Seit Jahren leidet der Buchhandel unter Umsatzrückgang. Verbliebene Geschäfte in Hamburg wollen mit individueller Beratung Kunden halten.

Hamburg. Bücher über Bücher, rund 25 000 Einzeltitel. Selbst das Fenster in seinem kleinen Kontor nutzt Buchhändler Matthias J. Marissal am Rathausmarkt als Ausstellungsfläche. Auf einem kleinen Regal stehen die Krimis mit Tatort Hamburg. Allein die Reiseliteratur in der ersten Etage erstreckt sich über fünf laufende Meter. Hier gibt es nicht nur die klassischen Ratgeber, sondern auch Kurzgeschichten und Reportagebände über Reiseziele. "Das ist einer unserer Schwerpunkte, neben erzählender Literatur einschließlich Lyrik sowie Politik und Geschichte", sagt Marissal. Die zentrale Lage und die Individualität zeichnen die Buchhandlung aus, sorgen auch in schwierigen Zeiten für leichtes Wachstum.

Einige Hundert Meter entfernt im Hanse-Viertel verfolgt Annerose Beurich mit ihrem Buchladen Stories ein anderes Konzept. Sie inszeniert Bücher. Zehn Prozent ihrer 7500 Titel präsentiert sie frontal in weißen oder braunen Rahmen, manche mit Anmerkungen versehen wie "Lieblingsbuch von Sarah Connor" oder einfach nach Farben geordnet. Alle paar Tage wechselt sie die Auswahl. "Innerhalb einer halben Stunde kann ich dem Geschäft ein ganz anderes Aussehen geben", sagt Beurich. Das steigert die Kundenfrequenz, der Umsatz wächst zweistellig.

Doch in der Branche ist sie damit die Ausnahme. Seit Jahren leidet der Buchhandel unter einem Umsatzrückgang. Allein 2011 verlor der klassische Buchhandel drei Prozent seines Umsatzes, und die Prognosen sind düster: In den kommenden zehn Jahren wird jede zweite Buchhandlung verschwinden und die Verkaufsfläche sich halbieren, erwartet Carel Halff, Chef der Mediengruppe Weltbild (Hugendubel).

Der Hamburger Buchhändler Jan Börms weiß, was das bedeutet. An der Dammtorstraße musste er seine traditionsreiche Buchhandlung & Antiquariat Max Wiedebusch aufgeben, weil er die höhere Miete nicht mehr zahlen konnte. Jetzt ist er in der Buchhandlung Laatzen in der Esplanade untergekommen. Max Wiedebusch belegt dort die mittlere Etage "Wir kennen uns lange, und unsere Sortimente ergänzen sich gut", sagt Börms. Allerdings hat sich seine Verkaufsfläche verkleinert. "Wäre ich an einen weiter entfernt gelegenen Standort ausgewichen, hätte ich meine Stammkunden verloren", sagt Börms.

Selbst die inhabergeführte Hamburger Buchhandelskette Heymann überlegt, die Filiale am Großen Burstah zu schließen, wenn der Mietvertrag in Kürze ausläuft. "Der Standort ist seit Jahren eine einzige Baustelle, was sich jetzt noch verschärft hat", sagt Geschäftsführer Christian Heymann. "Das hat aber rein gar nichts mit den branchenspezifischen Problemen zu tun, sondern ist allein dem Standort geschuldet. In Buchholz haben wir eine Filiale gerade um 100 Quadratmeter erweitert." Insgesamt verfügt die Kette über 16 Filialen in Hamburg und dem Umland. Während es 1972 noch 171 in Hamburg ansässige Buchhändler gab, sind es aktuell noch 94, von denen 92 überwiegend Geschäfte an einem Standort betreiben, bilanziert der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Nach der Prognose des Weltbild-Chefs müssten in den nächsten zehn Jahren jährlich fast vier Geschäfte in Hamburg verschwinden.

"Das sehe ich nicht, denn die Flächenreduzierung betrifft vor allem die großen Ketten und wurde zum Teil schon vollzogen", sagt Michael Menard, Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Region Norddeutschland. "Der Buchhandel wird nicht das Schicksal der Tante-Emma-Läden erleiden, wenn sich die Branche den Herausforderungen stellt."

Manchmal zahlt sich allerdings auch Beschränkung aus. Als Marissal im Jahr 2000 elf Geschäfte von seinem Vater übernahm, sah er schnell, dass nicht alle Läden mit der sehr unterschiedlichen Ausrichtung gehalten werden können. "Nur zwei trugen den gleichen Namen. Eine Kette aufzubauen wäre sehr schwierig gewesen. Heymann saß schon überall an den besseren Plätzen", sagt Marissal. Die Läden wurden aufgegeben, als die Mietverträge ausliefen. Marissal konzentrierte sich auf das Geschäft am Rathausmarkt. Außerdem hat er Beteiligungen an Buchhandlungen in Anklam und Greifswald.

Während der Handel zu kämpfen hat, verzeichnen die Buchverlage steigende Umsätze. Das ist kein Widerspruch, weil sich mit dem Internet ein neuer Vertriebsweg jenseits des Sortimentsbuchhandels aufgetan hat. Rund 14 Prozent der zehn Milliarden Euro Jahresumsatz entfallen auf diese neue Vertriebsform. Doch davon profitieren die inhabergeführten Geschäfte kaum. "Denn 50 Prozent der Mitgliedsfirmen in der Hansestadt haben keinen oder nur einen unzureichenden Internetauftritt", sagt Menard. Doch wer seinen Stammkunden keine Bestellmöglichkeit im Netz biete, treibe sie zu Amazon.

Christiansen in Ottensen, Hamburgs älteste Buchhandlung in Familienbesitz, hat das längst erkannt. Der Internetauftritt bietet persönliche Empfehlungen der Mitarbeiter und auch eine Möglichkeit, Bücher außerhalb der Öffnungszeiten zu bestellen. "Dieser Vertriebsweg macht schon zwölf Prozent unseres Umsatzes aus", sagt Inhaberin Nicole Christiansen. Auch bei Heymann können die Kunden auf der Internetseite bestellen und die Bücher in einer Filiale ihrer Wahl abholen. Das Unternehmen bietet auch Gutscheinkarten an, mit denen sich die Beschenkten Hörbücher herunterladen können.

Christiansen arbeitet jetzt an einem Konzept für das E-Book. "Die Kunden signalisieren, dass sie daran Interesse haben, wollen aber auch, dass wir als Buchhandlung davon profitieren", sagt die Buchhändlerin. Auch Marissal hat das Thema auf seiner Agenda. Denn wenn sich die Kunden erst einmal einen Kindle als Lesegerät gekauft haben und damit nur Bücher von Amazon kaufen können, gehen die örtlichen Buchhandlungen leer aus. Thalia hält mit einer offensiven Beratung dagegen. "In diesem Jahr sind die elektronischen Lesegeräte besonders gefragt, und Kunden nutzen die Möglichkeit, sich bei uns umfassend beraten zu lassen", sagt Unternehmenssprecherin Mirjam Berle.

Noch liegt der Umsatzanteil der E-Books am Buchumsatz erst bei zwei Prozent. In den USA werden bereits 14 Prozent aller Bücher als E-Book verkauft. "Doch man muss auch sehen, dass es dort Städte mit 500 000 Einwohnern gibt, die keine einzige Buchhandlung haben", sagt Menard. Deutschland habe weltweit pro Kopf die meisten Buchgeschäfte. Auf 17 000 Einwohner kommt eine Buchhandlung. Noch ist die Digitalisierung des Lesens nicht die größte Herausforderung für die Branche. "Ich erwarte ein vernünftiges Nebeneinander von elektronischem und gedrucktem Buch", sagt Heymann. "Das E-Book ist für den Urlaub ideal, aber es gibt viele Bücher, die möchte man gar nicht elektronisch haben."

Mit Flächenreduzierungen haben vor allem die großen Ketten zu kämpfen. Thalia will sich bundesweit von bis zu 15 unrentablen Filialen trennen. "Aber in Hamburg sind aktuell keine Schließungen geplant", sagt Firmensprecherin Berle. Mit überdimensional großen Filialen wurde kaum Stammkundschaft an das Unternehmen gebunden, sagen Branchenkenner.

Das ist bei den inhabergeführten Geschäften ganz anders. "Keine andere Branche im Einzelhandel hat einen so hohen Anteil von Stammkunden", sagt Menard. Es sind 80 Prozent. Um sie zu halten, setzt die Branche auf Kundenbindung, Fachkompetenz, Kooperation und Individualität. Bei Heymann kann man sich Buchhändlerin Sabine Metzger nach Hause einladen. Sie präsentiert dann vor mindestens acht Personen kostenlos eine persönliche Auswahl lesenwerter Romane. Bei der Buchhandlung Christiansen gibt es viele Literaturkreise, getrennt für Jungs und Mädchen. So sollen junge Kunden für das Lesen begeistert werden. "Wer bis 13 Jahre nicht für das Lesen gewonnen wurde, wird nachher nicht mehr dafür zu begeistern sein", sagt Menard. Die Buchhandlung Felix Jud am Neuen Wall ist ein Bündnis mit vier anderen Buchhandlungen in Deutschland eingegangen. "Es geht nicht um den optimierten Einkauf, sondern um die Stärkung unserer Profile", sagt Geschäftsführer Wilfried Weber. Gemeinsam verlegen sie bisher unveröffentlichte Texte und Bücher mit bibliophilem Charakter.

In Buxtehude zahlen die Kunden sogar, um sich für eine Nacht in der Buchhandlung Schwarz auf Weiß einschließen zu lassen und ungestört dort zu stöbern. Die beliebteste Nacht von Sonnabend auf Sonntag ist für 2013 schon komplett ausgebucht.