Ist die Krise jetzt wirklich überwunden? Das Abendblatt fragte Experten, was man jetzt wissen muss

Hamburg. Zwar haben die Behörden die Warnung vor Tomaten, Gurken und Salat aufgehoben - doch viele Fragen bleiben. Was kann man noch essen, und besteht weiterhin die Gefahr einer Ansteckung?

Können wir jetzt wieder bedenkenlos Salat, Gurken und rohe Tomaten essen?

Das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) und das Robert-Koch-Institut (RKI) kommen gemeinsam zu dem Schluss, dass von diesen Lebensmitteln kein EHEC-Risiko ausgeht. Beide Behörden raten aber dazu, vorerst auf rohe Sprossen zu verzichten. Wer dennoch Sprossen essen möchte, sollte sie bei mindestens 70 Grad mindestens zehn Minuten lang erhitzen. "Die Untersuchung des RKI ist wissenschaftlich fundiert", sagt Armin Valet, Lebensmittelchemiker und Ernährungsexperte von der Hamburger Verbraucherzentrale. "Die Verbraucher können Salat, Gurken und rohe Tomaten wieder bedenkenlos essen. Allerdings sollten sie rohes Gemüse nach wie vor gründlich reinigen, weil sich darauf andere Bakterien ansiedeln können", sagt Valet.

Wie kam die Entwarnung der Behörden zustande?

Das Robert-Koch-Institut hat seit dem 20. Mai die Ursachen für den EHEC-Ausbruch in Norddeutschland untersucht. Dazu hätten Forscher zunächst nur einen kleineren Teil der Betroffenen befragt, deren Krankheitsverlauf geeignet erschien, einen Großteil der Fälle zu erklären. Dabei habe sich gezeigt, dass diese Patienten erheblich häufiger rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate verzehrt hatten als gesunde Studienteilnehmer, die zum Vergleich herangezogen wurden. So kam die weitreichende Warnung zustande. Um die Suche nach der EHEC-Quelle einzugrenzen, setzte das RKI anschließend ein weiteres Verfahren ein: die sogenannte rezeptbasierte Restaurant-Kohortenstudie.

Ausgehend von fünf Personengruppen, von denen 19 Teilnehmer nach einem Besuch im selben Restaurant erkrankten, befragten die Forscher insgesamt 112 Menschen, was diese verzehrt hatten. Zugleich schauten sich die Experten Rezepte, Bestelllisten sowie Abrechnungen an und sprachen mit Küchenpersonal, um herauszufinden: Wie genau wurde welches Menü zubereitet, welche Mengen welcher Zutat waren darin enthalten? Diese Informationen wurden in einem sogenannten Kohortenansatz ausgewertet, der es ermöglicht, rückblickend das relative Erkrankungsrisiko für die Restaurantkunden zu berechnen.

Die Analyse ergab: Die Wahrscheinlichkeit für blutigen Durchfall oder bestätigte EHEC/HUS-Infektionen lag nach dem Verzehr von Sprossen etwa 8,6-mal höher als bei Verzicht. So sei es möglich gewesen, die Ursache des Ausbruchs mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Verzehr von Sprossen einzugrenzen, teilte das Robert-Koch-Institut mit.

Wie verteilt sich EHEC in den sieben Hamburger Bezirken?

In Hamburg sind derzeit 987 EHEC-Fälle und inzwischen fünf Todesfälle registriert. Allerdings sind unter den EHEC-Patienten auch Verdachtsfälle, bei denen sich womöglich der EHEC-Erreger später doch nicht nachweisen lässt. Die Zahl der Patienten mit schweren HUS-Komplikationen stieg von Donnerstag auf Freitag lediglich um einen auf jetzt 166 an. Davon sind aber auch schon wieder einige der Patienten als geheilt entlassen worden.

Verteilt auf die Hamburger Bezirke ergibt sich folgendes Bild: In Altona sind 30 HUS-Fälle registriert, in Bergedorf sieben, in Eimsbüttel 22, in Mitte zehn, im Bezirk Nord 45, in Harburg vier und in Wandsbek 35. Die Zahlen stimmen nicht ganz genau mit der Gesamtzahl überein, weil auch Umland-Patienten mitgezählt werden.

Auffällig an dieser Verteilung: Zwar hat beispielsweise der Bezirk Wandsbek knapp dreimal mehr Einwohner als der Bezirk Harburg - aber fast neunmal mehr der schweren HUS-Fälle. Das unterstützt die Vermutung, wonach besonders gut situierte Stadtteile von einer Ansteckung mit EHEC betroffen sind, in denen sich die Menschen traditionell "gesünder" mit Rohkost und Salaten ernähren.

Werden Lebensmittel trotz Entwarnung weiter geprobt?

Das Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt prüft trotz der Entwarnung weiter Lebensmittel und andere Proben auf den EHEC-Erreger. Auch Rattenkot und Biogasanlagen werden derzeit auf mögliche EHEC-Spuren hin untersucht. Die Analysen sollen so lange weitergeführt werden, bis sich eine Quelle als zweifelsfreier Auslöser identifizieren lässt oder die Epidemie abgeklungen ist. Bisher waren alle Analysen in Hamburg negativ. Bei spanischen Gurken waren zwar EHEC-Erreger gefunden worden, aber nicht von der verantwortlichen Unterart.

Wie ist mittlerweile die EHEC-Situation am UKE?

Am Freitag starb ein 81 Jahre alter Patient an mehrfachem Organversagen, der mit dem EHEC-Erreger infiziert war. Er ist der dritte Patient, der infolge der EHEC-Infektion im UKE verstorben ist. Insgesamt scheint sich die Situation aber weiter zu entspannen. 42 Patienten, die das schwerwiegende Hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) entwickelt hatten, sind bisher entlassen worden, darunter 13 Kinder. Nur noch sehr vereinzelt stellten sich neue EHEC-Patienten vor, teilte UKE-Sprecherin Christine Jähn mit. Allerdings würden noch 19 schwer kranke erwachsene HUS-Patienten und drei Kinder auf der Intensivstation behandelt.

Benötigt das UKE weiterhin noch mehr Blutspenden?

"Wir hatten in den vergangenen Tagen ein sehr hohes Aufkommen, an einem Tag haben sogar 400 Menschen Blut gespendet", sagt Christine Jähn. "Trotzdem würden wir uns freuen, wenn noch bis mindestens Ende Juni weiterhin viele Menschen spenden würden, denn wir haben aufgrund der vielen schweren HUS-Erkrankungen viel Blutplasma verbraucht." Es gebe jedoch keinen akuten Engpass. Die Reserven reichten noch für zwei Monate.

Kann man ein zweites Mal durch den EHEC-Erreger krank werden?

"Eine erneute Erkrankung ist sehr unwahrscheinlich, weil das Immunsystem davor schützt", sagt Prof. Ansgar Lohse, Infektiologe und Ärztlicher Leiter der I. Medizinischen Klinik am UKE. Es sei allerdings vorstellbar, dass der Keim auch nach einer Genesung für eine bestimmte Zeit im Darm überlebe. Um das zu klären, sei am UKE eine intensive Nachsorge bei den entlassenen EHEC- und HUS-Patienten geplant.

Können genesene Patienten den Keim noch übertragen?

"Das ist zwar grundsätzlich möglich, aber sehr unwahrscheinlich", sagt Lohse. Bei Patienten, die in den vergangenen Jahren an anderen EHEC-Erregern erkrankt seien, habe man nur sehr selten eine Übertragung von Mensch zu Mensch feststellen können.

Können Tiere den EHEC-Erreger übertragen?

Zu Beginn der Epidemie standen zunächst auch Tiere im Verdacht, den grassierenden, aggressiven EHEC-Typ zu beherbergen, der dann etwa über Gülle verbreitet werden könnte. Womöglich kommt dieser Keim aber nur im Menschen vor. Dieser Ansicht ist Prof. Helge Karch vom Universitätsklinikum Münster. "Der sich jetzt ausbreitende Erreger ist bislang nur beim Menschen nachgewiesen worden", sagte er am Freitag. Allerdings gibt es diverse weitere EHEC-Erreger, die krank machen können. "Tiere tragen EHEC-Erreger viel häufiger in sich als Menschen", sagt Prof. Lohse vom UKE. "Deshalb sollte man im Umgang mit tierischem Kot weiterhin vorsichtig sein."