Zwei Studenten hissten vor 60 Jahren auf der britisch besetzten Insel die deutsche Flagge. Der Hamburger Fotograf Blume hielt das fest.

Helgoland/Hamburg. An der Wand in Jochen Blumes Hausflur hängt Weltgeschichte in Bildern. Da ist John F. Kennedy bei seiner "Ich bin ein Berliner"-Rede und auch Willy Brandt beim Besuch des Checkpoint Charlie am Tag des Mauerbaus. Ein anderes weltberühmtes Foto ist nicht dabei. Das Bild, das Georg von Hatzfeld und René Leudesdorff zeigt, als sie im Dezember 1950 bei ihrer friedlichen Besetzung Helgolands die deutsche und die Europa-Flagge hissten.

"Hier in meinem Haus habe ich nur Bilder, die mich emotional berühren", sagt Jochen Blume. Und wenn nicht eine Einladung auf die Nordseeinsel in seinen Briefkasten geflattert wäre, würde der Hamburger Fotograf in diesen Tagen vermutlich kaum an jene bewegten Dezembertage vor genau 60 Jahren denken. Doch auf der Vorderseite der Einladung zur Ausstellungseröffnung ist sein Foto abgedruckt. Hinfahren werde er aber nicht, sagt der 85-Jährige, "ich werde ja schon auf den St.-Pauli-Landungsbrücken seekrank".

Nach solchen Befindlichkeiten fragte damals niemand in der Redaktion der Deutschen Presseagentur (dpa) am Mittelweg, als Blume, der Nachwuchsfotograf, den Auftrag erhielt, Georg von Hatzfeld und René Leudesdorff zu fotografieren. Die beiden Heidelberger Studenten waren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Cuxhaven nach Helgoland aufgebrochen, um mit ihrer symbolischen Besetzung der Insel gegen das Dauerbombardement der Briten zu demonstrieren und die Rückgabe der Insel zu fordern. Helgoland war auch fünf Jahre nach Kriegsende noch immer Bombenziel der Royal Air Force.

Blume, damals 25 Jahre alt, machte sich auf den Weg: "Ich habe aus der Notkasse in der Redaktion noch 100 Mark rausgenommen und bin dann los mit meinem VW, auf spiegelblanken Straßen." Auf dem Rücksitz seine Speed-Graphic-Kamera und zehn Doppelkassetten für 20 Fotos. Auf dem Weg drehte sich sein Wagen einmal um sich selbst, "das Adrenalin reichte dann für den Rest der Strecke", erinnert er sich.

Die beiden Studenten saßen blau gefroren am Flak-Turm

In Cuxhaven musste Blume sich eine Überfahrt auf die Insel organisieren. Bei einem Kutterkapitän und dessen Sohn versuchte er sein Glück. Die beiden wollten sich ihre Dienste üppig bezahlen lassen. "Bei 250 Mark sind wir uns schließlich einig geworden." Sie brachen noch in der Nacht zur Insel auf. "Unter Deck war ein kleiner Kanonenofen. Da unten habe ich gelegen, neben dem stinkenden Ofen, zwischendurch hing ich über der vereisten Reling", erzählt der Fotograf. Im Morgengrauen des 20. Dezember erreichten sie Helgoland. "Da hing eine rostige Leiter an der Kaimauer, an einem Kabel. Da musste ich mit meiner 25 Pfund schweren Kameratasche hoch", sagt Blume. "Der Kapitän meinte nur, in der Woche davor hätte sie noch gehalten."

Nach einem Marsch durch die Kraterlandschaft fand er die beiden Studenten schließlich im Flak-Turm. "Mit Pudelmütze, blau gefroren kamen sie heraus. Die taten mir richtig leid", erinnert sich der Hamburger. Seine Arbeitsweise kam ihm an diesem Tag wieder einmal zugute, denn er wollte die Insel zeigen, und das Foto musste ja auch die Besetzung symbolisieren. "Ich habe immer erst die Bildunterschrift überlegt und dann die Bilder gemacht", erklärt Blume. Diesmal nahm er Anleihe bei einem berühmten Bild - der Flaggenhissung auf Iwo Jima im Pazifik während des Zweiten Weltkriegs. "Wir haben die Flaggen, in die sich die beiden wegen der Kälte eingewickelt hatten, an ein altes Rohr getüdelt. Das hat nur wenige Sekunden gehalten, dann hat es sich umgebogen. Aber ich hatte mein Bild."

René Leudesdorff, der später Pastor wurde und in Flensburg lebt, denkt in diesen Tagen viel an Helgoland. Dass er sich trotz des eisigen Winters mit von Hatzfeld auf den Weg gemacht hat, um die gesperrte Insel zu besetzen, sei wohl "dem jugendlichen Elan zuzuschreiben", sagt er heute. Leudesdorff soll am Montag zum "verdienten Bürger der Gemeinde Helgoland" ernannt werden, ebenso wie - posthum - der 2000 verstorbene von Hatzfeld.

Anders als vor 60 Jahren will Leudesdorff nicht mit dem Schiff anreisen. "Diesmal fliege ich hin", sagt der 82-Jährige, der sein Leben lang mit Helgoland verbunden blieb. Zwölf Jahre lang, bis 2008, hat er für den Helgoländer Pastor jeden Herbst die Urlaubsvertretung gemacht. Als "Begründer des zivilen Ungehorsams" werden er und Hatzfeld, der als Verleger und Finanzmakler für den Kunsthandel tätig war, in der Ausstellungseinladung beschrieben.

Die meisten Insulaner ließen sich im Raum Pinneberg und Cuxhaven nieder

Jochen Blume wagt trotzdem, ein wenig am Heldenglanz der beiden friedlichen Besatzer zu kratzen. "Sie wären damals gern mit mir zurückgefahren", sagt er, "aber ich fand, sie müssen zu Ende führen, was sie angefangen haben." Zu welchem Ende? "Ich weiß nicht genau", sagt Blume, aber es sei ja klar gewesen, dass sie nicht lang allein bleiben würden, weil der Medienrummel bald losbrechen würde. "Und außerdem wäre dann mein Einsatz umsonst gewesen. Niemand hätte mehr mein Bild gedruckt."

Jochen Blume ist nicht der Einzige, der mit übermäßiger Heldenverehrung gewisse Probleme hat. Erni Rickmers, die Schwester des Kinderbuchautors James Krüss, ist Helgoländer "Urgestein": "Der Anteil der Helgoländer wird nicht genügend gewürdigt", findet die 82-Jährige. Dabei hatte ihr Bruder James sich schon im August 1949 im Namen der Helgoländer Sache mit einem offenen Brief auf der Seite 1 im Hamburger Abendblatt gegen die Bombardierung seiner Heimatinsel gewehrt (siehe Text unten auf dieser Seite).

James Krüss war Herausgeber des Mitteilungsblattes des Klubs Halunner Moats, das Nachrichten für die in ganz Norddeutschland versprengten Insulaner veröffentlichte. Im April 1945 hatten alle Bewohner die Insel nur mit Handgepäck, Gasmasken und Verpflegung verlassen müssen. Viele der etwa 2500 Helgoländer ließen sich im Raum Pinneberg und in Cuxhaven nieder, "jedenfalls nahe der Küste", erinnert sich Erni Rickmers. "Man war glücklich, überlebt zu haben", sagt die alte Dame, die damals im Helgoland-Büro auf dem Festland gearbeitet hatte. Den Helgoländern sei es strikt verboten gewesen, die Insel zu betreten, sie haben aber trotzdem dort immer Hummer gefischt", erzählt Erni Rickmers.

Dass es letztlich Fremde waren, die die Konfrontation mit den Engländern nicht scheuten, sei nicht verwunderlich, sagt sie: "Die beiden jungen Leute hatten doch nichts zu verlieren, das waren Abenteurer." Tatsächlich rechnet Erni Rickmers den beiden die Aktion hoch an: "Es war die erste Erhebung gegen die Militärregierung. Sogar im Ausland wurde darüber berichtet." Und das waghalsige Unternehmen löste jene internationale Diskussion aus, die letztlich zur Rückgabe Helgolands an die Deutschen 1952 führte.

"Es war nur ein Job, den ich gemacht habe", sagt Fotograf Blume

Mit Leudesdorff pflegt Erni Rickmers bis heute freundschaftlichen Kontakt. Seit 1954 lebt sie wieder auf ihrer Insel, wohin sie mit ihrem Ehemann Henry P. zurückgekehrt war. "Merkwürdig, warum wir alle zurückwollten", sagt sie im Rückblick. Sie hätte sich auch ein Leben auf dem Festland vorstellen können, ihr Mann niemals. "Es war ein Pionierleben. Wir lebten jahrelang mit Gummistiefeln, weil es keine befestigten Wege gab. Vor jedem Haus stand eine Wasserwanne, damit man sich die Schuhe säubern konnte."

Wäre alles anders gekommen, hätten die beiden Studenten damals Helgoland nicht besetzt? "Die Insel wäre auch freigekommen, aber wesentlich später", mutmaßt René Leudesdorff. Dann wären viele Helgoländer auf dem Festland gestorben, ohne ihre Heimat noch einmal zu sehen, meint er. Und die Besetzungsaktion habe in ganz Deutschland Begeisterung für Helgoland entfacht, und daraufhin sei viel Geld in den Wiederaufbau geflossen.

Die Ausstellung, die an diesem Sonntag im Museum auf Helgoland eröffnet wird, zeigt auch das berühmte Bild von Jochen Blume. Für den Hamburger Fotografen ist es nur eines von vielen. "Es gab Dinge, die mich viel mehr bewegt haben", sagt er. "Es war einfach ein Job, den ich gemacht habe."