Unten treibt Desy den neuen Forschungstunnel voran. Oben klafft ein Loch im Rasen. Ein Kind stürzt hinein. Kann das noch häufiger passieren?

Hamburg. Es ist Sonnabend gegen 10.30 Uhr. Die neunjährige Sina hat eine Freundin zu Besuch. Die beiden spielen im Garten der Nachbarin, die der Familie von nebenan erlaubt hat, den Rasen zu nutzen. Die Mädchen entdecken eine leichte Kuhle am Boden. Sofort ist Sinas Neugier geweckt, schließlich war hier vor ein paar Tagen noch alles eben. Die Neunjährige schaut sich das Rasenstück näher an - und bricht ein. Plötzlich steht sie in einem dunklen, engen und gut 80 Zentimeter tiefen Erdloch.

"Als unsere Tochter zu uns kam und die Geschichte erzählte, wollten wir ihr zuerst gar nicht glauben", sagt Wolfgang Sombrowski, 49. Trotzdem begleitete er Sina nach draußen und stand vor einem schwarzen Loch mit 50 Zentimeter Durchmesser. "Da habe ich nur noch tief durchgeatmet, als ich das gesehen habe", sagt der Familienvater. Sombrowski informierte die Polizei - und eine Mitarbeiterin des Deutschen Elektronen Synchotrons, kurz Desy. Denn das Forschungszentrum baut seit Januar 2009 einen Tunnel für das Röntgenlaserprojekt "European XFEL", der direkt unter dem Garten verläuft.

Bereits im November vergangenen Jahres kam es während der Bauarbeiten zu einer solchen Absenkung. Damals entstand auf einer Weide am Osdorfer Born eine 1,20 Meter tiefe und 15 Quadratmeter große Senke.

Der aktuelle Fall sei trotzdem kein Grund zur Sorge, heißt es seitens des Forschungszentrums. "Es handelt sich hierbei um ein punktuelles Vorkommnis, und es sind keine weiteren Absenkungen zu erwarten", sagt die Sprecherin des Röntgenlaserprojekts, Petra Folkerts. Es sei aber gut möglich, dass der Vorfall in Zusammenhang mit dem Tunnelbau stehe. Zum Zeitpunkt der Absenkungen war der Bohrabschnitt unterhalb des Gartens bereits seit vier Wochen fertiggestellt.

+++ Über dem Forschungs-Tunnel von Desy klaffte erneut ein Loch +++

Der Tunnel verläuft hier unter einer Sandschicht. "Wie führen den späteren Zeitpunkt der Absenkung auf eine Linse aus festem Mergel zurück, die hier im Sand eingebettet ist", sagt Hans-Joachim Christ, leitender Ingenieur für den Bau der Forschungsanlage European XFEL. Solch eine geologische Situation gebe es aber nur an dieser Stelle der Tunneltrasse.

Axel Precker, 57, findet diese Erklärung unzureichend: "Dass Mergel stützt ist klar. Die Frage ist viel mehr, was dazu geführt hat, dass diese Stabilität jetzt nicht mehr gegeben ist." Der promovierte Geologe vermutet als Hauptursache Kalkschichten, die sich in Verbindung mit Wasser aufgelöst haben.

Sina interessieren derartige Diskussionen nicht. "Für sie war das Ganze ein großes Abenteuer", sagt Wolfgang Sombrowski. Immerhin habe sich das Mädchen nicht verletzt und sei aus eigener Kraft wieder aus dem Erdloch herausgekommen. Noch am Sonnabend wurde die Absenkung von Desy-Mitarbeitern mit zwölf Schubkarrenladungen Sand aufgefüllt. Die Familie bekam einen Blumenstrauß, und Sina wurde mit Süßigkeiten überhäuft. Trotzdem bleibt ein schlechtes Gefühl. "Natürlich schläft man nach so einer Sache nicht mehr ruhig", sagt Sombrowski. Zudem darf Sina nicht mehr auf der Nachbarwiese spielen. "Mein drei Jahre alter Sohn wäre in dem Loch völlig versunken, und wer weiß, ob wir seine Rufe gehört hätten."

Auch Winfried Lübke, 73, und sein Sohn Wilhelm, 51, wohnen direkt über dem Desy-Tunnel. Im Garten hinter einer ihrer beiden Doppelhaushälften hat sich der Rasen ebenfalls um ein paar Zentimeter abgesenkt. Auf der planschbeckengroßen Fläche ist das Gras länger als im restlichen Garten. "Wir haben uns da mit dem Rasenmäher nicht so recht drübergewagt", sagt Winfried Lübke. "Da macht man sich schon Gedanken, ob man am nächsten Morgen in einer Baugrube aufwacht." Noch mehr belaste ihn aber der Krach. "Ich trage ein Hörgerät, und selbst ohne das kann ich nachts wegen des Lärms nicht schlafen", sagt er.

Auch andere Anwohner beschweren sich hierüber. Die Bohrungen sind zwar vorbei, dennoch müssen Schutt und Arbeitsmaterialien per Bahn durch den Tunnel transportiert werden. "Alle Stunde klingt es, als ob da unten ein Zug hindurchsaust", sagt Winfried Lübke. "Wir sind selbst von dem starken Lärm durch die Bahn überrascht", heißt es dazu von Desy.