Wegen Wohnungsnot und Rekordansturm bietet das Studierendenwerk Notbetten in Turnhalle an. Dabei sind am Stadtrand WG-Zimmer frei.

Borgfelde. Das Gustav-Radbruch-Haus in Borgfelde wird den Preis für Hamburgs Bauwerk des Jahres wohl nicht mehr gewinnen. Ein graubraunes, bis zu zwölfstöckiges Ensemble aus den späten 60er-Jahren, direkt an einer stark befahrenen Straße, nebenan ein großer Hotelkomplex, ein schmales Grün, das war's. 503 Wohnplätze gibt es hier, in zehn bis 15 Quadratmeter großen, möblierten Zimmern, kahl, aber sauber, außerdem gibt's eine Teestube, eine Bar, Münzwaschmaschinen.

Die Gegend ist unidyllisch, aber sehr zentral, zur U- und S-Bahn Berliner Tor läuft man wenige Minuten. Man könnte schlimmer wohnen in Hamburg. Das Beste aber ist der Preis: 222 Euro pro Monat, inklusive Nebenkosten, Kabel-TV- und Internet-Anschluss. Oder aber 15 Euro im Einzelzimmer pro Tag, für alle, die hier gestrandet sind, weil sie partout keine Bleibe finden.

Und davon gibt es mehr denn je in Hamburg. Das Gustav-Radbruch-Haus ist ihre letzte Zuflucht, eine Art Heilsarmee-Quartier der Universität. Elf "Last-Minute-Zimmer" hat das Studierendenwerk dort von September bis November reserviert, zudem gibt es Notbetten in der hauseigenen Turnhalle, dort ist das Übernachten gratis.

Bis zu acht Tage am Stück dürfen Studenten hier nächtigen - wenn sie bis dahin auf dem freien Wohnungsmarkt nichts finden, auch länger. Die Nachfrage ist so groß wie nie.

Özden Özdemir, 20, schläft hier seit drei Nächten. Gerade hat sie ihr Germanistik-Studium an der Universität Hamburg begonnen, trotz intensiver Suche konnte sie keine feste Unterkunft finden. "Die Zimmer in den Studentenwohnheimen sind vergeben, die Wartelisten lang, und auf dem privaten Wohnungsmarkt habe ich eine Absage nach der anderen kassiert", sagt sie. Die Last-Minute-Option der Universität war ihre Rettung. Vorläufig jedenfalls. Die Zahl der Studienanfänger ist zum Wintersemester 2011/2012 vielerorts im Bundesgebiet so hoch wie noch nie. Die Universität Hamburg verzeichnet nach eigenen Angaben 20 Prozent mehr Bewerber als im Vorjahr, 1300 Studienplätze wurden zusätzlich geschaffen, bei 53 000 Studierenden ein Plus von rund 2,5 Prozent. Die Ursachen für den Andrang sind seit Langem bekannt: die doppelten Abiturjahrgänge in Bayern und Niedersachsen, der Wegfall der Wehrpflicht sowie, speziell in Hamburg, die Rücknahme der Studiengebühren vom kommendem Jahr an.

Mehr Studenten, das heißt auch mehr Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt. Und das in einer Stadt mit ohnehin verschärften Immobilien-Engpässen. "Die Bevölkerungszahl ist zuletzt stetig gestiegen, die Zahl der Single-Wohnungen auch", sagt Frank Krippner von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). "Und leider wurde in Hamburg in den letzten Jahren viel zu wenig neu gebaut." Die Folge: starke Nachfrage, hohe Preise. "Der Wohnungsmarkt ist insgesamt sehr angespannt", sagt Krippner. AStA-Sprecherin Luise Günther nennt die Lage schlicht "katastrophal". Täglich werden zurzeit viele Erstsemester bei ihr vorstellig - verzweifelt fragen sie nach Tipps bei der Zimmersuche. Tenor: Dutzende Anfragen, keine Chance. Zumal die Mieten für Zimmer in begehrten Wohnlagen oftmals jenseits der 500 Euro liegen, Tendenz stark steigend. "Studenten ziehen auf dem freien Wohnungsmarkt immer öfter den Kürzeren", sagt Günther. Vermieter machen demnach vermehrt solide Einkommensnachweise zur Miet-Bedingung oder bevorzugen Familien oder Berufstätige schlicht, weil sie sich von ihnen geringere Fluktuation und weniger Mieterwechsel versprechen. "Vermieter suchen möglichst einkommenssichere Mieter", bestätigt auch Jürgen Allemeyer, Geschäftsführer des Studierendenwerks Hamburg, diesen Trend.

Alternativ zu populären Wohnbörsen wie wg-gesucht.de bietet das Studierendenwerk einen eigenen Online-Zimmer-Markt unter www.studierendenwerk-hamburg.de/wohnberse - allerdings verzeichnet Jürgen Allmeyer auch hier weniger Angebote von privaten Zimmern und Wohnungen als sonst.

Allmeyers Appell an die Politik: "Wir benötigen in Hamburg mehr preisgünstigen und öffentlichen geförderten Wohnraum." Luise Günthers Tipps an Suchende: auf den Wartelisten der Wohnheime eintragen, das AStA-Angebot "Wohnen für Hilfe" in Anspruch nehmen (hier wohnen Studenten gratis bei Senioren und gehen ihnen im Haushalt zur Hand) sowie bis auf Weiteres improvisieren. "Ich höre immer wieder von Leuten, die in Pensionen wohnen, bei Freunden unterschlüpfen oder täglich mehrere Stunden zwischen Uni und Elternhaus pendeln."

Michael Ahrens, Sprecher der Wohnungsgesellschaft Saga-GWG, empfiehlt, sich eher außerhalb der Szeneviertel eine Wohnung zu suchen. "Die Lage ist für Studenten in Hamburg zurzeit ungewöhnlich schwierig, an ausgesuchten Stellen in der Stadt gibt es echte Engpässe. Das Hauptproblem ist, dass noch immer die meisten Zuzügler in Ottensen, auf St. Pauli, in der Schanze, Eimsbüttel oder Altona-Nord wohnen möchten. Dabei gibt es genügend andere attraktive Stadtteile. Hamm, Horn oder Hasselbrook sind gut ans Zentrum angebunden, verfügen über viele Grünflächen, bieten viel Backsteinarchitektur und günstige Mieten."

Gerade die Viertel südlich der Elbe wie Veddel oder Wilhelmsburg werden für Studierende immer attraktiver. Im Reiherstiegviertel etwa gibt es viele hübsche Jugendstilwohnungen zu erschwinglichen Mieten. Seit 2006 bieten Saga und BSU hier sowie seit 2004 auf der Veddel in Kooperation ein Förderprogramm für studentisches Wohnen, das laut BSU-Sprecher Krippner "sehr gut angenommen wird."

Demnach machen zurzeit in Wilhelmsburg 280 und auf der Veddel 160 Studierende von dem Angebot Gebrauch. Sie zahlen pro Zimmer nur 178 Euro, den Rest übernimmt die städtische Wohnungsbaukreditanstalt. Allerdings ist das Budget ausgeschöpft, seit etwa einem Jahr finden deshalb keine neuen Vermietungen mehr statt. Sprich: Nur wenn ein Student eine Wohnung verlässt, kann ein Nachfolger einziehen. Die BSU prüft zurzeit, die Förderung von 2012 an auch auf andere Stadtteile auszuweiten. Überdies soll, ebenfalls vom kommenden Jahr an, der Neubau von Häusern mit Studierendenwohnungen öffentlich gefördert werden. Die Bedingungen hierfür werden momentan überarbeitet. Unter www.saga-gwg.de kann man sich übrigens als Mietinteressent für bestimmte Stadtteile vormerken lassen. Aktuell werden pro Monat 800 bis 900 Saga-Wohnungen im Stadtgebiet frei. In Farmsen-Berne, Jenfeld und Lohbrügge verfügt die Saga-GWG noch über freie Wohnungen, die sich auch als WG-Wohnungen eignen. Die Mieten liegen bei etwa 250 Euro pro Person.

In vielen Wohnvierteln des Hamburger Ostens macht sich ein allmähliches Umdenken unter studentischen Wohnungssuchenden bemerkbar. "In meiner Nachbarschaft wohnen wesentlich mehr Studenten, das Viertel ist deutlich jünger geworden", sagt Mone Böcker, Geschäftsführerin der Stadtentwicklungsagentur raum + prozess und seit 1998 wohnhaft in Hamm.

Ein Trend, der sich fortsetzen dürfte, ist doch die HafenCity-Universität vom Hamburger Osten aus auch schneller zu erreichen als von Ottensen oder Eimsbüttel. Der Wandel zeigt sich bereits in der Struktur des Viertels. Unweit des Hammer Parks haben sich einige Cafés mit studentischer Klientel etabliert, so das Café May, das Café Keks oder das Café Klassenraum. Stadtteilinitiativen wie "Hamm' wir alles" arbeiten zudem an einer Aufwertung des Viertels.Vivienne Scheel, 26, studiert an der Universität Hamburg Stadtplanung und schreibt gerade ihre Bachelor-Arbeit über den Stadtteil Hamm.

Sie selbst wohnt seit Jahren in Horn - nicht weil dies ihr Traumviertel ist, sondern weil sie für sich und ihren Freund eine Bleibe suchte und das Angebot hier am besten war. "Horn ist sehr grün, es liegt relativ zentral, und der Anteil junger Bewohner steigt auch hier kontinuierlich", sagt sie. Sie selbst kenne allein sechs, sieben Kommilitonen, die in der Nachbarschaft wohnen. So spricht einiges dafür, dass der alte Slogan "Hamm und Horn schuf Gott im Zorn" umgeschrieben werden muss. Vorschlag: "Horn und Hamm, hier sind Studenten noch günstig beisamm'."