Der vier Jahre alte Junge aus Volksdorf hat Leukämie und braucht dringend einen Spender. Wie einst Antonia, die jemand gefunden hat, der ihr half.

Volksdorf/Wellingsbüttel. Beim Toben auf dem Spielplatz kommt Maximilian groß heraus. Bäume erklettert er im Nu, und auch beim Verstecken ist der vierjährige Buttje in seinem Element. "Maxi ist ein kleiner Wirbelwind", wissen sie im Waldkindergarten "Wurzelwichte". Dank seiner sozialen Ader und seines sonnigen Gemüts ist der Junge mittenmang.

Umso trauriger sind die anderen Wurzelwichte, dass Maximilian seit einiger Zeit fehlt. Meist ist er im Krankenhaus, muss starke Medikamente nehmen und erduldete just die dritte Chemotherapie. "Warum hat ausgerechnet Maxi Leukämie?", werden die Betreuer im Morgenkreis gefragt - die Antwort ist Schweigen. Im April erfolgte die niederschmetternde Diagnose. Die Eltern sind ebenso ratlos wie die Geschwister Sophie und Alexander. Sicher ist nur: Allein eine Knochenmark-Transplantation kann das Leben des kleinen Hamburgers noch retten. Dringend wird ein Spender gesucht, der über die passenden Stammzellen verfügt. Motto: Jeder Einzelne zählt!

Um Maximilian und anderen Patienten zu helfen, initiieren Freunde in Volksdorf an diesem Sonnabend eine Typisierungsaktion (Infos am Textende). Das kostet nichts, noch nicht einmal viel Zeit, tut nicht weh - aber kann so viel bringen. Mit steigender Teilnehmerzahl wächst die Chance, Maximilian retten zu können. Oder ein anderes Menschenkind, das in ähnlich auswegloser Situation ist.

Die Suche nach passenden Stammzellen gleicht der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Für eine erfolgreiche Transplantation müssen die Gewebemerkmale von Spender und Patient nahezu vollständig übereinstimmen - bei häufigen Merkmalskombinationen kann einer unter 20 000 gefunden werden, bei seltenen manchmal unter Millionen keiner.

Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei DKMS ist zwar weiter als die in jedem anderen Land der Welt - aber noch nicht weit genug. Im Schnitt alle 45 Minuten reißt die Diagnose Leukämie hierzulande einen Menschen aus seinem bisherigen Leben, darunter viele Kinder und Jugendliche. Bisher haben sich mehr als 2,5 Millionen Deutsche registrieren lassen, und in rund 26 000 Fällen konnte ein passender Spender gefunden werden. In Hamburg stehen 42 945 hilfsbereiten Bürgern 424 Erfolgserlebnisse gegenüber.

"Zwar werden täglich mindestens zehn Stammzellenspenden vermittelt", weiß Julia Runge von der DKMS-Zentrale in Köln, "trotzdem findet sich immer noch für jeden Fünften kein geeigneter Partner." Oft seien Unkenntnis, Unsicherheit oder Angst Ursachen der Zurückhaltung. Umso wichtiger ist Aufklärung. Nach dem Ausfüllen einer Einverständniserklärung folgt in der Regel eine kleine Blutentnahme; fünf Milliliter reichen. Manchmal genügt sogar ein Abstrich. Stammzellenspenden selbst können immer öfter wie bei einer Dialyse ambulant entnommen werden. Ein kleiner "Preis" für die Chance, Leben zu retten. Gesundheitliche Nachteile entstehen dem Spender in keiner Weise. Die DKMS ist dringend auf Spendengeld angewiesen; denn jede Typisierung kostet 50 Euro.

Wird ein passender Spender gefunden und verläuft der Austausch der Stammzellen unproblematisch, ist das Resultat mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Bestes Beispiel ist ein Besuch bei Antonia Krüger in Wellingsbüttel Mitte dieser Woche. Ein Erlebnis wie aus dem Märchenland. Mit geröteten Wangen eilt Antonia vom Spielen im Garten an die Haustür. Zwar sind noch ein paar Hausarbeiten für die 8 B des Gymnasiums Ohlstedt zu erledigen, doch ist jeder Tag von Neuem ein Geschenk. "Hei!", sagt die 14-Jährige zur Begrüßung fröhlich. Aus dem Wohnzimmer erklingt Musik: Bevor's zum Tennis geht, steht für Bruder Konstantin, 10, eine Klavierstunde auf dem Programm. Die schon volljährige Franziska ist auf Achse.

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Ein familiäres Idyll. Dass Antonia das Leben unbeschwert genießen kann, zum Reiten nach Bergstedt fährt, mit Freundinnen zum Shoppen geht, kunstvoll Collagen kreiert, ist dem Wirken der DKMS zu verdanken. Und dem Zufall, dass kurz nach ihrer Geburt im Sauerland eine junge Frau lebte, die über fast identische Stammzellen verfügte und das schwerstkranke Kind mit ihrer Knochenmarkspende rettete. Antonia kennt die dramatischen Wochen nur aus elterlichen Erzählungen.

Mutter Sabine hat Kaffee gekocht und Kekse auf den Küchentisch gestellt. Bester Dinge berichtet sie von Stunden zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Verzweiflung und Glückseligkeit. Als Baby war Antonia an akuter myeloischer Leukämie erkrankt. Die Tage des Mädchens schienen gezählt. Doch Gott sei Dank hatte eine angehende Lehrerin aus Ahrensberg im Sauerland 1995 auf einem Plakat von einer Typisierung im Nachbarort gelesen und sich spontan zur Hilfe entschlossen. Ein Abgleich mit der DKMS-Datei weckte bei der Familie Krüger in Wellingsbüttel neue Hoffnung: Magdalene Steinkempers Stammzellen waren praktisch identisch mit Antonias. Die Ärzte der Uniklinik in Eppendorf schritten zur Tat, Antonias Körper nahm die Spende gut an - ein Wunder war geschehen. Heute kann die junge Hamburgerin ohne jegliche Beeinträchtigung leben. Magdalenes Knochenmark und Antonias Lebenswille haben die Leukämie besiegt. Getreu der DKMS-Prinzipien absoluter Anonymität wusste eine von der anderen nichts. Da es beide Seiten später ausdrücklich wünschten, wurden die Daten ausgetauscht. Folge: Aus einer kleinen wurde eine große Familie. "Mit Antonia habe ich eine Freundin fürs Leben gefunden", sagt Frau Steinkemper, die mittlerweile verheiratet ist und als Grundschullehrerin in Köln arbeitet. Beide Familien treffen sich regelmäßig. Zuletzt vor zehn Tagen, als das junge Ehepaar auf dem Rückweg aus dem Norwegen-Urlaub in Hamburg Station machte. "Lena", wie Antonia ihre heute 36 Jahre alte Retterin nennt, ist auch Patentante von Konstantin.

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"Ich würde es jederzeit wieder machen", sagt Magdalene Steinkemper rückblickend. Sie könne jedem nur raten, sich typisieren zu lassen. Während für Antonia wohltuender Alltag eingekehrt ist, wird ihre Mutter die Wochen der glücklichen Wende nie vergessen können - und wollen. In der Eppendorfer Uni-Klinik engagiert sie sich in "Back 2 Life", einem Förderverein für transplantierte Menschen. Und Antonia darf im kommenden Monat zweimal Geburtstag feiern. Am 2. September 1996 kam sie zur Welt. Und am 18. September 1997 wurde die erfolgreiche Transplantation vorgenommen.

Hoffentlich widerfährt dem kleinen Maximilian aus Volksdorf ein ähnliches Wunder: eines Tages ebenfalls doppelt Geburtstag feiern zu können.

Die Typisierung für Maximilian ist am heutigen Sonnabend von zehn bis 16 Uhr in der Grundschule Ahrensburger Weg 12.