Die Ursache der Erkrankungen ist offenbar gefunden, die Infektionswelle flaut ab. Doch es bleiben Fragen, die auch das Gesundheitssystem betreffen, wie der Experten-Gipfel des Abendblatts gestern zeigte

Neustadt. Nach der Krise ist vor der Krise: Trotz offensichtlich geklärter Keimzelle der EHEC-Infektionswelle besteht unverändert großer Informationsbedarf. Zu diesem Ergebnis kam der Experten-Gipfel des Hamburger Abendblatts gestern Abend in der Passage des Axel-Springer-Hauses an der Caffamacherreihe.

Einheitlicher Tenor des Leserforums: Das Abflauen der heimtückischen Krankheit müsse genutzt werden, den Verlauf der vergangenen Wochen in Ruhe zu analysieren und zu sehen, welche Stärken und Schwächen das Gesundheitswesen offenbart habe. Auch wenn die Profis auf dem Podium bei der vom stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteur Matthias Iken moderierten Diskussion viele Fragen beantworteten, gab es Differenzen.

Am Anfang indes stand einheitliche Betroffenheit: Knapp und sachlich, gerade deswegen besonders beeindruckend, schilderte Abendblatt-Leserin Susann Zepernick den Verlauf der Infektion am eigenen Leibe. "Es war gruselig, wie meine Blutwerte abbauten", berichtete die Steuerberaterin aus St. Georg. Nach dem Verzehr von nur drei Sprossen, dem sie anfangs keine Bedeutung zumaß, war sie am 25. Mai stationär in das Marienkrankenhaus eingeliefert und anschließend nach Kiel verlegt worden. Auch nach der Entlassung vor einer Woche besteht weiter Ungewissheit: "Ich weiß nicht, ob ich den Erreger los bin."

Dr. Thomas Fenner, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, sprach von einem "ausgesprochen aggressiven Bakterium". Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks meinte: "Die Warnung vor Gurken, Tomaten und Salat hat dazu beigetragen, dass auch weniger Sprossen gegessen wurden." Dieses habe den abebbenden Verlauf der Infektionswelle beeinflusst.

Diese These rief Widerspruch hervor. Professor Joachim Westenhöfer meinte, dass die Behörden nicht ganz unschuldig an der Aufregung gewesen seien. "Es war eine heftige Reaktion, generell vor einem Verzehr zu warnen", sagte der Ernährungspsychologe. Man müsse sich rückblickend fragen, ob diese generelle Mahnung berechtigt gewesen sei. Jährlich rund 4300 Verkehrstoten hierzulande ständen 37 EHEC-Opfer gegenüber.

Das Publikum lauschte gebannt, applaudierte dann jedoch beim allgemeinen Lob für Ärzte und Schwestern, die in den vergangenen Wochen Enormes geleistet hätten - mit Einsätzen bis zu 38 Stunden am Stück.

"Ist unser Gesundheitssystem ausreichend aufgestellt?", fragte Matthias Iken in die Runde. "Es war diesem Stresstest bemerkenswert gewachsen", entgegnete Prüfer-Storcks. Ihr Kieler Kollege Heiner Garg stimmte grundsätzlich zu, äußerte indes auch Sorgen: erstens vor nachlassender Beachtung der Hygieneregeln, zweitens vor möglichen Sekundärinfektionen.

"Im Großen und Ganzen hatten wir jederzeit das Gefühl, Herr der Lage gewesen zu sein", sagte UKE-Direktor Jörg F. Debatin. Sofort nach den ersten EHEC-Nachrichten seien die Besetzung der Notfallaufnahme verdoppelt und die Dialyseabteilung erheblich verstärkt worden. Entsetzt habe ihn der "unglaublich rasante Krankheitsverlauf". Es gebe wenige Bereiche in der Medizin, "die so große weiße Flecken" offenbaren.

Umso positiver sei die Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern in Hamburg und anderswo gewesen: "Das lief sensationell schnell und gut." Karin Riemann von der Verbraucherzentrale forderte: "Lebensmittel müssen sicher sein." Es müsse nun zügig geklärt werden, wie die Keime in die Sprossen gekommen seien.

Nach intensiver Debatte hatten die Abendblatt-Leser das Wort. Mehr dazu lesen Sie in der morgigen Ausgabe.