Nach dem CDU-Wahldebakel will der Parteichef sein Amt im Juni abgeben. Der Bürgermeister wird aber nicht Oppositionsführer.

Hamburg. Am Tag nach einer Niederlage ist in der Regel Wundenlecken das Gebot der Stunde. Nach einem Desaster, wie es die Hamburger CDU am Sonntag erlebt hat - mit 21,9 Prozent gab es das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten, die Zahl der Sitze in der Bürgerschaft wird von 56 auf 28 halbiert -, müssen aber mitunter zunächst neue Wunden geschlagen werden, bevor der Patient Pflaster bekommt und in die Reha geschickt werden kann.

Im Fall des christdemokratischen Patienten setzte Partei- und Fraktionschef Frank Schira den ersten Schnitt. Kaum zehn Minuten nach Beginn der Landesvorstandssitzung trat er um 20.15 Uhr in der Parteizentrale am Leinpfad vor die Kameras und gab bekannt, dass er den Parteivorsitz "zur Verfügung" stelle. "Es ist das Gebot der Stunde, dass ich auch ganz persönlich Verantwortung übernehme", sagte Schira. "Dieser Schritt ist nicht einfach für mich. Aber das muss man einfach tun, das gehört dazu." Schira hatte das Amt im Frühjahr 2010 nach dem überraschenden Rücktritt von Parteichef Michael Freytag übernommen.

Voraussichtlich im Juni soll ein Landesparteitag einen neuen Vorsitzenden wählen. Bis dahin bleibt Schira zunächst im Amt und soll einen geordneten Übergabeprozess "moderieren". "Das will ich begleiten, bis wir einen neuen Landesvorsitzenden oder eine neue Landesvorsitzende haben", sagte Schira vielsagend. Seine neben ihm stehenden Stellvertreter Viviane Spethmann, Karen Koop, Marcus Weinberg und Rüdiger Kruse ließen aber nicht erkennen, ob einer von ihnen Ambitionen auf die Schira-Nachfolge hegt. Zumindest die Namen Kruse und Weinberg waren bereits im Gespräch, Spethmann soll signalisiert haben, dass sie nicht zur Verfügung steht.

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Offen ließ Schira, ob er sich erneut um den Fraktionsvorsitz bewerben werde. Das gilt aber als unwahrscheinlich, denn dagegen gibt es starke Widerstände in der Partei. Fest steht unterdessen, dass Noch-Bürgermeister Christoph Ahlhaus nicht in die Rolle des Oppositionsführers wechseln wird. Die Sitzung des Landesvorstands hatte nach dem angekündigten Schira-Rücktritt kaum wieder begonnen, als auch der Bürgermeister gegen 21 Uhr seine Ambitionen begrub und mitteilte: "Ich strebe den Fraktionsvorsitz nicht an."

Am Abend der schmerzhaften Wahlniederlage hatte Ahlhaus noch angekündigt, sein Bürgerschaftsmandat annehmen und einen Beitrag zur Neuaufstellung der CDU leisten zu wollen. Doch das hatte für massiven Gegenwind gesorgt. Mehrere Bürgerschaftsabgeordnete wie Heiko Hecht und Klaus-Peter Hesse hatten offen personelle Konsequenzen gefordert.

Gestern legte die Junge Union (JU) nach: "Christoph Ahlhaus war den Wählerinnern und Wählern trotz eines engagiert geführten Wahlkampfes leider nicht vermittelbar", sagte Carsten Ofens, designierter Landesvorsitzender der CDU-Nachwuchsorganisation. Schuld seien neben einigen "koalitionsbedingten" Themen wie der Schulreform auch "einige Ausrutscher" von Ahlhaus, so die JU. Als Beispiele nannte Ofens die Hochglanzfotos des Bürgermeisters samt Gattin in der "Bunten" sowie die "kostspieligen Sicherungsmaßnahmen an seiner Privatvilla in Blankenese oder an seiner Ferienwohnung in Heidelberg". Die Präferenz des Partei-Nachwuchses - "mit Frank Schira an der Parteispitze und einem guten Mix aus erfahrenen und jungen Kräften wird ein Neustart der CDU auch zum Erfolg führen" - hatte sich wenige Stunden später aber auch erledigt.

Die Rolle des Oppositionsführers ist die wichtigste und einzig lukrative, die die CDU nach dem Machtverlust noch zu vergeben hat. Traditionell stocken die Christdemokraten die ohnehin dreifache Abgeordnetendiät ihres Fraktionsvorsitzenden auf die eines Senators (rund 13 000 Euro im Monat) auf.

Als Anwärter auf den Posten gelten nun Noch-Sozialsenator Dietrich Wersich, Finanzexperte Roland Heintze und der scheidende Innensenator Heino Vahldieck. Kurios: Alle drei Hoffnungsträger mussten um den Einzug in die Bürgerschaft bangen. Die auf der CDU-Landesliste schlecht platzierten Wersich (Platz zehn) und Vahldieck (31) profitierten vom neuen Wahlrecht und zogen aufgrund der großen Zahl an Persönlichkeitsstimmen ins Parlament ein. Heintze errang sein Mandat als Direktkandidat im Wahlkreis Lokstedt-Niendorf-Schnelsen.

Als leichter Favorit gilt Wersich. "Er ist intelligent, eloquent und smart", sagt ein Führungsmitglied der Partei, schränkt aber ein: "Dafür ist er kein Teamplayer." Sein Hang zu Alleingängen ohne Einbindung der Fraktion hat den Sozialsenator bei den Abgeordneten nicht sonderlich beliebt gemacht. Negativ angerechnet wurde ihm vor allem das Vorpreschen mit der drastischen Kitagebührenerhöhung.

Die von vielen Eltern mit Empörung aufgenommene Maßnahme hatte die CDU zur Unzeit kurz vor dem Volksentscheid zur Primarschule getroffen. Im Wahlkampf hatte Ahlhaus daher angekündigt, sie im Falle höherer Steuereinnahmen zurücknehmen zu wollen. Vahldieck, der wie Bürgermeister Ahlhaus und Wersich aus dem CDU-Kreisverband Nord kommt, hatte sich als langjähriger Verfassungsschutzchef und später als Innensenator einen guten Ruf erworben.

Heintze, als Mittdreißiger der Jüngste im Bunde der Anwärter, hat von Parteivize Kruse nach dessen Wechsel in den Bundestag den Vorsitz im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft übernommen und kommt auch aus dem von Kruse geführten Kreisverband Eimsbüttel.

Sollte es zu einer Kampfkandidatur innerhalb der Fraktion kommen, dürfte Wersich nicht nur aufgrund seiner Scharfzüngigkeit gewappnet sein. Morgen zeichnet der kommissarische Bildungssenator im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburger Schülerinnen und Schüler für ihr Engagement aus - als Streitschlichter.