Smartphones verändern unser Leben. Ein Plädoyer gegen die ständige Erreichbarkeit

Was macht man, wenn es brennt? "Bitte verlassen Sie erst das Gebäude", steht auf einem Plakat in einem US-Medienunternehmen, "bevor Sie die Nachricht von dem Feuer auf Facebook, Twitter, etc. verschicken." Die Warnung ist natürlich lustig gemeint, hat aber einen ernsten Hintergrund. Denn die Wahrnehmung des Alltags ist im Zeitalter der sogenannten Smartphones, also der internetfähigen Handys, eine andere geworden, und das Verhalten der Menschen erst recht.

Was immer irgendwo auch passiert, es findet sich bestimmt jemand, der es in Sekundenschnelle vermeldet, ob es nun wichtig ist oder nicht. Wo immer irgendwer ist, kann man ihn mithilfe moderner Technik erreichen, ob per Anruf, SMS oder Mail. Und wie selbstverständlich kann heute jeder Smartphone-Benutzer von jedem Ereignis einen Film machen. Justin Bieber etwa blickte bei seinem Konzert in Hamburg gerade nicht nur in die verzückten Gesichter seiner Fans, sondern vor allem in deren Handykameras. Mitklatschen war gestern.

Die Smartphones sind allgegenwärtig, in Konzerten ebenso wie in U-Bahnen, Bussen und Fahrstühlen (obwohl man dort oft keinen Empfang hat), und selbst in Restaurants, wo es nicht ungewöhnlich ist, das Handy direkt neben das Besteck zu legen - um ja nichts zu verpassen. Es ist erstaunlich, erfreulich und manchmal erschreckend, wie die neuen Telefone unsere Kommunikation beeinflussen. Wer zu einer Generation gehört, die mit Postkarten aus dem Urlaub und (benutzten!) Telefonzellen an jeder Ecke aufgewachsen ist, fragt sich: Wie ging das eigentlich früher? Wie konnten unsere Eltern/Freunde/Kollegen es aushalten, zwei oder drei Wochen so gut wie nichts von uns zu hören? Wie hat man sich damals zusammentelefoniert, wenn man sich abends in der Stadt treffen wollte? Etwa: gar nicht? Und: Wie konnten Firmen funktionieren, in denen die Chefs ihre Angestellten nur erreichen konnten, wenn diese an ihrem Schreibtisch mit Festnetzapparat saßen?

Irgendwie ging es, aber es klingt, als wäre es 100 Jahre her. So schwierig, wie es vor gar nicht langer Zeit war, jemanden zu erreichen, so absurd leicht ist es heute. Das könnte eigentlich dazu führen, dass die Kommunikation effizienter wird, aber das ist sie leider nicht. Kleines Beispiel: Seit Beginn dieses Textes ist die Zahl der Mails im Eingangsfach um neun gestiegen, und das schlechte Gewissen drückt, dass die Absender schon seit einer halben Stunde auf eine Antwort warten müssen.

Es ist verlockend nachzusehen, ob etwas Wichtiges dabei ist, aber der Verlockung nachzugehen wäre fatal. Erstens weil dann dieser Kommentar noch später fertig würde, zweitens weil jede beantwortete Mail das Risiko einer neuen nach sich zieht und drittens weil die nächste Unterbrechung der eigentlichen Arbeit dann nur eine Frage der Zeit ist. Es soll Menschen geben, die sich angewöhnt haben, E-Mails und SMS nur einmal am Tag zu beantworten, so wie man früher einmal am Tag zum Briefkasten gegangen ist. Wahrscheinlich ist das die klügste Methode, aber typisch sind andere: morgens in der Bahn E-Mails checken, mittags in der Pause, abends zu Hause, und dann noch mal kurz vor dem Ins-Bett-Gehen. Und beim Warten vor der Supermarktkasse, vor dem EC-Automaten, auf dem Weg ... Das Smartphone kann jeden Ort zum Arbeitsplatz machen, mit ihm gibt es keine Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit mehr. Nun könnte man sagen, dass das nur gerecht ist: Denn wer bei der Arbeit private Mails beantwortet, darf sich nicht beschweren, wenn er nach Feierabend mal auf eine geschäftliche Nachricht reagiert. Nur führt das auf Dauer dazu, dass man im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr abschaltet - und das ist gefährlich, für Körper wie Geist, für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Dass die psychischen Erkrankungen gerade am Arbeitsplatz zunehmen, hängt natürlich damit zusammen, dass viele Menschen den Kopf nicht mehr frei kriegen können oder wollen und sich verpflichtet fühlen, immer erreichbar zu sein.

Der Griff zum Smartphone, die ununterbrochene Kommunikation, droht zu einer neuen Volkssucht zu werden, die nicht nur uns, sondern vor allem unser Miteinander verändert. Noch ein Beispiel, am Freitag im Café: Ein Paar sitzt nebeneinander, jeder ein Handy in der Hand, offensichtlich beim Versenden von Nachrichten. Nach etwa einer halben Stunde blickt er das erste Mal zu ihr auf. Und sagt: "Ich habe dir die Mail von Peter mal weitergeschickt."