Über 700 Fälle seit Jahresbeginn: In Hamburg schnellt die Zahl der Grippekranken in die Höhe - H1N1-Virus ist der häufigster Auslöser.

Hamburg. Täglich ist das Wartezimmer von Dr. Karl-Robert Schirmer voll mit Patienten. Und das seit Wochen. Bis zu 100 Kinder behandelt er am Tag. Hohes Fieber, triefende Nasen, Reizhusten - die jungen Patienten leiden alle an denselben Beschwerden. So wie in der Horner Praxis sieht es in den Behandlungszimmern vieler Hamburger Kinderärzte aus.

Die Grippewelle hat die Stadt erreicht. Die Anzahl der gemeldeten Influenzafälle ist stark gestiegen. Über 700 Fälle wurden seit Anfang des Jahres mittels einer Laboranalyse diagnostiziert. Im Dezember 2010 verzeichnete das Robert-Koch-Institut nur zehn per Laboranalyse festgestellte Influenzaerkrankungen. Im November sogar nur zwei. Abgesehen von der Hochphase der Schweinegrippe-Pandemie Ende 2009, ist die Zahl der Influenzafälle in den vergangenen acht Jahren in keinem Monat höher als 180 gewesen. Im Januar 2011 hingegen gab es über 400 Influenzaerkrankte. Dabei sind Grippepatienten, deren Blut nicht im Labor untersucht wurde, nicht berücksichtigt.

Kinder und Jugendliche sind besonders betroffen. Jeder zweite Fall ist ein Kind im Alter bis 14 Jahren, jeder dritte eines im Vorschulalter. Kinder stecken sich gegenseitig an. Erzieher fallen aus. In manchen Kindertagesstätten gibt es bis zu sechs Krankmeldungen pro Tag.

Besonders Eimsbüttel und Winterhude werden von der Influenza heimgesucht. In jeder zweiten Kindertagestätte sind in den vergangenen zwei Wochen Kinder erkrankt. "Erst hatten es die Kinder, dann steckten sich die Erzieher an", sagt der Leiter der Kindertagesstätte Hölderlinsallee in Winterhude, Philipp Welk. Drei seiner Mitarbeiter mussten die Arbeit von sechs übernehmen. Auch andere Kitas in Eimsbüttel und in Barmbek berichten von einer "katastrophalen" Lage und vielen Krankmeldungen.

"Der Anstieg der Erkrankungen im Januar ist nicht ungewöhnlich", sagt Rico Schmidt, Sprecher der Gesundheitsbehörde. "Winterzeit ist Schietwetterzeit, und damit kommt auch die Grippe- und Erkältungswelle." Vergleichbar wie mit dem Höhepunkt der Grippepandemie im Vorjahr sei die Lage nicht.

Der meistverbreitete Grippetyp ist weiterhin das Schweinegrippe-Virus H1N1. "Nach dem Ausbruch und den Verläufen des neuen Influenzavirus weltweit war dies zu erwarten", sagt Prof. Dr. Jan van Lunzen, 47, Leiter der Infektiologie des Universitätsklinikums Eppendorf.

Die Neue Grippe, wie sie von Mediziner genannt wird, verlaufe aber seltener tödlich als die normale Grippe. Da sie aber hoch ansteckend ist, erkranken mehr Menschen an ihr, sodass anscheinend häufiger Fälle mit schwerem Krankheitsverlauf auftreten. "Auf die Summe aller Erkrankten bezogen, stimmt das aber nicht", so van Lunzen.

Dennoch birgt das Virus neue Gefahren für jüngere Menschen. Sie erkranken häufiger an ihr. "Ein mangelnder Antikörperschutz könnte die Ursache dafür sein, dass Jüngere stärker von ihr betroffen sind", sagt van Lunzen. Forscher gehen davon aus, dass Menschen über 40 bereits einen ähnlichen Grippetyp durchlebt haben. Sie verfügen über entsprechende Antikörper und reagieren daher resistent auf die Viren. Der Infektiologe empfiehlt daher, Kinder ab sechs Jahre impfen zu lassen. Auch jetzt sei eine Impfung noch sinnvoll. Der aktuelle Impfstoff verfügt auch über eine Komponente zum Schutz vor der Schweinegrippe.

"Besonders gefährlich sind die Grippeviren für Kinder mit chronischen Erkrankungen", sagt Kinderarzt und -kardiologe Schirmer. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck kann sie zum Schlaganfall führen. "Für solche Fälle ist eine Impfung dringend zu empfehlen."

Die Grippewelle in Hamburg könnte noch weiter anhalten. "Sie dauern in der Regel zehn bis zwölf Wochen", sagt Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-Koch-Instituts in Berlin.