Bedürftige profitieren aber nur von 15 Prozent der gespendeten Textilien. Viele Spenden unbrauchbar. Der große Rest ist ein begehrtes Rohmaterial.

Wilhelmsburg. Pappkartons über Pappkartons und überall Altkleidersäcke, so weit das Auge reicht. Mittendrin zwei Menschen, die ganz akkurat sortieren. Stück für Stück wird jeder Plastiksack auf dem großen Holztisch ausgeleert, begutachtet, bewertet. "Die Hälfte der Kleidung kann man in die Tonne kloppen", kommentiert Norbert Meiburg die Spenden. Der Betriebsleiter der Kleiderkammer Wilhelmsburg ist erbost. Das merkt man. Über Anspruchsdenken und Wegwerfmentalität - auch wenn das sein tägliches Geschäft ist. "Die meisten Menschen wollen ihre Kleidung einfach nur loswerden", sagt er. Das sehe man am geringen Anteil der brauchbaren Alttextilien. Der liege bei lediglich 15 Prozent.

Die abgewetzte Jeans, ein altes T-Shirt oder einfach die ungeliebte Saisonware aus dem vergangenen Jahr: All diese Kleidungsstücke landen in Altkleidercontainern und in den Kleiderkammer. Etwa 750 000 Tonnen kommen dabei bundesweit pro Jahr zusammen. "Aufgrund der Menge muss man sich von der Vorstellung frei machen, dass jedes gespendete Kleidungsstück tatsächlich einem Bedürftigen zugute kommt", sagt Andreas Voget, Geschäftsführer des Vereins FAIRWertung. "Auch Kleiderkammern haben Überschüsse, die sie an Sortierbetriebe verkaufen." Aus der Traum also vom mildtätigen Gang zum Container oder der Kleiderkammer. Aus der Traum von der Vorstellung, direkt etwas für Bedürftige getan zu haben.

Stattdessen wird aus getragener Kleidung ein Rohstoff, mit dem sich Handel treiben lässt. Was ein Sammler mit den Kleidern macht, die sich in seinem Container befinden, bleibt jeder Einrichtung selbst überlassen. Schon bei der Entleerung des Containers gibt es enorme Unterschiede. Das Erfassen des Bestandes, die Sortierung und Vermarktung ist personal- und kostenintensiv. Hinter jeder Altkleidersammlung verbirgt sich immer ein enormer logistischer Aufwand. Deshalb entleert die eine Organisation ihre Container selbst, wie beispielsweise das DRK oder die DLRG in Winsen. Andere lassen ihre Container von Fremdfirmen leeren, so etwas das DRK in Hamburg-Harburg. Die Möglichkeit, die Wiederverwertungskette beispielsweise eines gebrauchten T-Shirts weiterzuverfolgen, ist dementsprechend von Sammler zu Sammler unterschiedlich gut.

Etwa 100 Container hat die Kleiderkammer Wilhelmsburg in Zusammenarbeit mit der Diakonie in ganz Hamburg aufgestellt. Diese werden bis zu dreimal pro Woche geleert. Und zwar durch Mitarbeiter der Kleiderkammer. Anschließend werden die Spenden dann nach Wilhelmsburg gebracht und dort sortiert. Langzeitarbeitslose und Behinderte teilen die Spenden ein in brauchbar und unbrauchbar. Und zwar nicht nur Kleidungsstücke, sondern auch Schuhe, Bettzeug, Spielsachen und Hausrat - es landet so einiges in den Containern. "Zu Spitzenzeiten haben wir 40 Mitarbeiter", sagt Norbert Meiburg. Die werden angesichts der Kleiderberge, die sich hier aufhäufen, auch benötigt. 50 Tonnen des wertvollen Rohstoffs Kleidung kommen pro Monat in die Kleiderkammer. Das entspricht 6000 Kleidersäcken. Der Inhalt wird nicht nur sortiert, sondern auch aufbereitet und repariert. "Wenn es sich lohnt, dann waschen wir auch mal das ein oder andere Kleidungsstück" sagt Meiburg. Und auch ein fehlender Knopf werde mal ergänzt. Bei kniffeligen Arbeiten wie Reißverschlussreparaturen lohne sich der Aufwand nicht.

Bei 85 Prozent der auflaufenden Kleidung wäre der Aufwand zu groß. Es lohnt sich nicht, sie an Bedürftige zu geben. Entweder, weil sie ohnehin verschlissen ist, oder weil sie nicht mehr der Mode entspricht. Es lohnt sich allerdings, sie an Textilrecyclingunternehmen zu verkaufen. Und das macht beinahe jeder Altkleidersammler. "Die meiste Kleidung aus unseren Containern wird zu Dämmstoffen für Autos verarbeitet", sagt der 1. Vorsitzende der DLRG-Ortsgruppe Elbmarsch, Ulf Matthies. "Die Container leeren wir noch selbst", sagt er. Danach allerdings, werde die Kleidung nach Lüneburg zur Firma Soex gebracht. Zu einem Textilrecyclingunternehmen, welches nach eigenen Angaben "Altkleider als wertvolles Recyclingprodukt" betrachtet. Vom Soex-Werk in Lüneburg gehe die Kleidung dann zu einem weiteren Soex-Werk nach Wolfen in Sachsen-Anhalt "in die endliche Verwertung", so Matthies.

Stefanie Zwilling, Pressereferentin des DRK im Landkreis Harburg stellt hingegen klar: "Wir verkaufen unsere Kleidung nicht an Verwertungsfirmen." Jeder Ortsverein handhabe seine Weiterverwertung jedoch anders. Jede Kleiderkammer des DRK habe ihre eigenen Kriterien des Sortierens. Und auch die Kleiderkammer Wilhelmsburg verkauft ihre Überschüsse an eine Verwertungsfirma. Textil Recycling K.A. Wenkhaus GmbH aus Hamburg. "Schließlich müssen die Überschüsse ja irgendwo hin", sagt Norbert Meiburg.

Nicht irgendwohin, sondern tatsächlich direkt an Bedürftige gehen die Kleidungsstücke, die noch brauchbar sind, also modisch und von guter Qualität. Das sind im Falle der Kleiderkammer Wilhelmsburg die noch tragbaren 15 Prozent, die zwar nicht zu Geld gemacht werden, für ihre Empfänger aber trotzdem wertvoll sind. Mittels der "rollenden Kleiderkammer" werden sie einmal pro Woche an mehr als 25 Ausgabestellen verteilt. Eine Stunde haben die Menschen dann Zeit, sich für ein paar Euro die passende Kleidung auszusuchen. Karitative Arbeit, Menschen Spenden zukommen zu lassen, auf die sie unbedingt angewiesen sind, auch das ist ein Weg der Gebrauchtkleidung. Nicht nur der Handel mit dem Rohstoff der Altkleiderware, sondern Hilfe für Bedürftige. "Der menschliche Aspekt spielt bei uns eine Rolle", betont auch Norbert Meiburg und schlägt die Augen dabei nieder. Man kann es ihm glauben, wie er erschöpft inmitten von Dutzenden von Altkleidersäcken steht.