Der Geistliche Mar Gewargis Sliwa schildert den Alltag in der irakischen Hauptstadt als einen permanenten Kampf wider den Terror.

Altstadt. Es gab Wein und Brot - und noch viel mehr Gesprächsstoff. Denn die Ansprache des Erzbischofs von Bagdad vor mehr als hundert Kongressteilnehmern in der Katholischen Akademie über den Existenzkampf der Christen im Irak hatte Gefühle in Wallung versetzt und viele Probleme aufgedrängt, die ganz weit weg schienen. "Werden die Christen im Irak überleben?" Diese Grundsatzfrage der zweitägigen Veranstaltung am Wochenende in der Innenstadt blieb ohne Antwort. Und genau das schockierte die Gäste.

Tatsächlich schilderte Erzbischof Mar Gewargis Sliwa den Alltag in der irakischen Hauptstadt als permanenten Kampf wider den Terror. Die schon für die normale Bevölkerung schrecklichen Zustände seien für die Christen noch weit verheerender. Der Metropolit und damit ranghöchste Geistliche der Apostolischen Kirche des Ostens, der ältesten und ursprünglichsten im Irak, beschrieb das Leid sachlich: Anschläge auf Kirchen und kirchliche Einrichtungen, aber auch Plünderungen, Vertreibungen und islamistisch motivierte Morde sind an der Tagesordnung und machen das Leben der Christen im Zweistromland zur Hölle. Mehr als die Hälfte der einst 1,2 Millionen Christen mussten bisher aus dem Irak fliehen.

"Wir freuen uns auf den Tag", sagte der Erzbischof dem Hamburger Abendblatt am Rande des Kongresses, "an dem wir den Weg durch diesen langen, dunklen, schrecklichen Tunnel geschafft haben." Der jüngste Anschlag auf Katholiken in Bagdad am 31. Oktober mit mehr als 50 Toten sei nur der grausame Höhepunkt einer Attentatserie. Als Übersetzerin für den 70 Jahre alten Geistlichen, der seit 1981 im Amt ist, fungierte seine Nichte Sandy Sliwa. Die 23-Jährige lebt mit ihren Eltern und zwei Geschwistern seit 15 Jahren im Rheinland und studiert in Düsseldorf Anglistik und Romanistik.

Ein typisches Beispiel aus dem vom Bürgerkrieg drangsalierten Land: Drei Tage nach einem Treffen mit einem US-Kaplan im Range eines Colonel wurde die Kirche der Assyrer im Bagdader Außenbezirk Al-Dora zur Zielscheibe fanatischer Muslime. Erst explodierte vor dem Hauptportal eine Bombe, dann wurde das Gotteshaus komplett in die Luft gesprengt. "Nicht ein einziger amerikanischer Soldat oder irakischer Sicherheitsbeamter war da, um die Kirche zu bewachen", schildert Mar Gewargis Sliwa die Alltagslage, "obwohl wir zwei Wochen zuvor vom Innenministerium vor Selbstmordattentaten während der Gottesdienste gewarnt wurden." Insgesamt sind seit Einmarsch der USA mehr als 700 Christen, darunter mehrere Priester sowie zwei Bischöfe, ermordet worden.

Vielleicht, so die Hoffnung des Erzbischofs, können solche Fakten dazu beitragen, die weltweite Christengemeinde zur Unterstützung zu bewegen. Die Rechte der Christen im Irak müssten in der Verfassung verankert werden.

Zumindest in Hamburg ist die Zahl jener Menschen am Wochenende gestiegen, für die das Schicksal der irakischen Christen fortan nicht mehr unendlich weit entfernt ist. Neben seinem Referat nahm der besonnene und deswegen besonders beeindruckende Erzbischof an einer Podiumsdiskussion zum Thema und einem Gottesdienst in der Syrisch-Orthodoxen St.-Dimet-Kirche in der Neuwiedenthaler Straße teil. Weiterer Programmpunkt war ein Vortrag vor dem Rotary Club Hamburg-Hafentor im Hotel Grand Elysée. Überall traf Gewargis Sliwa auf offene Ohren - und offene Herzen.