Die Stadt soll auf 1,9 Millionen Einwohner anwachsen. Der Durchschnittsbewohner ist dann 43 Jahre alt. Wie das Land dem Trend begegnet.

Hamburg. Im Jahr 2030 wird Melanie Wilken den Hamburger Durchschnitt repräsentieren. Die heute 24 Jahre alte Studierende wird dann 43 Jahre alt sein, vielleicht zwei Kinder haben und zentrumsnah wohnen wollen. "Erschreckend spießig", nennt sie ihre Zukunftsvision, "denn eigentlich wünsche ich mir nur eine bezahlbare Wohnung, meinetwegen auch ein Reihenhaus, Kinder, einen Partner und einen sicheren Job", was sich mit dem deckt, was der jetzt veröffentlichte Demografiebericht der Bertelsmann-Stiftung dem Durchschnittshamburger im Jahr 2030 prognostiziert. Zudem, so die Studie, werden in 19 Jahren 1,9 Millionen Menschen in der Stadt leben, gut 100 000 mehr als jetzt, unter ihnen mehr Kinder und viel mehr Ältere.

Doch was bedeuten diese Prognosen für eine Stadt? Warum wächst Hamburg, während Deutschland im gleichen Zeitraum 15 Millionen Einwohner verliert? Und was sind die drängenden Aufgaben, wenn etwa der Anteil der über 80-Jährigen, um 44 Prozent steigt?

Im Gegensatz zu Melanie Wilken, die sich eher das kleine Glück und "vor allem bezahlbaren Wohnraum" wünscht, hat die Handelskammer diese Fragen mit einem Zukunftsplan beantwortet. In einer Zehn-Punkte-Agenda werden vor allem Leuchtturmprojekte propagiert. Unter anderem solle Hamburg bis zum Jahr 2030 Olympische Spiele ausrichten, die A 24 mit Wasserstoff-Tankstellen zur Öko-Autobahn ausbauen und das Bildungsniveau in Ganztagsschulen anheben. Im Wunschszenario der Wirtschaft könne die Stadt so zum wirtschaftlichen und politischen Zentrum Nordeuropas werden.

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Dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) schwebt dagegen das Leitbild der "big city" vor. Ausgehend von den Thesen des Ökonomen Edward Glaeser hatte sich Scholz in der "Welt" für eine Verdichtung des Zentrums ausgesprochen. Bezahlbarer Wohnraum könne durch Wachstum in die Höhe geschaffen werden. Das Bauen von modernen City-Hochhäusern nach ökologischen Gesichtspunkten sei laut Glaesers These sinnvoller als Wachstum an den Stadträndern. Eine Stadt wie Hamburg, so Scholz, müsse sich an Metropolen wie London orientieren.

Denn Städte, so der Demografiebericht, erleben wegen ihres umfangreicheren Arbeits- und Ausbildungsangebots sowie der Annehmlichkeiten des urbanen Lebens auch perspektivisch Zulauf. Hamburg, Berlin oder München werden wachsen, während ländliche Regionen - vor allem im Osten Deutschlands - nicht nur ausdünnen, sondern regelrecht vergreisen.

"Doch das Altern in der Stadt wird auch eine der großen Aufgaben Hamburgs sein", sagt Michael Sachs (SPD), Staatsrat in der Stadtentwicklungsbehörde. "Wir werden älter, bunter, einsamer - dieser Schluss spiegelt sich in unserem Wohnungsbauprogramm." Bezahlbarer Wohnraum für Familien sowie kleinere Wohnungen für Studenten oder allein lebende Senioren seien das Ziel. 2000 statt der bisher 1200 geförderten Wohnungen pro Jahr wären ein Ansatz. "Wobei wir vor allem gemischte Quartiere anstreben. Mehrgenerationenwohnen wird in jedem Stadtteil wichtiger. Es soll nicht den Privilegierten überlassen bleiben, das Zentrum zu beleben, während "die Alten an den Rand gedrängt werden", sagt Sachs.

Zudem spreche der standortausbauende Schulentwicklungsplan dafür, dass auch dem prognostiziert steigenden Bedarf in Schulen (11,3 Prozent bei den Sechs- bis Neunjährigen) Rechnung getragen wird. "Innere Verdichtung", wie von Scholz gefordert, sei bei dem Erreichen der beiden Ziele ein wichtiger Baustein. "Jedenfalls müssen wir nicht mehr Seniorenheime bauen", so Sachs. Denn Altern in den eigenen vier Wänden sei der Trend. Diesen Ansatz hält auch Stadtsoziologe Joachim Häfele von der HafenCity-Universität für richtig: "Für Senioren und junge Menschen kommt es auf bezahlbaren, innenstadtnahen Wohnraum an." Stadtteile wie Hamm oder Wilhelmsburg böten beste Entwicklungschancen. Zudem müsse Hamburg auf Bildungsexpansion setzen und langfristig mehr Arbeitsangebote für Frauen und Ältere schaffen. "Denn neben den Zuwanderern werden diese Gruppen enorm wichtig, wenn der Nachschub an jungen Leuten abebbt." Leuchtturmprojekte sieht Häfele skeptisch. Die Kosten seien hoch, die Effekte langfristig gering. Deshalb befürwortet er Maßnahmen für Menschen wie Melanie Wilken. "Denn Wohnraum braucht Hamburg am dringendsten."