Katta-Männchen Gerard hat im Tierpark Hagenbeck etwas völlig Ungewöhnliches getan: Es hat seinen Sohn aufgezogen.

Stellingen. Wann ist der Mann ein Mann? Bei den Kattas am ehesten dann, wenn er reichlich für Nachwuchs sorgt, sich aber ansonsten bitte recht schön im Hintergrund hält. Es sind nämlich die Weibchen, die bei den grauen Halbaffen mit den auffälligen schwarz-weißen Ringelschwänzen das Sagen haben.

Wusste Gerard das schlicht nicht? Oder suchte er nur verzweifelt einen Verbündeten? Jedenfalls hat das Männchen etwas völlig Ungewöhnliches getan: Es hat seinen Sohn aufgezogen.

"Mangoki war fünf Wochen alt, als seine Mutter starb", erzählt Jörg Walter. Er ist Betriebshelfer im Tropen-Aquarium von Hagenbecks Tierpark, wo eine Gruppe von elf der geselligen Tiere sozusagen das Empfangskomitee für die Besucher bildet. Jörg Walter verbringt fast den gesamten Tag bei den Tieren, die durch den direkten Zugang zu den Menschen unter Aufsicht sein müssen - zu ihrem Schutz, nicht zu dem der Besucher. Heimliches Füttern, Ziehen am Schwanz, eine Blitzlichtorgie ins Gesicht der Affen: Walter versucht all dies zu verhindern. Er kennt die Tiere wie kaum ein anderer und ist deshalb auch besonders gerührt von dem, was sich zwischen Männchen Gerard und dem kleinen Mangoki im vergangenen Jahr ereignet hat.

"Es ist absolut erstaunlich, dass Gerard sich um das Baby gekümmert hat", erzählt er. Direkt nach dem Tod von Mutter Birne hätte er das gemeinsame Kind an sich genommen - und seitdem waren das Kind und er unzertrennlich. Was einerseits die Tierpfleger erfreute, brachte doch auch Probleme mit sich: Stillen konnte Gerard das Baby nun einmal nicht. Walter: "Wir mussten ihm Mangoki immer mit einem schnellen Griff vom Rücken nehmen, wenn wir den Kleinen füttern wollten. Freiwillig hat er uns seinen Sohn nicht überlassen." So gab es sechs Monate lang Milch aus einer kleinen Plastikspritze für das Affenkind, das sich dabei an einen Plüschkatta klammerte. "Bei uns in der Hand war es vorher immer total unruhig gewesen, doch an dem Stofftier war es selig und hat sich aufs Trinken konzentriert", sagt Walter.

Jetzt tobt Mangoki längst mit seiner Halbschwester Betioki, den ein Jahr älteren Brüdern Hannes und Kasper und den jung erwachsenen Männchen Obi, Wan und Kenobi herum. "Doch das besondere Verhältnis zu seinem Vater ist geblieben", sagt Walter. Gerard und er säßen häufiger zusammen. "Sie hängen regelrecht aneinander."

Der schwarz-weiße Ringelschwanz ist Balancestange und Ortungspunkt

Kattas, eine Primatenart aus der Gruppe der Lemuren, kommen ausschließlich auf Madagaskar vor. Auch im gleichnamigen Zeichentrickfilm durften die bis 3,5 Kilogramm schweren und bis 46 Zentimeter langen Tiere nicht fehlen: zu unverwechselbar sind sie durch ihre bis zu 62 Zentimeter langen Ringelschwänze, die sie für die Balance auf Ästen brauchen, jedoch am Boden auch für die Kommunikation innerhalb der Gruppe. Senkrecht erhoben, beim Durchstreifen von hohem Gras, sieht so zum Beispiel jeder sofort, ob alle da sind und wohin das dominante Weibchen die Gruppe führt.

Im Tropen-Aquarium wäre das Weibchen Dicke. Sie ist die Chefin der Truppe und hat es als solche nicht nötig, sich mit Menschen abzugeben, sagt Walter. "Das zweite erwachsene Weibchen, Maske, ist dazu zu zurückhaltend, und auch Gerard hält Abstand von den Besuchern." So sind es die Halbstarken und die Jungtiere, die in den Aktivitätsphasen zwischen neun und zwölf Uhr und dann noch einmal zwischen 14 und 18 Uhr schon einmal die Köpfe von Besuchern als Sprungbrett nehmen. Zwischendurch fressen die Lemuren (frisches Buschwerk, Obst und Gemüse) oder schlafen, in Kattamanier eng aneinandergeschmiegt, die Schwänze akkurat über den Rücken gelegt.

Der Name Katta leitet sich übrigens von den katzenartigen Rufen der Tiere, der Begriff Lemur von Lemures, den römischen Totengeistern ab - bedingt durch die nächtliche Lebensweise vieler Katta-Verwandter. Jörg Walter sieht nichts Unheimliches in den Tieren: "Die Kattas sind furchtbar liebenswerte Tiere, sehr sozial und überhaupt nicht aggressiv." Wofür Gerard das allerbeste Beispiel ist.

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