Frisch renovierte Bühne muss zum Jahresende schließen, wenn nicht umgehend neue Räume gefunden werden. Geschäftsführer geschockt.

Hamburg. Das kleine Schaf möchte tanzen. Doch Rabe Richard stellt immer wieder die Musik ab. Der braune Bär möchte schlafen. Doch Rabe Richard fordert ihn zum Kampf auf. Der Hase will seine Möhre teilen. Doch Rabe Richard will alles für sich allein. "Ich bin ein Kämpfer", sagt der Rabe. "Du bist ein Bestimmer", sagen die anderen. Richard ist das egal. Am Ende hat er alles, nur keine Freunde. "Richard, der stärkste Rabe der Welt", ist nur ein Puppenspiel. Doch passender hätte die aufrüttelnde Geschichte von Angriff, Kampf und später Einsicht auf der Bühne des Hamburger Puppentheaters an diesem Morgen nicht sein können. Der beliebten und weit über die Stadtgrenzen bekannten Institution droht das Aus. Das Bezirksamt Nord hat dem Theater die Räume im Haus Flachsland gekündigt. Am 18. Dezember fällt der letzte Vorhang.

"Wir sind geschockt und ratlos", sagt Geschäftsführer Peter Recker. "Vor wenigen Monaten wurde unser Puppentheater von der Stadt renoviert. Jetzt will die Sozialbehörde im Bezirk das Haus Flachsland aus Einspargründen aufgeben." Das sei nicht nur mangelnde Planung, sondern auch Verschwendung von öffentlichen Geldern. "Die Konsequenzen aus einer Schließung des Puppentheaters wären für die Kindertheaterszene katastrophal", sagt Maike Mittag vom Fachverband Theater in Schulen. Gerade die Produktionen des Puppentheaters seien seit Jahren ein Instrument, das es vielen Grundschülern ermögliche, sich mit einem Theater vertraut zu machen. "Es verkörpert ihre Kindheitsträume und macht sie zu interessierten Theaterbesuchern der Zukunft." Ein "Drama für die Kinder", nennt Erzieherin Swantje Gätjens die Entscheidung der Behörde, diese "wertvolle pädagogische Einrichtung" aus Kostengründen zu schließen.

+++ Die Unsichtbare +++

+++ Hamburger Puppentheater gewinnt Kulturpreis 2009 +++

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Das Hamburger Puppentheater verzaubert seit über 60 Jahren Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Mit zahllosen Workshops im Haus Flachsland, in Kindertagesstätten und Schulen hat die Einrichtung weit über Hamburg hinaus bis heute mehr als 12.700 Kinder und etliche Lehrer zum Bau einer eigenen Handpuppe und zum Spiel inspiriert. Bis zu 150 Vorstellungen werden pro Jahr in den Räumen aufgeführt. 80 Prozent der Arbeit verrichten Ehrenamtliche. Das Theater, das deutschlandweit einen ausgezeichneten Ruf genießt, wurde 2009 vom Bezirk mit dem Kulturpreis ausgezeichnet. Der Bezirk hatte die Räume bislang von der Sozialbehörde angemietet, dort ein Haus der Jugend einquartiert. Das Theater konnte den Saal mietfrei nutzen. Doch mit dem Umzug des Jugendhauses an den Wittenkamp wurden auch die Gelder umgeleitet. "Das Bezirksamt hat keine finanziellen Mittel, um den Betrieb und Unterhalt des überwiegend ungenutzten Gebäudes zu bezahlen", sagt Sprecher Peter Hansen. "Die Mitnutzung läuft vertragsgemäß zum Jahresende 2011 aus."

Für das Puppentheater könnte diese Entscheidung das Ende bedeuten. Denn: Andere Räume stehen nicht zur Verfügung. Besichtigungstermine sind in der Vergangenheit gescheitert, weil die Räume zu niedrig waren oder nur zeitweise nutzbar. "Wir brauchen aber einen Ort, der uns täglich zur Verfügung steht", sagt Peter Recker. Außerdem müssten ein Foyer für die Kinder, Toiletten für die Kleinen und eine adäquate Verkehrsanbindung vorhanden sein. Und das alles ziemlich schnell. Denn, wenn nicht in den kommenden Tagen eine Lösung gefunden wird, kann die neue Spielzeit nicht mehr rechtzeitig geplant werden. "Dann gibt es uns im kommenden Jahr nicht mehr."

Dabei herrscht sowohl in der Kulturbehörde als auch in den Parteien Konsens, dass das Theater erhalten bleiben muss. "Es ist ein wichtiger Baustein der Hamburger Kinder- und Jugendkulturszene und mit seinen zahlreichen Workshops und Seminaren auch eine Einrichtung mit großer pädagogischer Kompetenz", sagt Stefan Nowicki, Sprecher der Kulturbehörde, die den Spielbetrieb gemeinsam mit der Sozialbehörde mit jährlich 30.000 Euro finanziert. Das soll nach Angaben von Nowicki auch so bleiben. "Die Mietkosten allerdings können wir nicht auch noch übernehmen." Wie das Gebäude künftig genutzt werden soll, ist fraglich. "Es gibt noch keine Pläne", sagt Nicole Serocka, Sprecherin der Sozialbehörde. Bei der Nutzung gelte letztendlich das "Kriterium Wirtschaftlichkeit".

Für Besucher, Puppenspieler und Pädagogen ist das drohende Ende eine Katastrophe. Hunderte haben inzwischen ihren Protest zum Ausdruck gebracht. Täglich gehen neue E-Mails bei Peter Recker ein. In einer heißt es: "Eine Stadt wie Hamburg ohne ein Puppentheater ist wie ein Sommer ohne Sonne." In einer anderen: "Hamburg ohne Puppentheater ist wie Fischbrötchen ohne Fisch." Ganz aufgegeben hat Recker die Hoffnung noch nicht. Weil sich manchmal auch die Einsicht durchsetzen kann. Wie bei "Richard, dem stärksten Raben der Welt". Dieser entschuldigt sich am Ende bei den anderen Tieren. Er weiß, dass er Fehler gemacht hat. Die Kinder applaudieren. Sie finden, dass das ein schönes Ende ist.