Eine Replik auf den Gastbeitrag des “Recht auf Stadt“-Aktivisten Christoph Twickel (HA vom 19. Dezember).

Hamburg. Künstler haben unserer Stadt im Gängeviertel auf wundersame Weise den Spiegel vorgehalten, und wir mussten uns die Frage stellen: Zahlenakrobatik oder Klugheit? An dem verrotteten Betonklotz Frappant in Altona hängen Stoffbanner, Künstler, die dort vorübergehend Ateliers einrichteten, protestieren gegen Ikea. Mit dem Manifest "Not in our name" stellt eine Gruppe von engagierten Künstlern und Stadtaktivisten klar, dass Hamburg die Stadtentwicklung auf keinen Fall in ihrem Namen betreibt. Gehört das alles zusammen? Ja, schreibt Christoph Twickel am Sonnabend im Abendblatt, und alles ist Kampf gegen Hamburgs neoliberale Stadtentwicklungspolitik. Halten wir inne. Wir sollten unsere Neigung überprüfen zu Heldenbewunderung (macht alles schön klar) und zu Politikverdruss (das Schwarz neben dem Heldenweiß) und bitte auch unsere geheime Hoffnung auf Wunder (denn das Leben ist zu kompliziert). Sind die Künstler die klarsichtigen Helden der Gegenwart, die Politiker allesamt verantwortungslos und "Teil von Immobilien-Verwertungskoalitionen"?

Schritt eins, das Gängeviertel. Bürgerliches Engagement ist kein Geschäftemachen, sondern Handeln getragen vom Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, mitzugestalten, einzustehen für gemeinsame Werte. Die Künstler im Gängeviertel hielten uns den Spiegel vor, sie schützten für Hamburg einen einzigartigen Ort unserer Geschichte. Die Künstler suchten auch preiswerten Raum zum Arbeiten, aber sie wollten im Gängeviertel Zeichen setzen, nicht sich persönlich dauerhaften Raum dort erkämpfen. Heldenweiß ist die richtige Farbe hier. Das weitsichtige Engagement der Künstler wird mit diesem Ort verbunden bleiben, sehr viele Hamburger erwarten, dass über die städtische Saga/GWG eines oder zwei der Häuser im Gängeviertel als dauerhaftes Künstlerquartier saniert und subventioniert werden. Das gesamte Gängeviertel als preiswertes Künstlerquartier? Nein, ein finanzielles Wunder wird es nicht geben. Neben dem Weiß steht das Schwarz: Tiefen Politikverdruss hatte der jahrelange Umgang der Stadt mit dem Gängeviertel verursacht.

Schritt zwei, das Frappant-Gebäude in Altonas trister Großer Bergstraße. Künstler wurden eingeladen, bis zum Abriss Teile des Frappant-Gebäudes als Atelierfläche zu nutzen. Ihre Proteste gegen den Ikea-Neubau finden Gehör, machen nachdenklich. Die Künstler im Frappant können uns nicht den Spiegel vorhalten. Über die Wiederbelebung der einst beliebtesten Einkaufsstraße in Hamburgs Westen beraten Bezirkspolitiker und Anwohner seit Jahren mit großem Engagement. Am 5. Dezember 2006 haben wir im Kultwerk West an der Großen Bergstraße eine Veranstaltung gemacht - auf der Suche nach einer Zukunft für den verrotteten Betonklotz Frappant. Die Architektin Barbara Fleckenstein stellte damals ein von ihr schon Jahre zuvor entwickeltes, faszinierendes Konzept vor. Sie wollte das Frappant-Gebäude umbauen zu einem Ort kultureller und sozialer Nutzung. Das Fleckenstein-Konzept wurde aufgegriffen, und erfahrene Akteure bemühten sich, eine Finanzierung zu finden mit privaten wie öffentlichen Geldern. Drei Jahre sind vergangen, die weltweite Wirtschaftskrise lastet auf uns. Ein finanzielles Wunder ist nicht in Sicht. Kein Künstlerheldenweiß also beim Frappant und auch kein Politikverdrussschwarz. Frappant und Gängeviertel gehören nicht in einen Topf. Wenn wir genau hinsehen in unserer Stadt, erkennen wir die unterschiedlichen Grautöne und bilden uns dann die eigene Meinung. Die Altonaer machen das am 19. Januar und stimmen beim Bürgerentscheid für oder gegen Ikea. Im Kultwerk-Team gibt es beide Standpunkte.

Schritt drei, Christoph Twickel benennt neoliberale Stadtentwicklungspolitik und die verlorene Sorge um das Gemeinwohl. In den letzten 20 Jahren hat der Senat eine Menge Fehler gemacht in der Stadtplanung. Welcher Politiker hat seinen Fehler eingestanden? Aber es ist auch viel Gutes in Gang gesetzt worden. Schauen wir also möglichst genau hin, beteiligen wir uns. Beispiele: Bürgerliches Engagement hat bei der Domplatzbebauung einen Glaskasten-Fehler verhindert und für eine Denkpause gesorgt (Heldenweiß). Die verbleibende Planung für die HafenCity braucht Entschleunigung und Überprüfung - erscheint Ihnen die starke Verdichtung und die geringe Zahl von bezahlbaren Wohnungen nicht auch fragwürdig? (Politikverdrussschwarz?). Das große Künstlerhaus Frise in Ottensen wurde von der Stadt den dort lebenden Künstlern zum Kauf günstig überlassen ohne "Immobilienverwertungskoalition". Heldenweiß vielleicht nur auf den ersten Blick? Hätte die Stadt die Frise nicht besser als städtisches Künstlerhaus mit Künstlerstipendiaten unterhalten und so den Hamburgern einen wechselnden, breiteren Kreis von Künstlern nahebringen sollen? (Also Farbe Murkelgrau?). Wie bewerten Sie die Bemühungen von Stadt und Bezirk, Altona den Frappant-Künstlern nach dem Auszug neue Atelierräume zu verschaffen? (Farbe?).

Christoph Twickel und andere Stadtaktivisten rütteln die Politiker und uns alle mit Polemik wach. Das ist sehr gut. Aber die Tonlage taugt nicht auf Dauer. Wenig ist so klar weiß oder tiefschwarz, wie Twickels Polemik und wie unser geheimer Wunsch nach Helden oder Wundern es uns suggerieren wollen. Ich wünsche mir das erste deutsche Ikea-Stadtkaufhaus für die Große Bergstraße mit behördlich verfügter Stellplatzbeschränkung. Die Zukunft gehört in Hamburg immer mehr Bus, Bahn oder Fahrrad.

Sigrid Berenberg ist die Initiatorin von Kultwerk West und (auch ehrenamtlich) seit 20 Jahren Vorstandsvorsitzende des Familienplanungszentrums Hamburg.