreichbarkeit aber kann kein Arbeitgeber erwarten.

Wie rechnet man private/berufliche Anrufe ab?

Mit einem Verbindungsnachweis kann man sich Kosten für berufliche Gespräche erstatten lassen, sagt Fachanwalt Röger. Bei Flatrates gibt es Pauschalen und Schätzwerte, die man sich vom Arbeitgeber steuerfrei erstatten lassen oder steuerlich geltend machen kann.

Gibt es einen Unterschied zwischen Führungskräften und "normalen" Angestellten, was Erreichbarkeit angeht?

Ja, für obere Führungsebenen wie Geschäftsführer, Prokuristen oder leitende Angestellte gelten die strengen Beschränkungen des Arbeitszeitgesetzes meist nicht. Tägliche Höchstarbeitszeit, Ruhezeiten, Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen und Ähnliches fallen hier also weg.

Darf der Chef einen privat anrufen?

Er darf privat anrufen, wenn der Arbeitsvertrag es zulässt, es dringend erforderlich ist oder wenn Rufbereitschaft vereinbart wurde. Die gesetzlichen Grenzen für die tägliche Arbeitszeit und die notwendigen Ruhezeiten gelten aber auch hier.

Aus welchem Anlass darf man den Chef privat anrufen?

Ja, natürlich gilt auch umgekehrt: Wenn es betrieblich erforderlich ist, darf man den Chef privat anrufen. In Notfällen muss man sogar zum Hörer greifen. Die meisten haben aber ein sehr gutes Gespür dafür, wann das notwendig ist und wann nicht.

Was ist, wenn man nach Feierabend noch zwei, drei Stunden von zu Hause arbeitet?

Das ist zulässig, sofern man dadurch nicht das Arbeitszeitgesetz sprengt - und die Familie es zulässt. Die Zusatzarbeit bekommt man aber nur dann vergütet, wenn sie auch angewiesen wurde. Nach einer EU-Studie soll der Unterschied zwischen vertraglich vereinbarter und tatsächlicher Wochenarbeitszeit bereits nirgendwo größer sein als in Deutschland. Laut Tarif sind es 37,7 Stunden, tatsächlich 40,4 Stunden.

57 Prozent der Männer und zwei Drittel der Frauen haben nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums keinen Einfluss auf ihre Arbeitszeiten. Viele denken, mit einer ständigen Erreichbarkeit oder einer ständigen Präsenz im Büro zu zeigen, dass sie es verdient haben, bei der Firma zu bleiben. Es gilt aber auch: Die Erreichbarkeit per Blackberry und Telearbeit ermöglicht es mehr Beschäftigten, von zu Hause aus zu arbeiten. Im Überall-Büro mit Laptop oder Blackberry ist es gut möglich, ein guter Arbeitnehmer zu sein. Aber vom Büro aus ein guter Vater zu sein, um sich um sein Kind zu kümmern, ist nicht möglich.

Gibt es gesetzliche/tarifliche Vorschriften zu den Themen?

Den Umgang mit ständiger Erreichbarkeit regeln vor allem das Arbeitszeitgesetz mit seinen Vorschriften zu Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten, dann das Bundesurlaubsgesetz mit dem gesetzlich gewährleisteten Mindesturlaub und auch das Arbeitsschutzgesetz. Auch Tarifverträge machen häufig Vorgaben zu Arbeitszeit oder Rufbereitschaft. Die konkreten Regelungen sind aber von Branche zu Branche unterschiedlich.

Kann man das Handy von der Steuer absetzen, wenn man es beruflich nutzt?

Ja, die Lohnsteuerrichtlinien lassen zu, dass man Pauschalen und Schätzwerte als Werbungskosten geltend macht. Erstattet der Arbeitgeber die Kosten, geht das natürlich nicht mehr.

Wie verändert sich die Erreichbarkeit durch den Erfolg von Smartphones?

Rund 30 Millionen Deutsche haben zwei Smartphones in Gebrauch, sieben Millionen nutzen gar drei oder mehr Handys parallel. Bei den internetfähigen Smartphones kann neben den Anrufen auch der Abruf von Mails zum Stress führen: Immerhin mehr als 1,2 Milliarden E-Mails werden täglich in Deutschland empfangen.

Wie nutzen Firmen die neuen Kommunikationsmittel für ihre Bedürfnisse?

Beim weltweit agierenden Autozulieferer Continental sind die Mitarbeiter über interne Netzwerke rund um die Uhr miteinander verbunden. Arbeitet ein Entwicklungsteam in Deutschland an einem Projekt, können Conti-Forscher in den USA anschließend daran weiterarbeiten, eine Folge der Zeitverschiebung. Die Informationen sollen dabei für möglichst viele in Blogs verfügbar sein, nicht mehr in E-Mails, von denen etliche Mitarbeiter abgeschnitten sind. Dadurch sind auch Reaktionen der Belegschaft auf Einträge der Führungskräfte möglich.

Auch bei Adidas mit seinen weltweit gut 40.000 Mitarbeitern ersetzen Skype-, Telefon- und Videokonferenzen regelmäßig persönliche Kontakte zwischen Teams in Deutschland, Asien oder den USA. Termine in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden sind hier nicht zu vermeiden. Sie können aber durch Sport während der Arbeitszeit ausgeglichen werden. Im Angebot sind etwa Tennis oder Basketball, insgesamt mehr als 100 Sportprogramme.