Hamburg hat ein Schwänzer-Problem, weil Politik und Schulen versagen

Wenn Kinder die Schule schwänzen, ist das immer ein Notsignal. Sie haben Probleme: mit ihren Eltern, mit anderen Jugendlichen, mit ihren Lehrern - mit ihrem Leben. 416 dieser Notsignale gab es in Hamburg allein im ersten Quartal. Viele dieser Notsignale werden ignoriert.

Die größte Schwachstelle sind die Schulen: Viele Lehrer sind froh darüber, wenn ein Problemkind wegbleibt. Schwänzer können wegdelegiert werden, seit das Sitzenbleiben abgeschafft wurde. Schulleiter fürchten um den Ruf ihrer Schulen, wenn die Schwierigkeiten der Schwänzer nach außen dringen. Viele Schulen vertuschen die Hintergründe für das Blaumachen deshalb, anstatt sie zu lösen.

Doch es wäre ungerecht, das Schwänzer-Problem allein den Lehrern anzulasten. Denn die Hamburger Bildungspolitik hat im vergangenen Jahrzehnt viele motivierte Pädagogen vergrault: Reformen wurden und werden durchgezogen - egal wie schlecht die Schulen darauf vorbereitet sind. Hauptsache, Hamburg ist Vorreiter. Das aktuelle Beispiel ist die "Inklusion", die ab diesem Schuljahr flächendeckend gilt: Behinderte und nicht behinderte Kinder sollen überall am normalen Unterricht teilnehmen. Das ist eine gute Sache, doch viele Lehrer wissen nicht, wie sie das schaffen sollen. Daran können Reformen scheitern.

In Sachen Schwänzer erließen die Senate Verordnungen und Handreichungen. Das kostete nicht viel - und die Politik war raus aus der Verantwortung. Wie wenig Bedeutung das Thema für die Politiker hatte, zeigte sich darin, dass es bis zu diesem Jahr keine seriöse Schwänzer-Statistik gab.

Die Lehrer fühlen sich zu Recht im Stich gelassen. Zumal Briefe an die Eltern, Hausbesuche, Bußgelder und sogar Jugendarrest in vielen Fällen nichts bewirken. Weil die Schüler nicht einsehen, warum sie in die Schule gehen sollen, wenn sie sowieso keinen Ausbildungsplatz bekommen.

Und doch liegt die Lösung meistens in der Schule. Lehrer müssen schon ab der Grundschule individuell auf die Bedürfnisse ihrer Schüler eingehen. Wie das geht, zeigen bereits einige Schulen: Die Klassen werden anstatt von einem Lehrer von zwei Lehrkräften unterrichtet. Individuelles Lernen ist ein uraltes Konzept. Doch in der Praxis klappt es oft nicht: Es ist einfacher, Frontalunterricht für eine Klasse zu machen, als die Schüler in Gruppen einzuteilen und diesen unterschiedliche Arbeitsaufträge zu geben. Lehrerinnen und Lehrer sollten deshalb besser fortgebildet werden.

Der Hauptschulabschluss muss eine Perspektive für ein Leben ohne Hartz IV bieten. Schulen sollen sich nicht schämen müssen, wenn sie Schwänzer melden. Hamburg hat mit den "Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen" (Rebus) eine Beratungsagentur, die in Deutschland einmalig ist.

Die Kinder, die dem Schulsystem schon entglitten sind, sind die größte Herausforderung. Dass für einige die Schulen der falsche Ort zum Lernen sind, sagen Wissenschaftler seit Jahren. Und rühren damit an dem Grundsatz, dass Unterricht nur in der Schule stattfinden darf. Wenn die Stadt daran festhält, verbaut sie vielen Jugendlichen die Rückkehr zur Bildung.

Schulen müssen mehr Freiheit bekommen, Rückkehrprogramme für Schwänzer zu entwickeln. Durch Praktika und Arbeit in Vereinen oder Kultureinrichtungen können sie Lust auf das Lernen bekommen.

Und wenn die Schule der falsche Ort fürs Lernen ist, dann sollte es mehr Projekte wie das Tierpatenprojekt von Rebus geben, in dem Schwänzer über den Kontakt zu Tieren zum Lernen gebracht werden. Das ist besser, als wenn die Jugendlichen gar nichts für sich tun. Denn eigentlich will jedes Kind lernen.