Vor 100 Jahren entstand in Hamburg die weltbekannte Creme Nivea. Eine Reportage aus dem Reich der Forscher und Tester bei Beiersdorf.

Hamburg. Tack, tack, tack. Karin Marquardt sitzt in einem grauen, fensterlosen Raum im Beiersdorf-Forschungszentrum und cremt sich ihren Unterarm im Takt eines Metronoms ein. Fünfmal im Kreis reiben, Pause, dann 20-mal reiben. Dazwischen notiert die erfahrene Testerin die Eigenschaften der neuen Creme. Ist sie eher seidig oder samtig, wachsig, fettig oder doch eher glitschig? Wie schnell zieht sie in die Haut ein? Und wie ist es um den Feuchtigkeitsgehalt bestellt? "Man muss schon ein sehr feines Gespür für diese Arbeit haben", sagt die 54 Jahre alte Kinderkrankenschwester, die einmal in der Woche nebenberuflich für die Forschungsabteilung arbeitet.

Alle neuen Nivea-Cremes müssen diesen Test beim Hamburger Kosmetikriesen Beiersdorf durchlaufen. Nur so bekommen die Entwickler ein Gefühl dafür, wie ihre Produkte bei den Konsumenten ankommen. Das Ganze ist ein standardisierter Prozess, daher auch das Metronom. Alle Tester sollen möglichst gleich schnell die Cremes auf die Haut auftragen, um die Ergebnisse später optimal miteinander vergleichen zu können.

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Vor 100 Jahren konnten die Forscher bei Beiersdorf von solchen Verfahren nur träumen. Der Apotheker und Unternehmer Oscar Troplowitz und der Dermatologe Paul Gerson Unna waren es, die 1911 die erste Nivea-Creme entwickelten. Die beiden Männer machten sich dabei einen Emulgator namens Eucerit zunutze, der es erstmals ermöglichte, Fett und Wasser zu einer stabilen Creme zu verbinden. Ihr neues Produkt versahen sie mit einer bis heute kaum veränderten Duftkomposition aus Bergamotte, Orange, Lavendel, Rose, Flieder und Maiglöckchen. "Nivea" nannten sie die weiße Creme, nach dem lateinischen Namen für Schnee. Es war die Geburtsstunde einer Weltmarke, die von Hamburg aus ihren Siegeszug rund um die Welt antrat. Auf 2,6 Milliarden Euro wird der Wert von dem Marktforschungsunternehmen Interbrand geschätzt.

Seit den Anfängen hat sich die "Schneeweiße" in immer neue Produkte aufgespalten. "Die erste Nivea konnte die Haut befeuchten und vor Austrocknung schützen", sagt der Leiter der Beiersdorf-Forschung, Horst Wenck. "Die heutigen Cremes schützen vor Sonne und lichtbedingter Hautalterung, sie können Entzündungen lindern, stärken das Bindegewebe oder reduzieren die Faltentiefe."

Die klassische Nivea-Creme gibt es zwar noch immer. 500 000 der charakteristischen blauen Dosen laufen pro Tag bei Beiersdorf vom Band. Doch sie machen heute nur noch drei Prozent des Gesamtumsatzes von Beiersdorf aus. Rund 500 Produkte sind es, die mittlerweile den bekannten Markennamen tragen. Vom Shampoo, über Deos bis hin zur Anti-Aging-Creme.

Neue Produkte gegen die Hautalterung entstehen im Labor von Marion Detert. Es duftet verführerisch, während die Mitarbeiterinnen der Produktentwicklung in besonders leistungsstarken Rührmaschinen Marke Kitchen Aid neue Cremes anmischen. Zu den Grundbestandteilen Fett und Wasser kommen die Emulgatoren, die unter Hitze dafür sorgen, dass sich die beiden Phasen stabil miteinander verbinden.

Dann folgen die eigentlichen Wirkstoffe: Q10 etwa, eine Substanz, die wie ein Motor für die Teilung der Hautzellen funktioniert, im Alter aber immer weniger selbst vom Körper produziert wird. Vergleichsweise neu ist Arctiin, ein Extrakt, das aus einer schnöden Klettenpflanze gewonnen wird und in der aktuellen Nivea-Naturkosmetikserie zum Einsatz kommt. Ein ostdeutscher Landwirt und Pflanzenexperte hatte den Kosmetikkonzern von der Wirksamkeit des Stoffes überzeugt.

Q10 und Arctiin sollen zur Glättung der Falten im Gesicht beitragen. Um solche Behauptungen auch wissenschaftlich belegen zu können, wird bei Beiersdorf ein erheblicher Aufwand getrieben. Die Rentnerin Helga Bollinger gehört zu einem Heer von 7000 Probanden, die für das Unternehmen freiwillig als Versuchskaninchen agieren. Gerade blickt die 66-Jährige in ein Gerät namens Primos, das ein wenig an die Messgeräte beim Optiker erinnert, tatsächlich aber der Messung der Augenfalten dient.

Auf die Augenhöhle der Hamburgerin projiziert die Maschine ein Streifenmuster, das umso verzerrter wirkt, je tiefer die Falten sind. Ein wenig niedergeschlagen schaut Helga Bollinger auf den Computermonitor, auf dem ihre kleinen Lachfältchen überlebensgroß zu erkennen sind. "Das ist schon eine etwas grausame Aufnahme", sagt die Dame aus Altona.

Mit der Aufnahme wird der aktuelle Zustand im Gesicht der Rentnerin dokumentiert. Zu Testzwecken bekommt sie nun eine neue Creme mit nach Hause, muss diese zweimal pro Tag auftragen und darf sich nicht allzu sehr der Sonne aussetzen oder in die Sauna gehen. In einigen Wochen werden die Falten dann erneut gemessen.

"Mittels umfangreicher Studien mit großen Probandenkollektiven und modernster Technik belegen wir die Wirksamkeit unserer Cremes", sagt Joachim Ennen, Leiter des Probandenzentrums. "Bei wirksamen Produkten können wir eine mittlere Verringerung der Falten im Vergleich zur Ausgangsposition von drei bis sieben Prozent nachweisen." Das genügt, um mit dem Hinweis "reduziert messbar die Faltentiefe" werben zu können.

Von einer Formel für die ewig junge Haut, dem Stein der Weisen der Kosmetikindustrie, ist man freilich auch bei Nivea noch meilenweit entfernt. "Wir können den Prozess der Hautalterung nicht umkehren, sondern lediglich verlangsamen", gesteht Thomas Blatt, der bei Beiersdorf Grundlagenforschung zur Haut betreibt. In seinem Labor suchen die Forscher nach immer neuen Wirkstoffen gegen den Alterungsprozess. Sie kultivieren Zellen und bauen ganze Hautmodelle nach, um die Vorgänge auch ohne Tierversuche besser verstehen zu können. Eine große Rolle in der Forschung spielen unter anderen die Kollagene, die wie ein Gerüst für die Stabilität und Straffheit der Haut verantwortlich sind.

Neben Anti-Aging-Cremes sind es vor allem neue Nivea-Produkte für Männer, denen bei Beiersdorf große Zukunftschancen eingeräumt werden. Dabei müssen sich die Forscher nicht nur auf die unterschiedliche Beschaffenheit der Männerhaut einstellen, sondern auch auf die unterschiedlichen Pflegegewohnheiten.

In einem gut beheizten Badezimmer beobachtet die Leiterin der Produkt- und Verbraucherforschung, Susanne Treibel, gerade einen Herrn bei der morgendlichen Nassrasur. Kameras halten jedes Detail der Prozedur fest. Wie viel Schaum trägt der Konsument auf die Haut auf? Rasiert er sich methodisch in geraden Bahnen oder eher hektisch? "Aus solchen Beobachtungen können wir Erkenntnisse darüber ableiten, wie wir unsere Rasierschäume und -gele noch verbessern können", sagt Treibel. Beispielsweise muss ein Gel auch dann noch ausreichend decken und den Rasierer angenehm gleiten lassen, wenn es nur sehr dünn aufgetragen wird.

Und wie sieht die Zukunft von Nivea aus? Nachdem sich Beiersdorf in den vergangenen Jahren mit immer neuen Produktlinien wie Kosmetika verzettelte, soll nun wieder die Hautpflege ganz im Zentrum der Marke stehen. Forschungschef Wenck kann sich vorstellen, dass schon bald Cremes auf den Markt kommen, die speziell auf die Eigenheiten eines Menschen abgestimmt sind. "Es ist denkbar, dass die Kosmetikindustrie immer personalisiertere Produkte entwickelt", sagt er. "Eine Creme, die die Haut auf ewig jung erhält, wird es aber wohl nicht geben."