Verwaltungsratspräsident Karl Gernandt übernimmt zeitweise die operative Führung des Schweizer Logistikkonzerns Kühne+Nagel.

Schindellegi/Hamburg. Der führende europäische Logistikkonzern Kühne+Nagel vollzieht eine umfassende Erneuerung: Früher als geplant leitet das Unternehmen mit Sitz im Schweizer Ort Schindellegi den Wechsel an der Spitze des operativen Geschäfts ein. Dieser Prozess geht einher mit einer Neuordnung der regionalen Strukturen im Konzern. Der Standort Hamburg wird durch die Bündelung zum neuen Regionalzentrum Westeuropa aufgewertet, teilte Kühne+Nagel mit.

Federführend soll dabei in den kommenden Monaten der in der Hansestadt wohlbekannte Manager Karl Gernandt, 52, sein. Der frühere Deutschland-Chef des Zement- und Baustoffherstellers Holcim und Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH) ist bei Kühne+Nagel seit einigen Jahren der wichtigste Manager neben Mehrheitseigner Klaus-Michael Kühne, 75. Unter anderem fungiert Gernandt als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats bei der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, an der Kühne rund 28 Prozent der Anteile hält. Zudem sitzt der Manager auch im Stiftungsrat der Kühne-Stiftung.

Gernandt, als Präsident des Verwaltungsrats oberster Kontrolleur von Kühne+Nagel International, übernimmt mit einem Team ranghoher Manager für eine Übergangszeit auch die operative Führung des Konzerns. Im Fokus steht dabei die Suche nach einem Nachfolger für Konzernchef Reinhard Lange, 63, der seit mehr als 40 Jahren für das Unternehmen arbeitet. Lange kündigte am Montag bei der Vorlage der Jahreszahlen an, seinen Vertrag nicht bis zum Ende des Jahres zu erfüllen, sondern sich bei der Generalversammlung am 7. Mai als Vorsitzender der Geschäftsleitung freistellen zu lassen.

Langes Vertrag sollte ursprünglich bereits Ende 2012 enden. Im September 2011 verlängerte er aber um ein Jahr. Die Führung des Konzerns gibt Lange nun mit einer durchwachsenen Bilanz ab. Eine Abschwächung des Welthandels und eine Kartellbuße belasten das Ergebnis. Vor allem in China, aber auch in Europa lief es für Kühne+Nagel im vergangenen Jahr nicht so wie erwartet. "Wir haben zu früh auf eine Erholung der Weltkonjunktur gesetzt", sagte Karl Gernandt am Montag in Zürich. Im rezessionsgeplagten Europa, wo der Konzern rund 60 Prozent seines Umsatzes macht, konnten die Schweizer die Umsätze kaum steigern. Die Gewinne gingen in Europa ebenso zurück wie im Asiengeschäft. In China realisierte der Konzern nach Gernandts Worten zu spät, dass die neue Parteiführung mehr auf die Inlandskonjunktur setzt als auf Exporte. Aber auch die Europäer bestellten weniger. Das Seefrachtvolumen von Asien nach Europa war zum ersten Mal seit Jahren rückläufig.

Insgesamt stieg der Umsatz im vergangenen Jahr um 5,9 Prozent auf 20,75 Milliarden Franken (16,94 Milliarden Euro), der Gewinn sank hingegen um rund 19 Prozent auf 493 Millionen Franken. Die Dividende für 2012 soll auf 3,50 von 3,85 Franken je Aktie gekürzt werden. Ohne die im März. 2012 verhängte Kartellbuße von 65 Millionen Franken, gegen die der Konzern beim Europäischen Gerichtshof Einspruch eingelegt hat, hätte der Konzerngewinn 558 Millionen Franken betragen.

Kühne+Nagel beschäftigt an mehr als 1000 Standorten in über 100 Ländern mehr als 63.000 Mitarbeiter. Das Unternehmen ist weltweit einer der führenden Dienstleister insbesondere für See- und Luftfracht. Zum Geschäft des Konzerns gehören obendrein auch die traditionellen Landtransporte per Lastwagen und Bahn sowie die Kontraktlogistik. Die Lagerung und Verteilung von Waren für andere Unternehmen betreibt Kühne+Nagel in seinen eigenen, hochautomatisierten Logistikzentren unter anderem in Hamburg.

In Europa, wo nach Gernandts Einschätzung auch dieses Jahr kein nennenswertes Wachstum zu erwarten ist, seien Kostensenkungen und "lean management" angesagt, "schlanke" Führungsstrukturen. "Wir müssen in den nächsten Monaten auf der Kostenseite arbeiten", sagte er. Im Raum Asien-Pazifik soll ein zusätzliches Managementteam installiert werden, um den Markt gezielter zu bearbeiten. Aus den Schwellenländern und den Vereinigten Staaten kämen ermutigende Signale.

Nach mehr als 40 Jahren bei Kühne+Nagel reichte Konzernchef Lange seinen vorzeitigen Rücktritt zum 7. Mai aus gesundheitlichen Gründen ein. "Das ist eine private Entscheidung, geprägt von meiner Gesundheit", sagte Lange. Bis zum Ende des Jahres soll ein neuer Konzernchef bestellt werden.

Langes Rücktritt und der eher verhaltene Ausblick der Konzernspitze auf das laufende Jahr brachten die Kühne+Nagel-Aktie unter Druck. Der Titel verlor in einem leicht schwächeren Markt um 4,6 Prozent auf 101 Franken. Das Papier dürfte sich aber über 100 Franken halten können, erklärte die Bank Notenstein.