Der Hamburger Frachter “Taipan“ war zwei Stunden in der Gewalt der Piraten. Der Kapitän sagte vor Gericht: “Ich habe keinen Hass.“

Neustadt. Der Kapitän hat die Pelzmütze immer noch. Sie gehörte einem der zehn somalischen Piraten, die Ostermontag sein Schiff gekapert hatten. Dierk Eggers hat sie gefunden, nachdem eine niederländische Fregatte die Seeräuber überwältigt hatte. "Ich rieche manchmal an der Mütze", sagt Eggers vor dem Hamburger Landgericht, "sie riecht nach Angstschweiß".

Eggers, Kapitän des vor der somalischen Küste angegriffenen Containerschiffes "Taipan" der Hamburger Reederei Komrowski, berichtete gestern, wie die Seeräuber versucht hatten, ihn und seine 15-köpfige Crew in ihre Gewalt zu bringen. Es ist eine kuriose Situation - Eggers soll aussagen, aber befragt werden darf er nicht, entscheidet das Gericht. Grund: Vor der umfänglichen Vernehmung, die nun am 3. Januar folgen soll, wollen die 20 Verteidiger der zehn Angeklagten ein überraschend aufgetauchtes Video des deutschen Aufklärungsflugzeugs "Orion" sichten, das Szenen des Überfalls zeigt.

So gibt es nur die "Light"-Variante der mit Spannung erwarteten Aussage des Kapitäns. Eggers sitzt zu Füßen des Gerichts, sodass jeder ihn sehen kann. "Ihr Beruf?", fragt der Vorsitzende Richter. "Kapitän auf großer Fahrt", sagt Eggers mit ruhiger Stimme. Er ist 69 Jahre alt, hat weiß-blonde Haare und Falten, die sich tief ins Gesicht gegraben haben. Mit dem grünen Hemd unter der grauen Weste erinnert er ein wenig an einen Anti-Castor-Aktivisten aus dem Wendland. Seit Jahrzehnten befördert er auf Containerschiffen Fracht rund um die Welt, er sagt, dass er Afrika liebe, trotz allem. Dass er öfter Akte der Piraterie erlebt habe. "Das ist Teil meines Berufes." Nur wollte niemand Dierk Eggers entführen - bis zum 5. April.

Am Ostermontag, 11 Uhr, befindet sich die "Taipan" 600 Seemeilen vor der Küste Somalias. Die tropische Hitze drückt, Dunst verschleiert die Sicht. In acht Seemeilen Entfernung eine Bewegung. Was ist das? Eggers denkt erst: ein Fischerboot. Das Radarecho ist typisch für eine Dau, ein arabisches Holzschiff. Doch die Männer an Bord lassen zwei Fangboote zu Wasser. Kleine, wendige Boote mit starken Außenbordmotoren. Piratenboote. Auf dem Radar erscheinen sie wie eine Linie. Und die nähert sich der "Taipan" bedrohlich schnell.

Der erfahrene Kapitän weiß, was das bedeutet. Der Golf von Aden ist die gefährlichste Wasserstraße der Welt. Allein in der ersten Jahreshälfte 2010 haben Piraten 27 Schiffe gekapert und 544 Geiseln verschleppt. Rund zwei Millionen Euro zahlte eine Hamburger Reederei für die Freilassung der im Vorjahr gekaperten "Hansa Stavanger". "Wir wussten: Wenn die uns kriegen, ist jede Hilfe aussichtslos", sagt Eggers.

Er schickt seine Crew in die "Zitadelle" unter Deck, den Fluchtraum. Eggers bleibt mit zwei Offizieren auf der Brücke. Zunächst feuert er eine Leuchtrakete in die Luft. Ein Warnschuss. Mit der zweiten Rakete zielt Eggers in Richtung der Boote, dann alarmiert er per Funk und E-Mail die Einsatzleitung der Anti-Piraterie-Mission "Atalanta". Er steht noch auf der Brücke, Steuerbordseite, als die ersten Kugeln einschlagen. "Sie flogen nicht nur durch die Scheiben, sondern gingen zu unserer Verwunderung durch die Stahlschotts wie durch Butter", sagt Eggers, der als Letzter in den Schutzraum flieht.

Für die Piraten ist die Crew wie ein Goldschatz - wie ein Schatz hinter einer Tresortür, die sie nicht einmal finden. Verzweifelt schlagen sie auf die eisernen Verriegelungen der Türen ein, ballern aus vollen Rohren auf die Schotts. "Es war ein erschreckender Radau", sagt Eggers. Vom Schutzraum aus kappt er die Stromzufuhr - und macht die "Taipan" manövrierunfähig.

Hilfe ist da schon unterwegs: das niederländische Kriegsschiff "Tromp", 144 Meter lang. Zwei Stunden später hört die Crew einen Hubschrauber über dem Schiff kreisen - und dann eine wilde Schießerei. Es dauert noch Stunden, bis sich die Besatzung aus dem Versteck heraustraut. "Die Männer, die sich als unsere Befreier ausgaben, hätten auch die Somalis sein können", sagt Eggers. "Doch dann hörten wir Sätze auf Holländisch." An Deck sieht er drei Somalis gefesselt auf dem Boden. Später findet er auf der Krankenstation, wo sich einer der Seeräuber während der Schießerei verkrochen hatte, die Pelzmütze.

Die will Eggers mitbringen zur nächsten Vernehmung. Als Beweisstück. Einen Groll gegenüber den Angeklagten hege er nicht. "Ich hatte keine Furcht auf dem Schiff, und ich hasse die Angeklagten auch nicht", sagt er. "Wir hatten schicksalhaftes Glück."

Während die Verteidiger und ihre Mandanten hinter verschlossenen Türen das Video der "Orion" sichten, setzt er eine blaue Dockermütze auf und streift sich einen beigen Rollkragenpullover über - jetzt sieht er doch eher wie ein Seemann aus. "Ich bin ein Mann des Handelns, nicht der Worte", sagt er. So ein Auftritt im Gericht, das sei nicht seine Welt. Eigentlich könne er es kaum erwarten, wieder in See zu stechen.