Viele Selbstständige haben pfiffige Geschäftsideen: 22.578 Firmen gingen im vergangenen Jahr an den Start – ein Plus von 7,4 Prozent.

Hamburg. Zweieinhalb Jahre lang hat Heiko Geissmar eine Wochenendbeziehung geführt. Der 44-Jährige arbeitete als IT-Leiter bei Canon in Krefeld, seine Familie wohnt in Boostedt. Beim Bummel durch seine "neue Heimat" in Nordrhein-Westfalen sah er dann ein Geschäft von Oil & Vinegar - und wusste, dass es Zeit war für den Ausstieg aus dem Angestelltendasein und den Einstieg in die Selbstständigkeit.

Zehn Tage vor Weihnachten eröffnete er in der Hamburger Meile als Franchisenehmer sein Geschäft. Provisorisch, noch mit alten Möbeln, die er schnell zusammengesucht hatte. "Ein Viertel des Jahresgeschäfts wird zu Weihnachten gemacht", sagt der studierte Informatiker. Da wollte der Hobbykoch mitmischen und verkaufte Öl, Essig, Kräuter und andere Lebensmittelspezialitäten in seinem "kulinarischen Geschenkeshop".

Geissmar ist einer von 22.578 Firmengründern, die sich im vergangenen Jahr in Hamburg selbstständig machten - das war ein Plus von 7,4 Prozent. Mit einer Gründungsquote von 2,4 Prozent der Bevölkerung ab 18 Jahren liegt Hamburg unter den Bundesländern laut KfW-Gründungsmonitor an zweiter Stelle. Lediglich Berlin (2,7 Prozent) weist einen noch höheren Wert auf.

Insgesamt machten sich in Deutschland 936.000 Menschen selbstständig. Das ist ein Plus von acht Prozent - und ist eine erstaunliche Entwicklung. Denn in Zeiten sinkender Arbeitslosenquoten - wie im vergangenen Jahr - sinkt normalerweise auch die Zahl der Existenzgründer. "Insofern kann hieraus geschlossen werden, dass das Motiv für eine Gründung zunehmend darin liegt, eine eigene Idee zu verwirklichen, und die Gründung zumindest nicht nur aus der Not heraus erfolgt", sagt Handelskammer-Experte Bernd Reichhardt.

Die eigene Idee umsetzen - das war auch das Ziel von Tanja Lederer. "Ich habe den Kindern immer selbst erfundene Geschichten erzählt", sagt die 37-Jährige, die zuletzt als Erzieherin gearbeitet hat, aber auch ausgebildete Mediendesignerin ist. Ihre Geschichten handelten vom Planeten Pluns und dessen Bewohnern und seien in ihrem Umfeld auf großes Interesse gestoßen.

Sie schrieb zwei Bücher, illustrierte sie, entwarf T-Shirts, Postkarten und Buttons. Seit Oktober ist Erzieherin nur noch ihr Nebenjob, mit ihrer Kollektion will sie nun hauptberuflich ihr Geld verdienen. Lederer ist damit eine von bundesweit 396.000 Gründern, die sich im vergangenen Jahr im Vollerwerb selbstständig gemacht haben.

Gleiches gilt für Stefanie Herbst, 29, die in einem kleinen Verlag arbeitete, bevor sie im vergangenen Jahr ein Café im Schanzenviertel übernahm und als "Gretchens Villa" wieder eröffnete. "Ich hatte anfangs viele schlaflose Nächte, aber ich lebe hier meinen Traum", sagt sie. "Schon während meiner Ausbildung habe ich gekellnert und seit meiner Kindheit gern Kuchen gebacken."

Während 2010 die Zahl der "Vollerwerbsgründer" in Deutschland konstant blieb, stieg die Zahl der Nebenerwerbsgründer - sie sind weiter fest angestellt und betreiben ihre neue Firma nebenbei - um 14 Prozent auf 540 000.

60 Prozent aller Gewerbeanmeldungen in der Hansestadt kommen aus dem Dienstleistungssektor. An zweiter Stelle rangiert der Einzelhandel mit gut zehn Prozent, dicht gefolgt vom Baugewerbe. Mit echten Innovationen machten sich auch bundesweit lediglich fünf Prozent der Gründer selbstständig.

Nur ein Fünftel aller neuen Selbstständigen benötigte Geld von Banken oder Förderinstituten - und in 97 Prozent aller Fälle geht es dabei um weniger als 100 000 Euro. Laut der staatseigenen KfW sind die Finanzierungsbedingungen aber schwieriger geworden. Fast jeder Dritte (31 Prozent) spricht von Problemen beim Kreditantrag. Vor einem Jahr waren es nur 23 Prozent.

In den ersten Jahren ihrer Existenz haben viele mit erheblichen Risiken zu kämpfen. 15 Prozent geben im ersten Jahr wieder auf, nach drei Jahren besteht rund jede dritte der jungen Firmen nicht mehr. Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die den Weg in die Selbstständigkeit gehen, gibt es dabei nicht. Auch sollte man aus einer Geschäftsaufgabe nicht immer auf mangelnden Erfolg schließen. Denn laut Handelskammer wird ein Wechsel zwischen Unternehmertum und angestellter Tätigkeit immer häufiger.

Während viele ihre Firma schnell wieder aufgeben, ist Feinkosthändler Geissmar von seinem Modell überzeugt: "Unser Geschäft wird es hundertprozentig in den nächsten Jahren noch geben." Er denkt sogar schon an die Eröffnung weiterer Standorte in Hamburg, Lübeck oder Neumünster - das wäre noch näher an Boostedt und damit an Geissmars Familie.