Hanning Voigts, “Hinz & Kunzt“-Reporter, verbrachte eine Nacht in der vom Senat gestellten Unterkunft für Obdachlose unter dem Hachmannplatz.

Hamburg. Der Gestank raubt mir den Atem. Dieser säuerliche Geruch nach Schweiß, Alkoholdunst und ungewaschenen Körpern. Ich liege auf einer Pritsche aus zähem Stoff. Sie hat einen harten Metallrahmen, ist gerade sechzig Zentimeter breit und so kurz, dass ich bei meiner Körpergröße von 1,88 Metern meine Beine nicht ausstrecken kann. Direkt über mir, nicht einmal eine Armlänge entfernt, wälzt sich schon der nächste Mann. Die Ärmel seiner Lederjacke hängen mir ins Gesicht. Insgesamt teilen sich 31 Männer diesen stickigen, fensterlosen und spärlich beleuchteten Raum. Sie liegen in ihren Klamotten auf einem der 14 Feldbetten oder wie ich auf einer der zwei Dutzend Pritschen, die in drei Etagen an die Wände geschraubt sind. Fast alle werfen sich ruhelos hin und her, ständig keucht und hustet einer. Die, die schlafen, schnarchen ohrenbetäubend.

Mit einigem Stolz haben Bürgermeister Christoph Ahlhaus und Sozialsenator Dietrich Wersich den Bunker unter dem Hachmannplatz als neue Notunterkunft für Obdachlose präsentiert. Der Senat wolle ein zusätzliches Angebot schaffen, damit in Hamburg niemand erfrieren müsse, hieß es. Schon beim Pressetermin wirkten die düsteren Räume, die man über den U-Bahn-Schacht der U 2 erreicht, wie eine surreale Mischung aus Filmkulisse und Tiefgarage. In der Tarnung eines Obdachlosen will ich mir den Bunker genauer anzusehen.

Als ich gegen 22 Uhr ankomme, gerate ich direkt ins Durcheinander: Zwei angetrunkene Männer wollen sich im neonbeleuchteten Vorraum prügeln, drei Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes können sie mit Mühe davon abhalten. Johlende Obdachlose beobachten die Szene, die Sicherheitsleute brüllen die Streithähne an. Als sich die Situation beruhigt, wendet sich einer der Aufpasser an mich: "Willst du hier schlafen?" Ich nicke. Er notiert meinen Namen und meine Staatsangehörigkeit. Auf seiner Liste stehen schon 61 Namen. Der Mann gibt mir eine eingeschweißte Bettdecke und weist mir den Weg in den Schlafraum auf der rechten Seite. "Du musst eine von den Liegen nehmen", erklärt er mir. "Das ist alles, was wir noch haben." Dann sagt er, dass es am Eingang noch Brötchen und Wasser gebe, und lässt mich allein. Ich stehe mit meiner Decke vor der schmalen Pritsche. Kein Kopfkissen, kein Laken, kein Handtuch. Kein Platz, meine Sachen abzustellen. Dafür Gestank. Ich werfe meinen Rucksack auf eine der Pritschen und fliehe nach draußen.

Am Eingang stehen Männer und rauchen. Die Meinungen zum Bunker sind geteilt. Kai* zum Beispiel, gebürtiger Hamburger, findet es okay hier. "Die letzten beiden Nächte habe ich ganz gut geschlafen, heute ist halt ein bisschen Randale", sagt er. Immerhin sei es hier warm und allemal besser als in der Notunterkunft Pik As. Da werde viel geklaut. Da solle ich auf keinen Fall hingehen, rät er mir. Ein anderer widerspricht. "Die Politik war nicht auf den Winter vorbereitet und hat jetzt einfach schnell diesen Bunker aufgemacht", regt er sich auf. "Überleg doch mal, was du da an Bakterien einatmest, wenn du hier pennst." Er will lieber weiter draußen auf einer Baustelle schlafen. Einigkeit besteht darüber, dass der Sicherheitsdienst freundlich, aber völlig überfordert ist. "Dauert nicht mehr lange, dann stehen hier Polizisten mit Maschinenpistolen", scherzt Kai.

Als ich wieder in den Bunker gehe, kommt mir eine Gruppe junger Männer entgegen, die sich auf Polnisch unterhalten. "Versteh kein Deutsch", sagt einer zu mir, als ich ihn anspreche. Mit Gesten erklärt er mir, dass er und seine Freunde bis vorgestern draußen geschlafen haben. Ich frage, wie er es hier findet. "Zu viele besoffen", sagt er und verzieht das Gesicht.

Mittlerweile ist es 2 Uhr. Im Vorraum sitzt ein junger Mann mit dunklen Locken und wirrem Bart, der an Händen und Armen offene Wunden hat und ziemlich hilflos wirkt. Die Sicherheitsleute haben ihm einen eingepackten Salat gegeben, und er weiß nicht, wie er ihn essen soll. "Da liegt doch was", sagt einer der Aufpasser und hebt einen verdreckten Esslöffel vom Boden auf. Der junge Mann sieht erst den Löffel und dann mich fragend an. "Kannst du mir den abwaschen?", bittet er mich stotternd. Ich bringe es nicht übers Herz abzulehnen. In den Waschräumen finde ich Waschbecken vor, die teilweise von einer festgetrockneten Dreckschicht überzogen sind. Die Toiletten sind winzig, als wären sie für Kinder gedacht. Es gibt keine Türen für die Kabinen, lediglich alte Plastikvorhänge. Der Gedanke, hier aufs Klo zu gehen oder mich zu waschen, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich reinige den Löffel, so gut ich kann. Dann gebe ich ihn dem jungen Mann und sehe mitleidig zu, wie er seinen Salat isst.

Zeit zu schlafen. Ich denke nicht einmal daran, mich hier auszuziehen. In Mütze und Mantel lege ich mich auf meine Pritsche, aber ich komme nicht zur Ruhe. Immer wieder kommen die Sicherheitsleute mit neuen Gästen in den Raum und leuchten mit Taschenlampen umher. Im Nebenzimmer liegt ein völlig betrunkener Mann, der die ganze Zeit hustet. Ab und zu schreit er laut auf, als hätte er Angst. Nur einmal nicke ich kurz ein.

Um viertel vor sechs höre ich lautes Fluchen. Johnny, ein hagerer, bärtiger Mann, ist auf der anderen Seite des Raumes aufgewacht, weil der Mann über ihm sich eingenässt hat. Der Urin ist auf Johnnys Kleidung und auf seinen Schlafsack getropft. "Schöne Scheiße", flucht er, während er hastig seine Sachen zusammenpackt. "Erst schlafe ich hier schlechter als draußen, und jetzt auch noch das." Er guckt verzweifelt. Morgen werde er auf jeden Fall wieder Platte machen, murmelt er, während er zum Ausgang geht.

Die Nacht endet früh. Um zehn nach sieben springt mit lautem Röhren die Lüftungsanlage an, gegen halb acht schalten die Sicherheitsleute das Licht an. "Aufstehen!" Eine Reihe müder Gestalten schiebt sich in den Vorraum. Kai schlendert zu den Waschräumen. Wie er geschlafen habe, frage ich ihn. "Och, ging", sagt er. Er tippt sich zum Gruß an die Schläfe. "Man sieht sich!" Ich sage nichts. Bei mir denke ich: Lieber nicht. Zumindest nicht hier.

* alle Namen geändert