Gracia sei völlig anspruchslos. Ab und zu ein Männchen und gut, sagt Marion Minde, und bricht in lautes Gelächter aus.

Das Bild vom männermordenden Vamp trifft auf Gracia nämlich wortwörtlich zu, weiß die Tierpflegerin in Hagenbecks Tropen-Aquarium. So verlieren die Männer im Angesicht der exotischen Schönheit nicht nur den Kopf, sondern auch den restlichen Körper, wenn Madame großen Hunger hat. Und das haben Gottesanbeterinnen meistens.

Gracia ist ein Prachtexemplar der Grünen Gottesanbeterin oder Sphodromantis gastrica - wobei die Nomenklatur bei diesen Insekten nicht sehr einheitlich ist. In Hagenbecks Tropenwelt lebt sie in einem Terrarium in der Höhle vor der sogenannten Grabkammer, in einem umgebauten Schrank, neben Fröschen und Tausendfüßern. "Wir haben sie im Oktober als Jungtier von einem Hamburger Züchter bekommen", erzählt Marion Minde. Und weil Gottesanbeterinnen nun einmal alles fressen, dessen sie habhaft werden, hat Gracia ein Einzelzimmer zugeteilt bekommen.

Dass es sich um ein Weibchen handelt, erkenne man an der Anzahl der Ringe am Hinterleib, sagt die Tierpflegerin. Männchen hätten mehr davon. Außerdem sei der Hinterleib bei den Weibchen auch dicker, da sie die Kokons produzieren müssten - Eipakete, aus denen sich bis zu 400 kleine Gottesanbeterinnen entwickeln können. Nach einer erfolgreichen Paarung heften die Weibchen davon über mehrere Tage hinweg gleich mehrere an Pflanzen an.

Doch dazu wird es bei Hagenbeck nicht kommen. "Wir züchten die Gottesanbeterinnen nicht, das ist zu aufwendig", sagt Marion Minde. Nicht nur Männchen und Weibchen müssten ja vor und nach der Paarung getrennt gehalten werden (zu seinem Schutz, wenn er die Paarung denn überlebt), sondern die Jungtiere müssten auch alle einzeln großgezogen werden. Kannibalen sind nun einmal anstrengend.

Etwa sechs Monate alt ist Gracia jetzt, und "noch ungefähr zwei bis drei Häutungen entfernt vom Ausgewachsensein", sagt Minde. Vor zwei Wochen hat sich das jetzt sechs Zentimeter lange Insekt, das eine Lebenserwartung von maximal zwei Jahren hat, zuletzt gehäutet und dabei seine vorherige, mehr bräunliche Färbung zu einem leuchtenden Grün geändert. Wann Gracia aus ihrer Haut schlüpfen möchte, zeige sie den Tierpflegern deutlich, sagt Minde: "Wir füttern sie normalerweise alle zwei bis drei Tage mit Heimchen. Wenn sie die Pinzette mit dem Futter abwehrt, und das zweimal nacheinander, lassen wir sie für zwei Wochen in Ruhe." Dann stehe eine Häutung bevor.

Grüne Gottesanbeterinnen kommen in Süd- und Ost-Afrika vor. Sie gehören mit bis zu neun Zentimetern Körpergröße zu den mittelgroßen Exemplaren der Ordnung der Fangschrecken, von denen die kleinsten gerade einmal 1,2 Zentimeter und die größten 16 Zentimeter Körperlänge erreichen können. Die mit den Schaben verwandten Insekten, die auch Mantiden genannt werden, zeichnen sich besonders durch die Umwandlung ihres ersten Beinpaares zu Fangbeinen und der Verlängerung ihres ersten Brustsegmentes aus, was ihnen ihre charakteristische Körperform gibt. Auf einem langen Hals sitzt ein dreieckiger Kopf, der sich - anders als bei den meisten Insekten - über einen großen Winkel drehen lässt und so, mit den großen Augen, optimale Sicht auf Beute und Feinde ermöglicht.

Die Haltung, wenn der dornenbesetzte Unterschenkel und der Oberschenkel wie ein Taschenmesser zusammengeklappt sind, hat den Tieren den Namen Gottesanbeterin eingebracht. Und Gracia ihren Vornamen, sozusagen - durch ihre grazile, zurückhaltende Haltung. Doch beim Zuschlagen seien sie blitzschnell, mit einer Reaktionszeit von nur 0,1 Sekunden. Gracia habe sich bisher aber benommen.

Wer die Faszination von Marion Minde für die langbeinigen Gattenmörderinnen teilt, der sollte im nächsten Sommer einmal vor der eigenen Haustür die Augen offenhalten: In Mitteleuropa findet man eine einzige der rund 2300 Arten: die Europäische Gottesanbeterin. Ihr Verbreitungsschwerpunkt in Deutschland ist der südliche Oberrhein mit dem Kaiserstuhl. Sie wird mit 7,5 Zentimetern ähnlich groß wie Gracia und ist genauso hungrig. Also, Männer, immer schön aufpassen!

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