WikiLeaks veröffentlicht eine geheime Liste von technischen Anlagen, die für die USA als sicherheitsrelevant gelten. Auch Sylt ist im Spiel.

Verrat wird geliebt, aber nicht der Verräter: Der von Interpol gejagte WikiLeaks-Gründer Julian Assange hat aus dem Untergrund noch mal eine Schippe brisanter Informationen draufgelegt. Nach der Veröffentlichung von rund 250 000 US-Diplomaten-Depeschen tauchte nun auch eine detaillierte Liste mit Objekten in aller Welt auf, die von den USA als wichtig für die nationale Sicherheit erachtet werden. Die britische Zeitung "The Times" sprach in ihrer Onlineausgabe von einer Liste "potenzieller Terrorziele", die veröffentlicht wurde. Genannt werden neben Hunderten von Pipelines und wichtigen Datenkabeln auf der ganzen Welt auch Firmen, deren Produkte wichtig für die nationale Sicherheit der USA seien, darunter sind auch 19 deutsche Unternehmen.

Die Liste macht zwar schon aufgrund ihrer vielen Tippfehler keinen besonders seriösen Eindruck, doch sie heizt die weltweite Diskussion über die mutmaßliche Gefahr dieser Enthüllungspraktik an. Die britische Regierung kritisierte den jüngsten "Scoop" scharf. "Wir verurteilen die Herausgabe dieser geheimen Dokumente uneingeschränkt", sagte ein Sprecher des Regierungssitzes Downing Street in London. "Die Enthüllungen und ihre Veröffentlichung schaden der nationalen Sicherheit in den USA, Großbritannien und anderswo. Es ist unerlässlich für Regierungen, dass sie auf der Basis geheimer Informationen arbeiten können." Zu den britischen Objekten auf der Liste gehören wichtige Kabelverbindungen, Satelliten-Anlagen und Fabriken.

Nach Ansicht des britischen Senders BBC wird durch dieses Dokument erstmals deutlich, in welcher Weise die US-Regierung die Bedeutung ausländischer Objekte und Einrichtungen für die eigene Sicherheit betrachtet. Die US-Vertretungen in aller Welt seien im Februar vergangenen Jahres von der Regierung aufgefordert worden, Objekte aufzulisten, deren Verlust Einschränkungen für das Gesundheitswesen, die Wirtschaft und die nationale Sicherheit der USA zur Folge haben könnten.

Der SPD-Fraktionschef und ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) schätzt die jüngsten Enthüllungen "als absoluten Hype" ein. Im "ARD Morgenmagazin" am Montag verwies er darauf, dass sich die Debatte über die Veröffentlichung Zehntausender US-Botschaftsdepeschen "nicht mit dem Hauptgegenstand" befasse, da es nicht entscheidend sei, "ob der eine oder andere Politiker da angemessen bewertet wird", und es gehe auch nicht darum, "dass das deutsch-amerikanische Verhältnis in irgendeiner Weise dadurch berührt wird". Entscheidend sei vielmehr, dass "die Gründer von WikiLeaks und diejenigen, die sich da um Transparenz angeblich bemühen, nicht wissen, was sie anrichten in schwierigen Krisen- und Konfliktregionen". Von den Machern von WikiLeaks ahne vermutlich niemand wirklich, wie sehr Friedens- oder Stabilisierungsbemühungen in schwierigen Regionen wie dem Nahen und dem Mittleren Osten von den Enthüllungen negativ betroffen seien, sagte Steinmeier.

Die US-Regierung ordnete die Schließung von bisher mehr als 75 Websites an, die das Enthüllungsportal durch eine Verlinkung unterstützen. Auch ist das Aufrufen von WikiLeaks-Informationen für viele US-Bürger inzwischen mit einem gewissen Risiko behaftet: So dürfen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die geheimen Dokumente offiziell nur dann lesen, wenn sie für die entsprechende Geheimhaltungsstufe zugelassen sind - ganz egal ob selbst die "New York Times" bereits über den Vorgang berichtet hat oder nicht. Studenten der Columbia University wurden offiziell gewarnt, in Netzwerken wie Twitter oder Facebook auf die WikiLeaks-Dokumente zu verlinken, da dies ihnen später bei Einstellungsgesprächen für den öffentlichen Dienst und einer möglicherweise notwendigen Sicherheitsüberprüfung für sensible Jobs schaden könne. Doch den Privatkrieg, den die USA inzwischen im Cyberspace gegen den "Hightech-Terroristen" Julian Assange führen, haben sie vermutlich schon verloren. Zum einen, weil selbst das US-Heimatschutzministerium und die Geheimdienste die enorme Datenflut nicht mehr bewältigen können; zum anderen weil WikiLeaks-Sympathisanten in aller Welt inzwischen Hunderte von Servern zur Verfügung gestellt und dort das Projekt "Cablegate" hinterlegt haben. Daher kann man nun die umstrittenen Dokumente auch auf etlichen Servern aus Deutschland finden, die mit der Internet-Domain ".de" benannt sind. Um die Aktualisierung der Datenbestände kümmert sich WikiLeaks. Sobald neue Dokumente veröffentlicht werden, spielen die Aktivisten ein "Update" auf die "Spiegel-Server" und sorgen so dafür, dass es für ihre Gegner keinen zentralen Angriffspunkt mehr gibt.

Seit vergangenem Sonntag greifen pro Sekunde (!) rund 3000 Menschen auf die Schweizer WikiLeaks-Domain zu, die von der eidgenössischen "Piratenpartei" kontrolliert wird. Wie viel Transparenz verträgt die vernetzte Welt? Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, 74, betrachtet die Enthüllungen mit zwiespältigen Gefühlen. Einerseits begrüße er mehr Transparenz, sagte er in Stockholm, wo er am Freitag geehrt wird. Andererseits aber sei es gefährlich, wenn Staaten geschwächt würden, da so Gesetze und Demokratie untergraben werden. Julian Assange hat 1000 neue Dokumente angekündigt: über den Kreml, die Oligarchen und die Entlassung des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow. Diese Enthüllungen dürften die Amerikaner zur Abwechslung einmal freuen.