Die Hamburgerin Kerstin Tollmien zeigt mit ihrem Unternehmen Pickapooh, dass man auch in Hamburg erfolgreich Textilien herstellen kann.

Hamburg. Die Luft steht in den Arbeitsräumen der Firma Pickapooh. Kaum eine kühle Brise dringt mitten im Hochsommer durch die geöffneten Fenster, doch die 15 Mitarbeiterinnen der kleinen Mützenmanufaktur sind schon mit der Produktion für den kommenden Winter beschäftigt. Nähmaschinen klicken und surren, während die Frauen wärmende Modelle wie "Jack", "Moritz", "Carl" oder "Paul" zusammenfügen.

Rund 100 000 bunte Kindermützen verlassen die Räume von Pickapooh pro Jahr. Lilafarbene Modelle mit langen Bommeln, grüne Zipfelmützen aus Wollfleece oder Rundummützen mit aufgesetzten Blumen. Dazu Puschen, Schals, Fäustel und ein Muff, um die Hände warm zu halten.

Dass es diese Produktionsstätte in Stellingen, unweit des S-Bahnhofs Diebsteich, überhaupt gibt, grenzt fast an ein Wunder. Denn eigentlich haben Textilhersteller die Hansestadt schon vor Jahrzehnten verlassen. Hamburger Branchengrößen wie der Versandhändler Otto oder die Modekette Tom Tailor lassen ihre T-Shirts, Hemden und Jeans heute fast ausschließlich in Bangladesch, China oder anderen Billiglohnländern wie der Türkei nähen.

Geblieben sind einige Maßschneider und Spezialisten. "Was wir hier machen, ist wirklich exotisch", sagt Pickapooh-Chefin Kerstin Tollmien. "Aber ich produziere ganz bewusst in Hamburg, weil ich nur hier die Arbeitsbedingungen komplett unter Kontrolle habe." Offen und kumpelhaft wirkt die braun gebrannte, hoch gewachsene Unternehmerin. In ihrer kurzen Jeans und den Cowboystiefeln hebt sie sich äußerlich kaum von ihren Mitarbeiterinnen ab. Wenn mal jemand fehlt, steht die Chefin selbst an der Werkbank, schneidet die Stoffe zu und bereitet sie für die Näherinnen vor. Vor 20 Jahren kam die gelernte Krankenschwester auf die Idee, sich selbstständig zu machen. "Ich habe nach passenden Mützen für meine eigenen Kinder gesucht, fand aber keine, die mir gefielen." Daher investierte die heute 47-Jährige 1000 D-Mark in Stoffe und begann zusammen mit einer Freundin, ihre eigenen Modelle zu entwerfen. Die erste Produktion richtete sie im Souterrain ihres Einfamilienhauses in Groß Borstel ein. Den ungewöhnlichen Namen der Firma leiteten die Gründerinnen von dem amerikanischen Babyspiel Peekaboo ab, bei dem ein Erwachsener das Gesicht in seinen Händen verbirgt und plötzlich wieder zum Vorschein kommt.

"Anfangs war die Firma nur eine fixe Idee, ich musste nicht davon leben", erinnert sich Tollmien. Doch dann trennte sie sich von ihrem Mann und stand von einem Tag auf den anderen allein mit zwei kleinen Kindern da. "Von da an musste das Unternehmen funktionieren und Gewinn abwerfen."

Die Chefin arbeitete sich in betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und das Fachvokabular der Textilbranche ein, besuchte Lieferanten und managte nebenbei das Familienleben. "Oft habe ich am Schreibtisch gesessen und die Buchführung erledigt, während meine Kinder daneben ihre Hausaufgaben machten."

Zweimal versuchte Tollmien, ihre Produktion auszulagern. Doch sowohl eine Fremdfirma aus Ostdeutschland als auch eine Anbieterin aus Hamburg erwiesen sich als wenig zuverlässig. "Daher habe ich eine eigene Fertigung aufgebaut und dann Schritt für Schritt erweitert."

Doch angesichts der fast verschwundenen Tradition der Textilfertigung war es gar nicht so einfach, die passenden Mitarbeiterinnen zu finden. Martina Staack, 43, kam für den Job als Zuschneiderin extra aus dem niedersächsischen Dannenberg nach Hamburg. Sie steht an einem hüfthohen Arbeitstisch und schneidet mit einer elektrischen Schere gerade die Teile für die Mütze Babyball zu. "Ich bin froh, überhaupt in meinem gelernten Beruf arbeiten zu können", sagt die Bekleidungsfertigerin, die früher mal für den Herrenausstatter Roy Robson tätig war.

+++ Branche im Wandel +++

Ihre Kollegin Elvira Kraft, 45, stammt aus Kasachstan und hat früher in einer großen Textilfabrik gearbeitet. In Deutschland musste sie sich mehr als zehn Jahre als Packerin und Lagerarbeiterin durchschlagen, bevor sie schließlich die Arbeit in Stellingen fand. "Im Vergleich zu den vielen Zeitarbeitsfirmen, bei denen ich tätig war, ist es hier viel besser", sagt sie.

Reich wird bei Pickapooh allerdings niemand. Kerstin Tollmien zahlt ihren Mitarbeiterinnen je nach Qualifikation einen Stundenlohn zwischen 6,50 und 13 Euro. Das ist weniger als der Mindestlohn in manchen deutschen Branchen, allerdings auch um ein Vielfaches mehr als das, was Näherinnen in Asien verdienen. "Ich versuche, die Löhne anzuheben, aber das lassen die schwierige Konkurrenzsituation und der hohe Kostendruck kaum zu", sagt die Chefin fast entschuldigend. An allen Ecken ist sie bemüht, die Kosten zu reduzieren, achtet auf Schnittmuster mit einem möglichst geringen Materialverbrauch und eine Just-in-Time-Produktion. Hergestellt wird nur, was die Händler ordern. "Große Lagerflächen kann ich mir nämlich nicht leisten."

Verglichen mit einem Textildiscounter wie Kik, der Babymützen schon für zwei Euro verschleudert, sind die Modelle made in Hamburg aber immer noch ausgesprochen teuer. Für acht bis zehn Euro verkauft Tollmien ihre Mützen an den Handel, für die Endkunden kosten sie rund 20 Euro.

Dennoch gibt es immer mehr Eltern, die bereit sind, dieses Geld für ihre Jüngsten auszugeben. Rund 800 000 Euro Umsatz erwirtschaftete Pickapooh 2011, die Zuwachsraten liegen seit Jahren bei 20 Prozent. "Die Kunden schätzen es, dass wir in Deutschland produzieren", sagt Tollmien.

Darüber hinaus hat die Chefin die Mützenherstellung schon vor Jahren auf Naturtextilien umgestellt und verwendet seitdem fast ausschließlich Baumwolle aus kontrolliert biologischem Anbau oder Wolle aus ökologisch korrekter Tierhaltung. Zudem setzt sie für Sonnenhüte einen besonders dicht gewebten Stoff ein, der auch Schutz vor UV-Strahlen bietet. Vertrieben werden die Mützen daher vor allem über Naturläden oder Biosupermärkte, aber auch über große Online-Händler wie etwa Amazon.

Neben Kindermützen hat Tollmien jetzt auch erstmals Strickmützen für Erwachsene entworfen. "Die Kunden haben immer wieder danach gefragt, hier sehe ich noch großes Wachstumspotenzial für uns", meint die umtriebige Unternehmerin. Das neueste Modell, eine Pudelmütze aus Merinowolle, heißt "Nina", so wie Tollmiens jüngste Tochter.

Die echte Nina arbeitet mittlerweile auch im mütterlichen Betrieb. Sie sitzt gerade im Lager und packt die fertigen Mützen zum Schutz in durchsichtige Plastiktüten. Die heute 22-Jährige ist mit Pickapooh aufgewachsen, als Kind war sie Mützenmodel und probierte stets die jüngsten Kreationen der Mutter auf.

Dauerhaft in die Firma einsteigen will sie aber nicht. "Ich sehe die Arbeit hier eher als Ferienjob", sagt die Studentin, die später einmal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeiten möchte. "Ich schaue den Kindern nämlich lieber in als auf den Kopf."