In Hamburg lädt man wieder zu Kaffee und Kuchen ein. Warum es gut für die Seele ist und Frauen backende Männer sexy finden. Ein Report.

Hamburg. Zuerst ist es dieser Duft, der so besonders ist. Wenn der Kuchen im Ofen backt und das Aroma durch das Haus zieht. In Deutschland ist "Kaffee und Kuchen" nicht nur eine Mahlzeit, es ist viel mehr. Es geht um das Zusammenkommen von Menschen. Wer meint, Käsekuchen aus der eigenen Produktion sei altbacken, täuscht sich: Viele Hamburger Cafés werben längst mit Hausgebackenem, weil Kuchen und Torten aus der Massenproduktion so austauschbar sind.

Knusperteilchen mit Pflaumenmus, klassischer Käsekuchen mit Erdbeeren, Walnuss-Bananen-Brot, Kirschkuchen mit Butterstreuseln und Erdbeer-Grießpudding. Wenn Marion Wölke ihre Nachbarn zu Kaffee und Kuchen einlädt, ist es mit einem Kuchen nicht getan. Fünf müssen es mindestens sein. Die 51-Jährige backt gern und viel. Und gut. "Damit kann ich nicht konkurrieren", sagt Nachbarin Karin Bartelt, die mit ihrem Lebensgefährten und zwei weiteren Paaren zu Besuch bei Marion Wölke in Quickborn-Ellerau ist. Weil das Wetter so schön ist, sitzen alle draußen im Garten an der gedeckten Tafel und plaudern. Über die letzte Kreuzfahrt nach St. Petersburg, über das Publikum auf manchen Kreuzfahrtschiffen, die teilweise reine Vergnügungsdampfer geworden sind. "Die Gäste dort gehen abends teilweise in kurzen Hosen ins Restaurant", sagt der Nachbar von nebenan und probiert noch ein Stück vom Käsekuchen. Das Backen liegt bei Marion Wölke in der Familie. Ihre Mutter sei darin eine Meisterin. "Die kann meinen Lieblingskuchen: Nusstorte mit Marzipandecke", sagt Frau Wölke. Ihre eigenen Töchter Paulina, 15, und Louisa, 21, lassen sich dagegen den Kuchen noch sehr gern von ihrer Mutter backen, statt selbst in der Küche zu stehen.

Nicht immer sieht der Kuchen so schön aus wie auf den Rezepten, die die Beamtin häufig aus Frauenzeitschriften herausreißt. Wie damals der Blaubeerkuchen. Weil sie statt frischer Beeren Tiefkühlobst genommen hatte, war der Kuchen lila. "Selbst gemacht, das ist einfach nicht zu toppen", sagt Frau Wölke. Natürlich kauft sie auch gelegentlich Kuchen vom Bäcker, "aber das schmeckt immer alles gleich. Egal, ob Kopenhagener oder Butterkuchen." Das Schöne am Backen, sagt Frau Wölke, sei, dass sie alles einen Tag vorher zubereiten und sich ganz ihren Gästen widmen könne.

Drei Rezepte zum Nachbacken:

1. Sebastian Wenzels luftige Windbeutel mit Obstsahne

2. Michael Thiels flache Philadelphia-Torte für Anfänger

3. Marion Wölkes saftiger Buttermilch-Kokos-Kuchen

Dieser Duft vom Kuchen im Ofen, sagt der Psychologe Michael Thiel, komme bei den meisten Menschen deshalb so gut an, weil sie damit Erinnerungen an die Kindheit verbinden. "Der Geruch strömt durch die Nase ins Gehirn - und mit dem Duft kommt auch die Erinnerung." Mit Selbstgebackenem verbinden viele Menschen Familienzusammenkünfte und Geburtstage. "Das hat etwas von Geborgenheit. Es gibt einem das Gefühl von Sicherheit", sagt Thiel. Sicherheit und Geborgenheit seien zwei Grundbedürfnisse. Thiel: "Kuchen verbindet diese beiden Grundbedürfnisse." Er selbst backe übrigens auch sehr gern. Sogar im Urlaub auf den Lofoten, wo er noch nicht einmal einen Backofen hat.

Hobbybäcker sind einfallsreich: Thiel hat eine Philadelphia-Torte gemacht. Die kommt in den Kühlschrank statt in den Ofen. Den Reiz, mit Freunden an der Kaffeetafel Kuchen zu essen, erklärt der Psychologe so: "Die böse Welt bleibt draußen, und wir kümmern uns um uns selbst." Und dann verrät der Hobbybäcker noch: "Viele Frauen empfinden es als wohltuend, wenn Männer ihnen etwas backen." Heißt: Backen macht sexy.

Ob das die Ehefrau von Sebastian Wenzel auch so sieht? Der Geschäftsführer eines Unternehmens aus Rahlstedt kocht richtig gern und backt auch regelmäßig. Der 43-Jährige legt einfach Wert auf gute Lebensmittel, auf Zutaten aus der Region. Deshalb ist er auch Mitglied bei der Hamburger Slowfood-Bewegung. Die Organisation hat sich unter anderem auf die Fahnen geschrieben, dass Lebensmittel sauber und fair produziert werden. So hat Wenzel gerade erst ein Schwein für sich schlachten und zerlegen lassen. "So weiß ich, woher das Tier kommt und wie es aufgewachsen ist", sagt er.

Aber zurück zum Backen. Heute stehen Windbeutel an, mit einer Sahne-Beeren-Füllung. Weil gerade Saison ist, stammen die Brom- und Himbeeren sowie die kleinen Erdbeeren aus seinem Garten. Gerade holt Sebastian Wenzel den fertig gebackenen Brandteig aus dem Ofen. "Backen ist so leicht. Man folgt einfach stur dem Rezept", sagt Wenzel. Kochen sei kreativer. Man könne mehr improvisieren. Fürs Backen brauche er keinen besonderen Anlass. "Ich mache das aus Spaß."

Schon als Teenager habe er mit dem Kochen und Backen angefangen, sagt Wenzel. Das sei keine große Sache gewesen und habe auch niemanden besonders beeindruckt. "Nur meine Mutter fand das toll." Kuchen aus einer der üblichen Filialketten würde er inzwischen nicht mehr kaufen. "Da kommen Treibmittel rein, die kein Mensch braucht." Mit einer Spritztülle füllt der Mann - er trägt Schürze - die Beeren-Sahne-Mischung in den fertigen Teig. "Die Windbeutel sind alle etwas krumm und schief geworden", sagt Sebastian Wenzel. Und ist sehr zufrieden. "Genauso, wie es sein soll."