Privatinsolvenzen verzeichnen Anstieg um 5,5 Prozent im ersten Halbjahr. Im Bezirk Mitte ist der Anteil überschuldeter Bürger besonders hoch.

Hamburg. Zwar ist die Wirtschaftskrise weitgehend überwunden, aber immer mehr Hamburgern steht ihre persönliche Finanzkrise erst noch bevor. Im ersten Halbjahr 2010 hat die Zahl der Privatinsolvenzen in der Hansestadt um 5,5 Prozent auf 1841 Fälle zugenommen - und die Hamburger Wirtschaftsauskunftei Bürgel erwartet auch für das gesamte Jahr einen Anstieg im Vergleich zu 2009.

Bundesweit sei mit 140 000 Verbraucherpleiten zu rechnen, das wären gut sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Damit würde der bisherige Höchststand aus dem Jahr 2007 von 137 000 Insolvenzen noch übertroffen.


"Trotz der Erholungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt gibt es in Deutschland noch immer mehr als drei Millionen Arbeitslose, außerdem erhöht sich die Zahl der Niedriglohnempfänger", sagte Bürgel-Experte Oliver Ollrogge dem Abendblatt. Laut einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen waren zuletzt 6,55 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor tätig, so viele wie nie zuvor. Als Obergrenze für diesen Sektor setzten die Forscher einen Stundenlohn von 9,50 Euro im Westen an.

Doch auch die langfristigen Faktoren, die Finanznöte verursachen können, verstärken sich weiter: "Es ist sehr viel leichter geworden, Geld auszugeben", so Ollrogge. Er nennt Onlinekäufe per Kreditkarte und Null-Prozent-Finanzierungsangebote etwa für Unterhaltungselektronik, auch teure Mobilfunkverträge können eine Rolle spielen.

"Man darf nicht denken, dass die Menschen, die in die Privatinsolvenz rutschen, immer mit Hunderttausenden von Euro verschuldet sind", erklärt Ollrogge. "Es reichen schon Beträge von vielleicht 10 000 Euro, besonders bei den Jüngeren." Gerade diese Bevölkerungsgruppe gerät offenbar immer häufiger in finanzielle Schwierigkeiten: Gemäß den Daten von Bürgel ist der Anteil der 18- bis 25-jährigen Personen, die im Rahmen einer Zwangsvollstreckung eine eidesstattliche Versicherung abgeben, im ersten Halbjahr 2010 auffallend stark um mehr als 15 Prozent gestiegen.

Wie Schuldnern die private Pleite helfen kann


Generell melden sehr viel mehr Männer als Frauen Privatinsolvenz an, das Verhältnis liegt in Hamburg im Schnitt ungefähr bei 60 zu 40. Doch es gibt eine bemerkenswerte Ausnahme: In der niedrigsten Altersgruppe von 18 bis 25 Jahren liegt der Anteil der Frauen bei mehr als 60 Prozent. Dieses Phänomen zeigte sich nach Angaben von Ollrogge auch schon in den zurückliegenden Jahren.

"Ein möglicher Grund dafür ist, dass Frauen schneller ihre Probleme anpacken und in eine Schuldnerberatungsstelle gehen, anstatt erst einmal jahrelang den Kopf in den Sand zu stecken", sagt Michael Knobloch, Experte beim Institut für Finanzdienstleistungen (iff) in Hamburg. Nach seinen Angaben ist in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen zu 25 Prozent unangemessenes Konsumverhalten der Grund für eine Überschuldung.

Über alle Altersgruppen gesehen habe dieser Faktor jedoch nur einen Anteil von elf Prozent. An der Spitze der Ursachen von Verbraucherpleiten rangiert mit rund 30 Prozent die Arbeitslosigkeit, als weitere wichtige Ursachen werden Scheidungen beziehungsweise Trennungen (13 Prozent) genannt, gescheiterte Selbstständigkeit (elf Prozent) sowie Krankheit (acht Prozent).

Innerhalb Hamburgs zeigen sich im Hinblick auf die Häufigkeit von Insolvenzanmeldungen auffallende Unterschiede zwischen den Bezirken: Negativ sticht der Bezirk Mitte heraus, in dem es zu 150 Privatinsolvenzen je 100 000 Einwohnern kommt, an zweiter Stelle folgt Harburg (128) und an dritter Stelle Bergedorf (115). Besonders selten tritt dieser Fall demnach im Bezirk Eimsbüttel (49) ein.

Insgesamt liegt Hamburg mit 104 Insolvenzen je 100 000 Bürger über dem Bundesschnitt (85), aber noch weit hinter dem Spitzenreiter Bremen (167). Am unteren Ende der Skala finden sich südlichere Bundesländer: Bayern mit 63 Verbraucherpleiten auf 100 000 Einwohner sowie Baden-Württemberg und Thüringen (jeweils 68).

Angesichts der Bedeutung konjunkturell bedingter Insolvenzursachen dürfte sich nach Einschätzung der Experten im Laufe des kommenden Jahres eine Entspannung ergeben. "Die Zahl der Privatinsolvenzen folgt den Schwankungen der Arbeitslosenquote üblicherweise mit einer Verzögerung von einem bis zwei Jahren", erläutert Knobloch. Auch bei Bürgel hält man eine Trendwende für durchaus wahrscheinlich.