Charlene, 14, wollte nach einem Jahr Pause zur Stadtteilschule Barmbek - und musste am ersten Tag wieder gehen. Schule sah “Klärungsbedarf“.

Hamburg. Monatelang hatte sich Charlene Schulz auf den ersten Schultag vorbereitet. Es sollte ihr Wiedereinstieg werden, nachdem die 14-Jährige ein ganzes Jahr lang keine Schule besucht hatte. Am Dienstag vor einer Woche war es so weit: Charlene betrat ihre neue Schule, die Stadtteilschule Barmbek, Standort Tieloh. Was dort passierte, schildert Charlene so: Die Leiterin des Schulstandorts am Tieloh bat sie zum Gespräch und fragte nach ihrer Schulkarriere. Also erzählte Charlene, dass sie geschwänzt hat und dass sie schon mehrmals die Schule gewechselt hat, weil sie von Mitschülern gemobbt wurde. Ihre neue Schulleiterin habe jedoch wenig Verständnis gezeigt. Sie habe gesagt: "Wir können dich hier nicht gebrauchen. Wir haben schon genug Probleme." Dann habe sie sie weggeschickt. Die Schule bestätigte, dass Charlene zunächst wieder nach Hause geschickt worden sei - bestreitet aber die Wortwahl.

Das Mädchen ist jetzt wieder dort, wo es meistens war im vergangenen Jahr: zu Hause. Als Charlene an ihrem ersten Schultag nach Hause kam, war sie sehr aufgelöst, sagt ihre Mutter Claudia Schulz. "Sie weinte und fühlte sich sehr schlecht. Sie hatte sich wirklich auf ihren ersten Tag gefreut." Die Schule hat nach dem Vorfall angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie nun doch wiederkommen soll. Am Freitag war Charlene auch in der Schule. Doch danach ging es ihr wieder schlecht. Sie hat Angst davor, wieder ausgeschlossen zu werden. Seit dieser Woche hat ihre Mutter sie krank gemeldet.

Der Fall Charlene zeigt, wie schwer es ist, Schulschwänzern den Wiedereinstieg zu ermöglichen. Und dabei wäre Charlene ein Glücksfall für ein Schulsystem, das zu viele Schulschwänzer verliert, die ohne Abschluss ihre Schulen verlassen. "Eigentlich will ich zur Schule gehen", sagt Charlene. Sie will einen Schulabschluss machen und später einen Beruf ergreifen. Immobilienmaklerin, sagt sie, sei nicht schlecht.

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Es gibt mehrere Gründe, warum Charlene zur Schulschwänzerin wurde. Ihre Mutter Claudia Schulz ist alleinerziehend, hat fünf Kinder und lebt von Hartz IV. Claudia Schulz war in den vergangenen Jahren häufig krank. Im vergangenen Jahr musste die Familie ihr Reihenhaus in Fuhlsbüttel verlassen - in dem Haus hatte sich Schimmel gebildet. Charlenes kleiner Bruder litt unter schweren Asthma-Attacken, Ärzte rieten dringend zu einem Umzug.

"Charlene war danach wie entwurzelt", sagt Claudia Schulz. Vor allem die Tiere fehlen dem Mädchen - der Hund Amira und die vier Katzen Marianne, Pünktchen, Meffi, Hörmi. In die neue Vierzimmerwohnung in Hummelsbüttel durften die Haustiere nicht mit, weil Charlenes Bruder auch eine Tierhaarallergie hat. Damals besuchte Charlene die Fritz-Schumacher-Schule in Langenhorn. Charlene sagt, dass sie sich mit zwei Schulfreundinnen gestritten habe. Dass die beiden anderen sich gegen sie zusammengetan und sie immer und immer wieder geärgert hätten. Charlene schwänzte. Und Claudia Schulz meldete ihre Tochter krank.

Der Umzug, der Bruder, dann auch noch Charlene - Claudia Schulz sagt, dass sie überfordert war mit der Situation. Sie erhielt Unterstützung: Das Jugendamt stellte ihr eine Familienbetreuerin zur Seite. Charlene wechselte auf die Stadtteilschule Langenhorn im Grellkamp. Doch schon nach wenigen Tagen war auch dort Schluss: Die Klasse sollte auf Klassenreise fahren, Claudia Schulz beantragte einen Zuschuss beim Jobcenter, doch die Lehrerin erhielt das Fax mit der Zusage des Zuschusses nicht. "Die Lehrerin hat meine Tochter einfach am Hauptbahnhof stehen gelassen und ist mit allen anderen Kindern auf Klassenreise gefahren", sagt Claudia Schulz. Der nächste Anlauf war die Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude. Dort wurde sie wieder gemobbt, sagt Charlene: "Mitschüler haben auf Facebook geschrieben, dass ich mit Jungs rummache." Sie schwänzte erneut.

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Der Kontakt zu den Behörden brach nicht ab: Im vergangenen Halbjahr wurde Charlene von den "regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen" (Rebus) der Schulbehörde betreut. Sie bekam Einzelunterricht, zwei- bis dreimal in der Woche. Es lief gut, sagt das Mädchen. So gut, dass die Rebus-Berater, die Familienbetreuerin und die Familie Schulz vor den Sommerferien beschlossen, dass Charlene an eine normale Schule zurückkehren soll.

Am 2. August sollte Charlene an der Stadtteilschule Barmbek erscheinen. Sie kam am 7. August. Warum ihre Tochter erst Tage später in der neuen Schule erschien, weiß Claudia Schulz heute nicht mehr so genau. Auf jeden Fall kam es zur Begegnung mit der Schulleiterin. Die Schulbehörde beschreibt das Gespräch zwischen Schulleiterin und Schülerin so: Die Pädagogin habe "Charlene darauf hingewiesen, dass es in der 8. Jahrgangsstufe aktuell ein Mobbingproblem gerade unter Mädchen gibt und sie deshalb, gerade vor dem Hintergrund, dass Charlene wegen Mobbings die Schule wechseln will, um Zeit zur Klärung gebeten. Eine sofortige Unterrichtsteilnahme vor diesem Hintergrund schien nicht angeraten."

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Die Lehrerin bestreitet es auch, gesagt zu haben, dass die Schule schon genug Probleme habe und dass man Charlene deshalb nicht gebrauchen könne. Sie sei dem Kind "offen und interessiert entgegengetreten" und habe sich deshalb "nichts vorzuwerfen". Die Schule verweist darauf, dass Charlene nach der Klärung der Sache aufgefordert worden sei, am vergangenen Freitag zum Unterricht zu kommen. "Sie war dort willkommen, und der Schultag ist ohne weitere Vorkommnisse verlaufen." Die Schulbehörde besteht darauf, dass Charlene in die Stadtteilschule Barmbek geht. Der neue Klassenlehrer und der Beratungslehrer sollen den engen Kontakt zur Familie suchen, um mögliche Probleme zu klären. "Es wird aber auch erwartet, dass die Familie sicherstellt, dass Charlene zum Unterricht erscheint." Es mache durchaus Sinn, dass Charlene am Tieloh bleibe, weil eine Lehrkraft im Umgang mit Mobbing ausgebildet wurde. "Charlene ist am Standort Tieloh herzlich willkommen", teilt die Schulbehörde mit.

Charlene möchte ihren Neubeginn an einer anderen Schule machen. Ihre Mutter Claudia Schulz sagt: "Wenn die Schule schon einräumt, Mobbing-Fälle zu haben, sehe ich nicht ein, warum dies gerade der richtige Platz für meine Tochter sein soll."